One Night in Bangkok, one Day in Meran

von ChessBase
20.10.2020 – Die "Meraner Variante" kennt jeder Schachspieler, auch wenn er sie nie selber spielen würde. Doch wie ist dieses Abspiel der Halbslawischen Verteidigung eigentlich zu seinem Namen gekommen? Roger Lorenz hat die Stammpartien ausgegraben und weiß auch, wo sie gespielt wurden - natürlich im südtirolerischen Kurort Meran. Das im Kurpark von Meran aufgenommene Foto beweist: Unser Autor hat im gerade vergangenen Sommer direkt vor Ort recherchiert!

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Von Roger Lorenz

Seit einigen Jahren machen meine Frau und ich regelmäßig Urlaub in Italien. Gutes Essen, leckere Weine und historische Altstädte haben es uns angetan. Unsere Standardroute führt uns dabei mit dem Auto über Innsbruck den Brenner hinauf zur italienischen Grenze. Hinter der Grenze gibt es dann bei der ersten Gelegenheit einen echten Espresso. Ansonsten sind wir bisher immer ohne weitere Pause bis zum Gardasee durchgefahren.

Dieses Jahr hatten wir uns vorgenommen, auch mal das direkt hinter der Grenze gelegene Südtirol zu besuchen. Daher sind wir dieses Mal schon in Sterzing von der Autobahn abgefahren und nach einer kurzen Stadtbesichtigung über den Jaufenpass zu dem Dorf Tirol weitergefahren. Das Dorf Tirol liegt wiederum nur vier Kilometer von Meran (im italienischen Merano genannt) entfernt. Ein Besuch von Meran darf natürlich bei einem Urlaub in Südtirol nicht fehlen. 

Wenn das hier ein Reiseblog wäre, würde ich jetzt viel Positives zu südtirolerischem Essen und Weinen, E-Bike-Touren, der beeindruckenden Landschaft und historischen Stadtkernen berichten. Da wir hier aber auf einer Schachseite sind, werde ich mich auf schachliche Aspekte beschränken.

Nicht, dass ich dieses Jahr dort unter Coronabedingungen ein Turnier gespielt hätte. Aber Meran hat ja eine bewegte Schachvergangenheit. Die älteren Jahrgänge unter uns werden sich noch an die Schachweltmeisterschaft 1981 in Meran erinnern, bei der Anatoli Karpow 6:2 gegen Viktor Kortschnoi gewann. Auch das vorangegangene Kandidatenfinale zwischen Viktor Kortschnoi und Robert Hübner fand dort statt.

Diese beiden Events haben sicherlich auch dazu geführt, dass es Meran(o) auch in das Musical Chess geschafft hat. Der bekannteste Song aus diesem Musical ist "One Night in Bangkok". Aber das Auftaktstück ist "Merano" und handelt von den Vorbereitungen auf die nächste Schachweltmeisterschaft eben in Meran. Die Bevölkerung preist darin ihre Stadt in den höchsten Tönen. Unter anderem heißt es dort "O sad the soul who passes by Merano". Dem kann ich mich nur anschließen; wenn man in Südtirol ist, auf jeden Fall hin- und nicht vorbeifahren.

Geht man nochmals 60 Jahre weiter zurück, kommt man zu den Meraner Schachturnieren von 1924 und 1926. Zeitgenössische Turnierbücher zu den beiden Turnieren existieren leider nicht. Im Jahr 2014 hat aber der Südtiroler Schachmeister Luca D’Ambrosio ein Buch in limitierter Auflage zu den beiden Turnieren herausgebracht (Die Internationalen Schachturniere zu Meran 1924 und 1926, Rezensionen in SCHACH 10/2014 und KARL 3/2014).

Von den beiden erwähnten Turnieren war sicherlich die Auflage von 1924 stärker besetzt. Teilnehmer waren u.a. Rubinstein, Tarrasch, Grünfeld, Spielmann und Colle. In der Auflistung der bedeutendsten Schachturniere im Jahr 1924 auf Wikipedia steht Meran an zweiter Position nach dem bekannten New Yorker Turnier, das von Emanuel Lasker gewonnen wurde.

Gewonnen hat das Meraner Turnier 1924 Ernst Grünfeld vor Rudolf Spielmann, also ein Österreichischer Doppelsieg. Dritter wurde Akiba Rubinstein. Meine Recherchen zu dem Turniersaal waren nicht erfolgreich. Die Auftaktveranstaltung und die Begrüßung der Teilnehmer fanden aber im Kurhaus von Meran statt, das auch heute noch ein imponierender Anblick ist.

Das Kurhaus in Meran

Aber nicht die beiden Erstplatzierten haben dafür gesorgt, dass der Name Meran heute im Schach so bekannt ist. Dafür war zunächst Akiba Rubinstein verantwortlich. In der dritten Runde des Turniers spielte er mit den schwarzen Steinen folgende Partie gegen Ernst Grünfeld.

 

Diese Partie ist sicherlich nicht die beste Partie von Rubinstein. Dafür hat er zu viele Meisterwerke produziert; man denke dabei nur an seine Siege gegen Georg Rotlewi (Lodz 1907) und J. R. Capablanca (San Sebastian 1911). Aber diese Partie war die Geburtsstunde der Meraner Variante.

Zwei Runden später hatte dann Ernst Grünfeld Gelegenheit, die Variante selber zu spielen. Und wieder war der Schwarzspieler erfolgreich.

 

In der nächsten Runde versuchte dann der Gegner von Ernst Grünfeld ebenfalls die Meraner Variante aufs Brett zu bekommen. Mittels 3.e3 und 4.Sd2 hat Ernst Grünfeld das aber verhindert.

 

In der letzten Runde kam die Meraner Variante über Zugumstellung dann ein weiteres Mal aufs Brett. Ernst Grünfeld stand schon als Turniersieger fest und nutzte die Variante, um ein schnelles Remis zu machen.

 

Insgesamt kam die Meraner Variante somit in Meran 1924 dreimal auf das Brett. Mit einem Score von 2,5 Punkten aus diesen 3 Partien waren die Schwarzspieler sehr erfolgreich und setzten so den Grundstein für eine noch heute sehr populäre Variante.

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Partien, auf die in den Kommentaren referenziert wird:

 

 


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