Schacholympiade - Bühne für Opa
und Enkel
Von Dagobert Kohlmeyer
In der Autostadt Turin ist es stiller als sonst. Wo im Oval
Lingotto bei den Winterspielen Eisschnellläufer um die Bahn flitzten, ermitteln
Schachspieler aus 150 Nationen bei ihrer Olympiade die Teamweltmeister von
Männern und Frauen. Am Sonntag stehen die Sieger fest, dann überlassen die
Denksportler rechtzeitig König Fußball die Bühne – etwas weiter nördlich der
Alpen.
Spitzenkampf China gegen Armenien
Russland gegen Ukraine
Der älteste Schachspieler
hier ist über 80 Jahre, die jüngste Teilnehmerin gerade mal 10. William Hook
(Foto)
William Hook (81)
kommt von den British Virgin Islands. Der Schach-Globetrotter
feierte am letzten Sonntag 81. Geburtstag und erlebt seine 16. Olympiade. Bill
spielt am zweiten Brett seines winzigen Landes.
Am Spitzenbrett der Schweiz sitzt seit vielen Jahren eine
Schachlegende: Viktor Kortschnoi, der einst aus der Sowjetunion emigrierte, ist
mit 75 noch immer schachlicher Vorkämpfer seiner Wahlheimat. „Ich spiele hier
meine 15. Olympiade“, sagt Kortschnoi und denkt keineswegs ans Aufhören.
Viktor Kortschnoj feierte in diesem Jahr seinen 75 Geburtstag
Er würde sogar ein Schachbrett mit ins Grab nehmen, hat Viktor
der Schreckliche, wie er in der Szene achtungsvoll genannt wird, einmal zum
Besten gegeben.
Solche Gedanken hegen die kleinen Figurenkünstler naturgemäß noch
nicht. Da ist Elnami Safa aus Libyen (Foto).
Elnami Safa ist die
jüngste Spielerin bei der Olympiade
Sie wurde im Dezember 1995 geboren und ist damit die Jüngste beim
Turnier der Nationen. Noch nie startete jemand im zarten Kindesalter von 10
Jahren bei einer Schacholympiade. Nur wenig älter als die kleine Libyerin ist
Megan Owens aus Wales.
Mit 11 Jahren und fünf Monaten gibt sie hier ihren Einstand in
der großen Schachwelt. Megan stammt aus Chepstow, einer Stadt in Südwales und
hat nach eigener Aussage erst mit 7 Jahren angefangen, Schach zu spielen. Schon
nach kurzer Zeit erfolgte der Sprung ins Nationalteam, was für ein Talent!
Gewonnen hat Megan in Turin auch schon.
12 Jahre und bereits eine Berühmtheit ist die Chinesin Hou Yifan.
Erstmals sorgte sie im Frühjahr bei der Frauen-WM in Russland für
Schlagzeilen, als sie etablierte Großmeisterinnen aus dem Turnier warf. Yifan
kommt aus Jiang Su im Osten Chinas, lebt aber inzwischen in Peking, wo sie die
Sportschule besucht und für eine große Schachkarriere getrimmt wird. In Turin
gibt es für das kluge Mädchen keine Wettkampfpause. Jeden Tag wird es von seinem
Trainer an den Schachtisch gesetzt. Aus neun Partien holte sie sage und schreibe
7 Punkte. Sechsmal gewann die Schachfee aus dem Reich der Mitte, gab nur zwei
Remis ab und büßte einen einzigen Punkt ein. Erleben wir hier die künftige
Weltmeisterin? Wer mit angesehen hat, wie die junge Chinesin am neunten Spieltag
die erfahrene Russin Kowalewskaja nervenstark vom Brett fegte, glaubt mit
Sicherheit daran.
Ein Schachtrainer bringt es auf den Punkt: „Sie sind im zarten
Teenageralter, aber lehren die großen Stars der Zunft schon das Fürchten.“ Bei
den Damen ist es das Ausnahmetalent Hou Yifan, bei den Herren sorgen der
Norweger Magnus Carlsen und der Ukrainer Sergej Karjakin seit einiger Zeit in
den Turniersälen der Welt sowie auch jetzt bei der Olympiade in Turin für
Schlagzeilen.
Carlsen ist längst Nationalheld in Norwegen. Ein Buch über ihn
trägt den Titel „Wunderboy“. Schachgenies von heute wachsen mit den besten
Trainern auf, gehen mit dem Notebook und ihrer elektronischen Datenbank
schlafen. Nicht zuletzt deshalb entfalten sie immer früher ihr Können. Wenn der
Trend so weiter geht, schmücken sich vielleicht bald Schachzwerge im
Kindergarten mit dem Titel Internationaler Großmeister.
Raj Tischbierek ist in Turin Trainer der Schweizer
Frauenmannschaft. Der heutige Chefredakteur von „Schach“ saß bei einer Olympiade
(1990 in Novi Sad) für die DDR am Brett und kann sich an die vor ein paar Tagen
von Uwe Bönsch erwähnte Flaggengeschichte erinnern. „1992 in Manila hat die
Bundesrepublik auch einmal unter DDR-Flagge gespielt“, erzählte er uns. „Sie
haben dort versehentlich die falsche Fahne aufgehängt.“
1998 in Elista, 2000 in Istanbul, 2002 in Bled und 2004 in Calvia
war Tischbierek Coach der DSB-Frauen. Dieses Engagement ist nun zu Ende. Den Job
hat jetzt Großmeister Philipp Schlosser übernommen, mit gutem Erfolg, wie man
sehen kann.
Die deutschen Frauen gegen Weißrussland.
Wie kam der Wechsel zustande, Raj?
Es gibt bestimmt nicht viele Trainer, die viermal hintereinander
in einer Frauenmannschaft tätig sind. Denn immer gibt es in so einem Team ein
paar Probleme. Diese haben dazu geführt, dass mein Wechsel erfolgte. Die
Schweizer Frauen stehen nicht unter Leistungsdruck. Sie spielen mehr aus Freude
am Schach.
Die aus Dresden stammende Gundula Heinatz (Foto),
seit einigen Jahren in der Schweiz lebend, spielt im Team der
Eidgenossinnen.
Zwei Frauentrainer...