„Ein Meer von Herzblut fürs Schach-Magazin 64“
Chefredakteur Otto Borik feiert heute 70. Geburtstag
Hartmut Metz: Herr Borik, was machte Ihnen am meisten Spaß beim Schach: Spielen oder darüber schreiben?
Otto Borik: Ich habe mich vor allem immer gerne mit Schach beschäftigt, egal wie, aber im Laufe der Jahre hat es sich verändert. Ich bin eigentlich von Natur her kein Spieler, kann nur Schach spielen, Kartenspiele sagen mir nicht zu. Mit 18 habe ich kurz Bridge gespielt, aber da habe ich mich vor allem für eine Bridgespielerin interessiert - und als daraus nichts wurde, war’s das dann auch mit Bridge. Ab da spielte ich nur Schach. Darin verliere ich nicht gerne und gewinne lieber, wie wahrscheinlich jeder Mensch auch, aber über einen gut gewordenen Artikel freue ich mich mindestens so sehr wie über eine 1 in der Tabelle.
Dann lassen Sie uns erst über eine Kombination aus beidem reden. Das beste Turnierbuch ist jenes über die Olympiade in Buenos Aires 1978?
Dies war unter den satz- und drucktechnischen Aspekten kein Meisterwerk, sondern eher etwas aus dem ersten Lehrjahr. Ich war neu in der Branche und hatte keine Ahnung. Auf diese Buchidee bin ich nicht selbst gekommen. Es hat sich so ergeben: Ich war Mitglied des BRD-Teams für die oben genannte Schacholympiade und wurde nach der Rückkehr bei Mannschaftskämpfen, auswärtigen Blitzturnieren etc. dauernd mit Fragen gelöchert, wie war es in Argentinien, wie war die Olympiade, wer waren die Spitzenspieler, wie sind die denn so und so weiter. Und nachdem ich das alles zum zehnten Mal erzählt hatte, hieß es, warum schreibst du das nicht auf? Siegfried Zill aus Dortmund stieg mit ein, und so kam das Buch heraus. Der eine oder andere Text ist nicht übel, aber die Gestaltung, oh weia!
Zum ersten Mal getroffen haben wir uns in Baden-Baden 1981, beim GM-Turnier, das Miles und Ribli vor Kortschnoi gewannen. Ribli kaufte damals dem Engländer die Hälfte des ersten Preises, einen Mercedes, ab. Ich sammelte damals fleißig Autogramme auf einem weißen Blättchen mit den Konterfeis der Spieler und kurzen Infos. Wie sind Ihre Erinnerungen daran?
Es war schön damals in Baden-Baden, aber eigentlich erinnere ich mich noch lieber an mein letztes internationales Turnier, es war im Wiener Rathaus 1986. Mir wurde in den frühen 80er Jahren klar, dass mein Job die volle Kraft erfordert und dass ich nicht so en passant mit Profis mithalten kann. Ich musste eine Wahl treffen - und sie fiel mir nicht schwer. Beides geht nicht, das Magazin ist mir wichtiger, also hängte ich Schach als Leistungssport an den berühmten Nagel und habe seitdem kein einziges Turnier mit langer Bedenkzeit bestritten, sondern nur zirka zehn Mannschaftskämpfe jährlich und gelegentlich Schnellschach oder Blitz gespielt.
Otto Borik während seiner aktiven Zeit - hier spielt er für die deutsche Nationalmannschaft
Der Abschied in Wien war herrlich, das Feld fantastisch besetzt, jede Menge Topspieler jener Zeit, angeführt von Karpow und Kortschnoi, gegen den ich gelost wurde, natürlich verlor ich, allerdings ein remisliches Endspiel. Ich war stolz, mich gut geschlagen zu haben und ich war froh, meinen Beruf als Schachjournalist dem Schachprofidasein vorgezogen zu haben, denn als Berufsspieler wäre ich allenfalls ein Großmeister mit Elo 2500 oder so geworden; für die höheren Etagen hätte es nicht gereicht.
