Eva Moser: Phantasie statt Theorie: 1.d4 c5
Rezension von Lukas Wedrychowski
Eva Moser ist österreichische Großmeisterin und mit ihrer höchsten ELO von
2471 beste Schachspielerin Österreichs sowie unter den besten 50 der
Frauenweltrangliste. Für die Firma ChessBase stand die erfahrene Spielerin
mehrmals vor der Kamera und hat in der Vergangenheit zahlreiche DVDs
aufgezeichnet. Mit ihrer neuesten DVD, die der Verteidigung 1.d4 c5 gewidmet
ist, präsentiert sie ein komplettes Repertoire für Schwarz gegen den weißen
Aufschlag mit 1.d4!
Das Konzept der DVD ist glasklar: wenig Theorie, mehr Phantasie bzw. Kreativität
am Brett, ein sehr praktischer Ansatz an das Schach. In dieser Rezension würde
ich gerne aufzeigen, ob und wie es Frau Moser gelingt, an Ihrem Konzept
festzuhalten und das auf der DVD versprochene Repertoire theoriearm und dafür
reich an Motiven und Ideen, die allesamt Phantasie erfordern, zu halten.
Zunächst einmal würde ich gerne etwas über das vorgeschlagene System sagen,
welches auf der DVD besprochen wird. Mit dem Zug 1.d4 c5 spielt Schwarz sehr
ambitioniert. Er greift einen Zentrumsbauern mit einem Flügelbauern an, droht
bereits auf d4 zu nehmen und wenn die Dame wiedernimmt, mit dem Springer auf c6
ein Tempo für die Entwicklung zu gewinnen. Schwarz hätte dann leichten
Entwicklungsvorsprung und eine Zentrumsmehrheit. Weiß kann auf diese „Drohung“
auf verschiedenste Art und Weise reagieren:
- A) 2.e3 / c3 – den Bauern auf d4 zu stützen und gegebenenfalls mit dem
Bauern wieder zu nehmen
- B) 2.Sf3 – auf Figurenentwicklung zu setzen und sich nicht um die
Drohung im Zentrum zu kümmern.
- C) 2.dxc5 – das Herausschlagen des Bauern auf c5 begünstigt in der Regel
Schwarz, da Weiß nicht am Material klammern kann und somit die positionelle
Drohung des Schwarzen bereits realisiert wurde, eine Zentrumsmehrheit zu
bekommen. Schwarz sollte hier laut GM Moser mit …e7-e6 fortfahren um den
Bauern mithilfe des Läufers zurückzuerobern.
Gegen all diese minderwertigen Varianten hat Schwarz genügend Spiel um selbst
zumindest auf Ausgleich zu hoffen. Der kritische Zug ist der Vorstoß des Bauern
nach d5, von wo aus er mehr Raum greift und die schwarze Entwicklung etwas
hemmt. Nach der Antwort …d7-d6 (der Bauer muss da sowieso hin und Schwarz kann
sich nach diesem Zug darum kümmern, seine Figuren je nach Plan aufzustellen) hat
Weiß mehrere Möglichkeiten im Zentrum vorzugehen. Er kann c2-c4 einschalten, was
zu einem Benoni Typ führt oder aber c2-c4 zurückhalten und stattdessen e2-e4
spielen um eventuell ein Läuferschach von b5 aus einzuwerfen, was den
„schlechten Läufer“ abtauscht und gleichzeitig die Entwicklung vorantreibt.Schwarz bekommt hier nicht nur typische Pläne mit auf dem Weg, die in Benoni
Stellungen wichtig sind, sondern auch unterschiedliche taktische Fallen mit
denen er seinen Gegner überrumpeln kann.
Nach der Zugfolge 1.d4 c5 2.d5 d6 3.c4 e5!? baut Schwarz eine königsindische
Bauernformation auf, die den schwarzfeldrigen Läufer zu einem „schlechten
Läufer“ degradiert. Ein Plan, um mit solch einem Läufer umzugehen, ist ihn gegen
eine gleichwertige oder höherwertige Figur abzutauschen oder aber außerhalb der
Bauernkette zu platzieren. Daher ist das thematische Manöver ….Le7-g5 um ihn
gegen den schwarzfeldrigen Läufer auf c1 abzutauschen, eine wichtige Idee mit
der sich Schwarz entlasten kann. Die königsindische Formation ermöglicht häufig
jedoch auch einen Bauernsturm am Königsflügel und gibt Schwarz somit gute
Chancen auf den vollen Punkt zu spielen.
Aber 3…e5 ist nicht die einzige Repertoireempfehlung auf dieser DVD. Um
möglichst flexibel zu sein und wirklich sein gesamtes Stellungswissen zur
Geltung bringen zu können, werden zwei weitere Varianten für Schwarz
präsentiert. 3…g6 ist ein sehr flexibler Zug, mit dem Schwarz sich offen hält,
nach …Sf6 in die modernen Benoni-Varianten überzuleiten (nach …e7-e6 und …exd5),
aber auch andere Ideen gibt. Als „backup“ zu den anderen Zügen, wird auch noch
der Überraschungszug 2…f5!? ergänzt, der wiederum zu einem komplett neuen
Stellungsbild führt, nämlich einer Mischung aus Benoni und Holländisch. Die
verschiedenen Motive und Ideen, die man in den einzelnen Clips lernt, helfen
Ihnen sich in den verschiedensten Strukturen und Stellungsbildern
zurechtzufinden und immer einen Plan parat zu haben. Dies kann Zeit sparen und
häufig auch die Wendung in der Partie sein, denn wie man auf der DVD sehen kann,
haben auch Titelträger Schwierigkeiten den richtigen Plan zu finden, was Schwarz
die Möglichkeit gibt das Schicksal der Partie in die eigene Hand zu nehmen.
Abschließend zum „Theorieteil“ gibt es noch einige Übungsstellungen, in denen,
nach einer kurzen Einführung Seitens der Autorin, der Zuhörer selber zu den
Figuren greifen darf. Die Teststellungen sind wichtig um zu sehen, ob man die
verschiedenen Ideen, die in den „Theorieclips“ gezeigt wurden, richtig abrufen
und im gegebenen Moment anwenden kann. Dies vertieft das Gefühl für die Stellung
und erweitert das eigene Arsenal an Ideen und Plänen.
Frau Moser gelingt es meiner Meinung nach sehr gut, den Zuhörer mit ihrem
österreichischen Akzent und der ruhigen Stimme an den Bildschirm zu fesseln und
somit die Aufmerksamkeitsspanne konstant aufrechtzuhalten. Dies wird häufig bei
den DVDs kritisiert, ist hier jedoch keineswegs ein Problem, da die einzelnen
Clips nie langweilig werden und der Schachfreund konstant angeregt wird etwas
Neues zu lernen.
Fazit:
Die DVD enthält, was sie verspricht. Der Schwerpunkt liegt auf dem
Verständnis der Stellungen, was schon einmal ein großes Plus ist! Zusätzlich ist
die DVD reich an Abspielen und gibt gegen alle Antworten von Weiß ein Rezept mit
auf den Weg. Wer plant, dieses System als Hauptwaffe zu integrieren, wird sich
über die verschiedenen Repertoireerweiterungen freuen, mit denen eine
Vorbereitung für den Gegner noch schwieriger wird. Meine Empfehlung geht an
Spieler ab ELO 1600, da ein gewisses taktisches Auge nötig ist und ein
positionelles Gespür nicht fehlen darf. Die Stellungen sind komplex und bieten
beiden Seiten Chancen, was es zu einer guten Waffen macht, wenn man auf Sieg
spielen will!
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