Die ersten beiden Tage der Russischen
Meisterschaft
Von Misha Savinov
Fotos: Misha Savinov und Dagobert Kohlmeyer
Es ist viel einfacher den Inhalt der
Partien zu besprechen, die im Restaurant “Vasilyevsky” gespielt werden, als
die Entscheidungen einiger Spieler und Organisatoren, die den Beginn des
Turniers überschattet haben. Deren Züge, jeder für sich betrachtet, wirken
einigermaßen logisch, doch das Gesamtbild ist ziemlich schräg. Zunächst
erreichte ein Brief in französischer Sprache die Organisatoren, der
gleichzeitig Kramnik und den sich vorbereitenden Khalifman aus dem Turnier
boxte. Letzter erklärte, dass er nicht verärgert sei und fand rasch ein
anderes Turnier, an dem er mitspielen konnte. Dies sogar so rasch, dass die
Organisatoren ihn ein paar Tage später schon nicht mehr erreichen konnten, als
ihnen ein weiterer Weltmeisterkollege abhanden kam.
Vartan Petrosjan, Sohn von Tigran und Garry Kasparov
Krylov und Svidler
Atarov interviewt Präsident Zhukov
Alexandra Kosteniuk und Alexey Dreev
Kramniks Rückzug war zumindest klar begründet (falls man sein Französisch
entschuldigt), die Geschichte von Karpov klingt allerdings nach einem
Aschenputtelmärchen. Um Mitternacht des 14.November fiel ihm plötzlich ein,
dass er sich in einen unabkömmlichen Geschäftsmann zu verwandeln habe und dass
man seine Inkarnation als Schachspieler bei diesem Turnier leider nicht mehr
angesichtig werden könne. Zum zweiten Mal hintereinander springt Karpov von
einem Turnier ab, bei dem auch Kasparov mitspielt (Sie erinnern sich noch an
das Botvinnik-Memorial?). Ich vermute, dass er des Schachs so überdrüssig ist,
dass er auf diesem Wege allen Turnierorganisatoren in der ganzen Welt nahe
legen möchte, sämtliche Angebote in der Zukunft zu unterlassen. Oder hat
jemand eine andere Erklärung. In einem Interview erklärte Karpov allerdings,
weiter Schach spielen zu wollen.
Blcik auf den Kreml
Hotel Rossija
Eingang zum Turnier
Eingang zum Restaurant “Vasilyevsky”
Aussicht aus dem Turniersaal auf den Kreml
Im Ernst: "Gut unterrichtete Kreise"
versicherten, dass Karpov geschäftliche Verpflichtungen tatsächlich existieren
würden und sogar so seriös seien, dass sie Anatolys Aufmerksamkeit erfordert
hätten. Sein Fehler bestand allerdings darin, trotz dieser Verpflichtungen die
Einladung zu diesem Turnier angenommen zu haben.
Dennoch, die russische Meisterschaft wandelt auch mit 11 statt 14 Teilnehmern
auf den Spuren von Wijk aan Zee und sah gleich in der ersten Runde drei
entschiedene Partien und ein 70-Züge-Remis. Nur Dreev gegen Timofeev gönnten
sich ein Kurzremis. Timofeev servierte mit Schwarz eine Neuerung, die jede
weiße Initiative auslöschte.
Vor dem Turnier sah man drei oder vier
Spieler als Favoriten an: Kasparov, der in der FIDE-Rangliste immer noch
Nummer Eins ist, ob man das gut findet oder nicht; Svidler, der auf der
Olympiade die beste Vorstellung in der russischen Mannschaft gab, Morozevich,
einer der großen Schachhelden 2004 und vielleicht Grischuk, ein immer bestens
vorbereitetes großes Talent. Drei dieser vier gewannen in der ersten Runde
ihre Partien.
Kasparov führte die weißen Steine gegen Bareev, gemäß der Statistik einer von
Kasparovs Lieblingsgegnern. Bareev wählte die Modevariante mit kurzer Rochade.
Vor 30 Jahren hielt man dies für sehr schlecht, doch inzwischen ist sie
anerkannt. Die Idee von Schwarz besteht darin, die weiße Initiative am
Königsflügel durch aktives Spiel im Zentrum und Tausch auszugleichen, bei
schlechter Ausführung wird Schwarz allerdings mattgesetzt. In dieser Partie
schien Kasparov um Zug 23 in schlechterer Position zu sein, doch Bareev
verpasste die beste Fortsetzung (Lxd6 statt f6?) um den Vorteil festzuhalten.
Und so übernahm Kasparov die Initiative. Dennoch war es nicht klar, ob Weiß
auch gewinnen konnte. Laut den letzen Analysen von GM Jakovenko, hätte Schwarz
im Bauernendspiel remisieren können, von dem man zunächst glaubte, dass es zu
einem gewonnenen Endspiel Dame und Bauer gegen Dame führen würde. Das
endgültige Urteil über das scharfe Bauernendspiel lautet also remis. Bareevs
entscheidender Fehler war 38...La3 anstelle des besseren 38...Kg6!. Danach
ließ sich Kasparov den Sieg nicht mehr nehmen, auch wenn das Endspiel noch
durchaus trickreich war.