Ich erinnere mich noch an Folgendes: Früher sah man Sie wie Kortschnoi am Brett rauchen wie ein Schlot – davon gibt es noch immer Bilder, sogar in Ihrem „Meyers Schachlexikon“ ziehen Sie gerade kräftig an der Kippe.
Ich habe dreißig Jahre geraucht und könnte mich deshalb heute noch dafür ohrfeigen. Immerhin habe ich vor rund zwei Jahrzehnten den Absprung geschafft und bin seitdem „clean“.
Otto Borik (rechts, damals immer mit Zigarette) während einer Partie gegen den Hamburger Peter Dankert
Gut, immerhin! Noch im gleichen Jahr holten Sie beim GM-Turnier in Bochum stolze 8/15 und in Dänemark die zweite IM-Norm, so dass Sie den Titel bekamen. Ihr bestes Schachjahr überhaupt?
Ich denke schon.
Wie Kavalek und Hort, die in Bochum mitspielten, emigrierten Sie aus der Tschechoslowakei. Waren Ihre Gründe alle dieselben?
Ich kann nicht für andere sprechen, aber frei leben in einem freien Land wollten wir alle.
Ihre Verbindungen nach Tschechien sind noch immer oder wieder gut?
Ich habe nicht mit Tschechien gebrochen, sondern mit dem Regime. Natürlich konnte ich dann über zwei Jahrzehnte lang Prag nicht besuchen, als „Republikflüchtling“ wäre ich im Knast gelandet. Erst nach der Wende, die fast zeitgleich wie in Deutschland zustande kam, konnte ich gefahrlos zu Besuch hinfahren.
Nie vergesse ich den Tag, als ich auf dem symbolträchtigen Wenzelsplatz stand, wo ich 22 Jahre zuvor als junger Student gegen die sowjetischen Panzer demonstrierte und wo nun freie Menschen flanierten. Und dann war kein Halten mehr, geheult habe ich wie ein Schlosshund.
Das klingt sehr emotional.
Ungeachtet dieses emotionalen Ausbruchs, das vorherrschende Gefühl war nicht, „ich bin wieder zu Hause“, denn Tschechien ist schon lange nicht mehr mein Zuhause. Alles, was mir wichtig ist – meine Frau, meine Arbeit, mein Bekanntenkreis – ist in Deutschland. Das vorherrschende Gefühl war eine Genugtuung, dass diejenigen, die mir mein früheres Zuhause gestohlen haben, weg vom Fenster sind.
Das kann man verstehen. Seit vielen Jahren spielen Sie nur noch in der Oberliga für die SG Bremen. Keine Lust mehr oder ärgert einen doch die nachlassende Leistung?
In der ersten Bundesliga habe ich rund zwei Jahrzehnte gespielt. In der heutigen 1. Bundesliga, die fast schon eine Europaliga ist, hätte ich jetzt nichts zu suchen. In der zweiten Bundesliga ginge es noch, ich wurde auch schon ein paar Mal angesprochen, aber dies reizt mich nicht. Mit dem zunehmenden Alter ist mir eine angenehme Atmosphäre unter Gleichgesinnten und annähernd Gleichaltrigen wichtiger. Das erwähnte Oberligateam der Bremer SG ist eine lockere „Altherrenmannschaft“, der Jüngste ist ein Endvierziger, ich bin mit 70 der Zweitälteste. In meinen jungen Jahren spielte ich in Mannschaften, wo groß diskutiert wurde, wer am ersten Brett spielt oder wer vor wem aufgestellt werden soll. Das ist mir heute sowas von egal und nach meiner Einschätzung auch für meine Mannschaftskameraden kein großes Thema.
Sehr sympathisch. Bekannt sind Sie der deutschen Community ja vor allem als Autor von Werken wie „Meyers Schachlexikon“, Turnierbüchern – aber vor allem seit 1979 als Chefredakteur des „Schach-Magazin 64“. Ihre „Hauptleistung“, wie es auf Wikipedia gar heißt?
