18.05.2017 – Wer ist eigentlich der beste Spieler aller Zeiten? Wer würde gewinnen, wenn alle 16 Weltmeister der Schachgeschichte, Philidor, Labourdonnais, Anderssen und Morphy in einem Turnier gegeneinander antreten könnten? Wie erfolgreich wären Steinitz, Lasker oder Capablanca heute? Solche Fragen kann man nicht wirklich beantworten, heftig diskutiert werden sie trotzdem.
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Aber es ist schwer, das Können und das Talent eines Spielers von dem Schachverständnis seiner Zeit zu trennen. Lässt man die Partien der besten Spieler der Vergangenheit und Gegenwart durch einen Computer analysieren, um herauszufinden, welche Spieler die besten Züge gemacht haben, dann schneiden moderne Spieler besser ab. Ihre theoretischen Kenntnisse sind größer, sie machen in der Eröffnung weniger Züge, die dem Computer nicht gefallen, und ihr generelles Schachverständnis ist höher, nicht zuletzt, weil sie von ihren Vorgängern gelernt haben.
Der amerikanische Statistiker Jeff Sonas hat versucht, die Spielstärke der besten Spieler der Vergangenheit greifbar zu machen und historische Elo-Zahlen für Steinitz, Lasker & Co. berechnet. Die Ergebnisse findet man auf der Seite chessmetrics.com. Aber auch Sonas hat keine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem besten Spieler aller Zeiten. So gibt Chessmetrics Bobby Fischer die höchste Elo-Zahl aller Zeiten, während Emanuel Lasker länger die Nummer eins der Welt war als jeder andere Spieler vor oder nach ihm. Doch so manche historische Zahl überrascht: So hatte Tarrasch laut Chessmetrics im Juni 1895 eine Elo-Zahl von 2824 und liegt damit noch vor Spielern wie Smyslov, Tal, Petrosian, Spassky, Euwe, Bronstein oder Keres.
Wer den Zahlen nicht traut, dem bleibt die Intuition. So stieß Gisbert Jacoby, der den historischen Teil der ChessBase Mega Database 2017 bearbeitet und um zahlreiche Partien ergänzt hat, auf Partien, die Paul Morphy als Jugendlicher gespielt hat, und diese Partien waren so beeindruckend, dass Jacoby glaubt, Paul Morphy war bereits mit 12 der beste Spieler Amerikas und einer der besten Spieler der Welt.
So spielte Morphy 1850 eine Reihe von freien Partien gegen Johann Löwenthal, laut Chessmetrics von Oktober 1858 bis April 1859 die Nummer zwei der Welt. Morphy gewann diesen inoffiziellen Wettkampf. 1858, während Morphys Europatournee, spielten die beiden in London noch einmal gegeneinander, dieses Mal einen offiziellen Wettkampf. Morphy gewann mit 6 Siegen, 3 Niederlagen und zwei Remis. Doch schon Partien von 1850 zeigen, wie groß das Talent Morphys war.
Paul Morphy (links) und Johann Löwenthal während ihres Wettkampfs in London 1858
Auch die erste Partie Morphys, die je veröffentlicht wurde, spielte er mit 12. Sein Gegner war Eugène Rousseau, ein Franzose, der in Amerika lebte. Rousseau spielte 1845 gegen den Engländer Charles Stanley einen Wettkampf um die amerikanische Meisterschaft, den Rousseau mit +8, -15 und =8 verlor. Hier die Partie Morphy gegen Rousseau.
Talent ist eine Sache, aber damit es sich entfalten kann, müssen auch die Bedingungen stimmen. Die waren bei Morphy günstig. Er wurde am 22. Juni 1837 als Sohn einer wohlhabenden Bürgerfamilie in New Orleans geboren. Ernest, der Bruder des Vaters, zählte zu den besten Spielern Amerikas und die Familie spielte gerne und oft Schach. Außerdem hatte Alonzo Morphy, der Vater von Paul Morphy, eine große Bibliothek, durch die Morphy alle wichtige Schachliteratur der damaligen Zeit zur Verfügung stand. Zeitgenössischen Berichten zufolge scheint Morphy ein fotografisches Gedächtnis gehabt zu haben – er behielt alles, was er einmal las.
Die folgende Partie spielte Morphy an seinem 12. Geburtstag gegen seinen Onkel Ernest. Morphy spielte blind, ohne Ansehen des Bretts.
Partien wie diese verraten das enorme Talent Morphys. Aber die Frage, ob er heute gegen heutige Spitzenspieler bestehen würde, können sie natürlich nicht beantworten.
Gisbert Jacoby und Karsten Müller über Paul Morphy
Johannes FischerJohannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".
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