Svidler muss nach seinen Einsätzen in Brissago und bei der Olympiade
vermutlich sehr müde sein, aber auch dann hält er ein bestimmtes hohes Niveau.
In der ersten Runde spielte er einen sehr professionellen Stil: starke
Eröffnung, früher Ausgleich, Vorteil schaffen nach Fehlern des Gegners und
schließlich Gewinnvorteil erzielen.
Tseshkovsky
Tseshkovsky verteidigte sich tapfer in
verlorener Stellung, doch schließlich fuhr der St. Petersburger Großmeister
den Sieg ein.
Grischuk spielte mit Schwarz gegen seinen Freund Motylev. Eine ultra-scharfe
Variante des Englischen Angriffs stand auf dem Brett. Nach dem thematischen
Qualitätsopfer auf c3 hatte Weiß ausgeglichen. In einem damenlosen
komplizierten Mittelspiel geriet Weiß dann in Nachteil und verlor, nicht
zuletzt aufgrund seiner Zeitnot. Auch bei Bedenkzeiten mit Inkrement gibt es
Zeitnoteinsteller.
Motylev
Witzigerweise waren Grischuk und Motylev zu den elegantesten Spieler der
vergangenen FIDE-WM gewählt worden. Auch hier erscheinen alle Großmeister in
Anzug und Krawatte. Die Organisatoren haben einen Dress-Code verordnet,
worüber auch die Fotografen froh sind. Schach ist ein Sport für Intellektuelle
und deshalb sollten Trainingsanzüge auch verbannt sein.
Morozevich war gegen Epishin den Sieg nahe. Bald nach der Eröffnung war er
klar im Vorteil, doch dann begann Epishin sich wie Petrosian zu verteidigen.
Laut Morozevich-Sekundant IM Barsky hatte Alexander Gewinnvorteil, aber einen
verpassten Gewinnzug konnte man nicht finden. Am Ende hatte sich Epishin einen
halben Punkt erkämpft. Ein verärgerter Morozevich musste am nächsten Tag aber
noch mehr Kummer aushalten.
Dreev
Dreev lag im direkten Vergleich gegen
Morozevich vor dem Turnier bereits mit +2 vorne, allerdings hatte Alexey in
den meisten der Partien die weißen Steine. Am Dienstag hatte der Ratingfavorit
einmal die weißen Steine, doch das Ergebnis war eine vernichtende Niederlage.
Wer dachte, Alexey würde seine üblichen Verteidigungen, Französisch oder
Caro-Kann, wählen, lag falsch: Sizilianisch stand auf dem Brett. Dreev
verzögerte die Rochade und drückte gegen den weißen lang rochierten König. Ein
Schlag folgte auf dem anderen. Die ganze Partie diktierte Dreev das Geschehen.
Der arme Alexander wurde einfach vom Brett gespült. Das war nicht sein Tag.
Aber Morozevich wird sich im Verlauf des Turniers erholen. Er ist jemand, der
mehr gewinnt, aber auch mehr verliert als andere Super-GM.
Zufrieden: Dreev
Die Sieger der ersten Runde verloren alle an Fahrt, allerdings aus guten
Gründen. Den besten Grund hatte Svidler, er war spielfrei. Kasparows
Begründung war, das er immer noch Nummer Eins ist und dass sein Gegner
Korotylev mit Weiß sehr vorsichtig agierte.
Mit der Damenindischen Verteidigung konnte
Kasparov keinerlei Initiative erzeugen. Vielleicht sollte er gegen schwächere
Gegner doch wieder Benoni oder Königsindisch spielen, so wie früher?
In der Partie zwischen Grischuk und Epishin belauerten sich die beiden Spieler
in einem Igel. Weiß, Grischuk, wollte nicht zuviel riskieren und Schwarz kann
im Igel sowieso nur etwas machen, wenn Weiß aktiv wird. Remis im 43.Zug.
Nach erst zwei Tagen können wir schon auf
eine Reihe von interessanten Partien zurück blicken. Mit Kasparov, Grischuk
und Dreev gibt es drei Tabellenführer. Die Organisation ist sehr gut und die
Internetübertragung funktioniert nach Anlaufschwierigkeiten ebenfalls gut,
nachdem man die Bandbreite fressende Webcam ausgeschaltet hat. Pressechef
Alexander Roshal hat das Pressecenter mit der Hilfe seiner Assistenten Eugeny
Atarov, Oksana Kosteniuk und den beiden Titelträgern GM Dmitry Jakovenko und
IM Maxim Notkin exzellent eingerichtet.
Die Spieler kommen und zeigen am Demobrett
ihre Partien.
Eigentlich gibt es nur einen Mangel. Es gibt keine Zuschauer.
Zwar wurden die Preise für die Karten
genannt, doch die Tickets sind noch nicht erschienen. Und Zuschauer ohne
Tickets werden von den Sicherheitsleuten abgewiesen (allerdings nicht auf
spanische Art). Der Turnierdirektor hat versichert, das Problem bald zu lösen.
Wir halten sie über dies und alles andere bei den 57. Meisterschaften auf dem
Laufenden.
Misha Savinov
Misha Savinov