Auf jeden Fall stecken im Schach-Magazin 64 einerseits einige zehntausend Arbeitsstunden, andererseits ein Meer von Herzblut.
Welche Unterschiede bei der Arbeit und den Schachzeitungen sehen Sie im Vergleich zu den Gründerjahren?
Das technische Umfeld hat sich gewaltig entwickelt. Die ersten vier Jahrgänge wurden noch auf einer mechanischen, später auf einer elektrischen Schreibmaschine getippt, dann an das Satzstudio und dann Druckerei weitergeleitet, insgesamt sechs Arbeitsgänge waren es. Und diese wurden nach und nach von meiner Frau Annette und mir auf zwei reduziert.
Der Informationsfluss hat sich ebenfalls gewaltig verändert. Heute läuft alles per E-Mail und Internet ab. In den Gründerzeiten des SM64 gab es das nicht und es war nicht einfach, an Informationen wie Partien und Ergebnisse aus internationalen Veranstaltungen heranzukommen. Ich will nur ein Beispiel nennen. So um 1980 und noch etwas später sind wir kurz vor dem Redaktionsschluss immer zum Bochumer Hauptbahnhof gefahren, um dort die jugoslawische Zeitung „Politika“ zu kaufen, die wegen der vielen jugoslawischen Gastarbeiter in einigen deutschen Läden angeboten wurde. Dort konnte man jeden Tag eine ganze Seite mit Schach finden, ich konnte es lesen dank der Muttersprache Tschechisch, Russisch in der Schule und dann versteht man auch viel Serbokroatisch. Und diese Zeitungsseite war die Grundlage für die aktuellen Meldungen, zum Beispiel wenn die WM in Moskau lief. Russischsprachige Zeitungen gab es damals vor dem Eisernen Vorhang nicht, jedenfalls nicht an den für mich erreichbaren Kiosken.
Das Schach-Magazin erschien bis 2006 zweiwöchentlich, inzwischen monatlich. Auch, weil sich das Interesse und die Umstände änderten?
Durch das Internet wurde bei der Schachpresse der Faktor Aktualität weniger bedeutend, also konnte man sich die Druckkosten und Postgebühren für zweimaligen Druck beziehungsweise Versand sparen. Durch das Internet, wo viel zu finden ist, aber auch vieles die „Qualitätskontrolle“ nicht überstehen würde, gewann wiederum der Faktor Qualität der Printmedien an Bedeutung.
Das stimmt. Ich weiß, Sie sind ein angenehm zurückhaltender Mensch, doch sagen Sie uns ein paar Worte zu den anderen bedeutenden Schachzeitungen in Deutschland: Rochade Europa?
Sie machen ihre Zeitung so, wie sie es für richtig halten.
„Schach“ von Raj Tischbierek?
Gleiche Antwort. Ich freue mich über jeden Abonnenten, ziehe aber nicht über die Mitbewerber her. Ich gebe allerdings zu, dass ich bei meinen Reisen immer wieder die Bahnhofsbuchhandlungen aufsuche und wenn ich einen Kunden sehe, der alle Hefte durchblättert und dann meins mitnimmt, dann erscheint mir der Tag irgendwie heller.
Tischbierek, der einen Tag vor Ihnen Geburtstag hat und gestern 55 wurde, dachte schon öffentlich an Rente. Sie sind eineinhalb Jahrzehnte älter. Nicht müde, das Schach-Magazin 64 allmonatlich mit Ihrer 63-jährigen Frau Annette, die als Layouterin und Lektorin fungiert, zu betreuen?
Annette macht noch viel mehr als layouten. Alles, was man so nicht sieht: Stichworte Internetauftritt, Inhaltsverzeichnisse, Tabellen erstellen und so weiter. Ich bin zwar seit der Gründung des SM64 dabei, aber nach nur zehn Monaten war sie schon mit an Bord. Seit 37 Jahren ist das SM64 unser gemeinsames Werk. Deshalb ist die Frage, wie lange noch SM64, nur so zu beantworten: Solange bei uns beiden der Kopf noch funktioniert. Ich hoffe, noch lange.