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Was macht eigentlich James Vigus?
Von Frank Große
Zumeist klagen die hiesigen Vereine über den Abgang junger, talentierter
Spieler, die wegen eines Studiums oder des Broterwerbs den Wohnort wechseln oder
sich gar im Ausland aufhalten. Es geht auch in umgekehrter Richtung: James Vigus,
der englischsprachige Autor mehrerer Eröffnungsbücher, hat seinen Wohnsitz
derzeit in Deutschland und hilft dabei, die Oberliga durcheinander zu wirbeln.
Wie kam es dazu?
Foto: Archiv James Vigus
„Als ich 2004 an meiner literaturwissenschaftlichen Promotion an der Universität
in Cambridge arbeitete, hatte ich einen Aufenthalt in Berlin, um die deutsche
Sprache zu lernen und die philosophischen Quellen des romantischen
Schriftstellers Samuel Taylor Coleridge zu erforschen. Dadurch habe ich mich
zunehmend für den deutschen Idealismus und die vergleichende
Literaturwissenschaft interessiert.“ Nach der erfolgreichen Promotion geriet der
junge Doktor der Philosophie in Jena auf die Spuren des weitgehend unbekannten
englischen Schriftstellers Henry Crabb Robinson, der dort um 1800 Philosophie
studierte und dessen Essays und Tagebücher das Interesse von James Vigus
weckten.
Etwas haben Robinson und Vigus gemeinsam: das Schachspiel zählt zu den
bevorzugten Freizeitaktivitäten beider. Während über Robinsons Qualitäten nichts
weiter bekannt ist, nimmt Vigus zu seinem Werdegang Stellung: „Mein Vater hat
mir Schach mit 6 Jahren beigebracht, und als Kind wurde ich vom englischen
Großmeister Chris Ward trainiert. Damals gewann ich mehrere Titel der Britischen
Juniorenmeisterschaften, der FM-Titel kam 1997, als ich auch die Londoner
U-21-Meisterschaft gewann. Als Student habe ich dann relativ wenig Zeit fürs
Schach gefunden, spielte aber regelmäßig bei dem IM-Turnier „Smith and
Williamson Young Masters“ und für Cambridge gegen Oxford im Universitätsmatch.
Bei diesen Wettkämpfen habe ich 4½ aus 6 erreicht – die letzte Partie gegen Luke
McShane hat meinen ungeschlagenen Rekord beschädigt!“
Derzeit arbeitet er als Postdoctoral Research Fellow
http://www.anglistik.uni-muenchen.de/personen/wiss_ma/vigus/index.html
beim Lehrstuhl für Englische Philologie (Lehrstuhl Prof. Christoph Bode) an der
Ludwig-Maximilians-Universität München
http://www.english.qmul.ac.uk/drwilliams/people/index.html#vigus.
Er zählt damit zu 21 Nachwuchsforschern, die im Rahmen des Zukunftsprojektes LMUexcellent kurz nach ihrer Promotion für zwei plus zwei Jahre ein selbst
gewähltes Forschungsthema bearbeiten. Dass die Research Fellowships als
Plattform zur Vertiefung des individuellen wissenschaftlichen Profils verstanden
werden, beweisen sowohl die finanziellen Zuwendungen, wie auch der Anspruch der
Akademie. Vigus erforscht den Einfluss der Aufenthalte von Robinson und
Coleridge in Deutschland, die hier mit der idealistischen Philosophie in
Berührung gerieten, in Bezug auf die englische Romantik.
Nach der
Forschungsarbeit im Rahmen der Exzellenzinitiative (Deutsche
Forschungsgemeinschaft), die noch voraussichtlich 3 Jahre in Anspruch nimmt,
strebt er eine Daueranstellung im selben Fachbereich an: „In Deutschland würde
ich sehr gerne langfristig wohnen, aber Großbritannien, Holland oder Italien
wären auch nicht auszuschließen. Letztlich entscheidet, wie sich der
Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren entwickelt.“ Mit seiner Frau Cecilia Muratori, die Italienerin ist, verweilt er des Öfteren im Dreieck
England-Deutschland-Italien. Auch sie arbeitet derzeit als Research Follow und
untersucht die philosophische Debatte über die Seele der Tiere in der
Renaissance: „Ich will unter anderem herausarbeiten, wo die Philosophen der
Renaissance die Grenze zwischen Menschen und Tieren ziehen, und dabei
rekonstruieren, welche Rolle die Überlegungen zur Natur der Tierseele in diesem
Kontext spielen.“ (Zitat: Münchner Uni-Magazin 01/2010)
Trotz des Lebensmittelpunktes München spielt er für Schott Jenaer Glas in der
Oberliga. Hilfreich für diese Liaison war die wissenschaftliche Betreuung des
Jenaer Institutsdirektors für Philosophie, Prof. Klaus Vieweg, der aktives
Mitglied bei Schott ist. Aus der angenehmen engen Verbindung zwischen Uni und
Mannschaft wurde eine erfolgreiche Ehe: „Letztes Jahr gelang es uns, die
Thüringenliga zu gewinnen und in die Oberliga aufzusteigen. In dieser Saison
habe ich leider kaum mitspielen können, aber trotz des Underdog-Status gewannen
wir recht viele Wettkämpfe! Ich würde gerne in der zweiten Bundesliga spielen –
ob das realisierbar ist, hängt hauptsächlich von meiner beruflichen Tätigkeit
ab. Langfristig denke ich daran, den IM-Titel zu erlangen, was bedeutet, dass
ich meine praktische (statt lediglich analytische) Spielstärke verbessern
möchte. Zum Glück muss ein Schachspieler mit 31 Jahren auch heutzutage nicht wie
bei manchen Sportarten schon am Gipfel seiner Laufbahn sein...“
Foto: Archiv James Vigus
Bevor er zum Schachautor wurde, trug er jahrelang mit seinen Rezensionen im
British Chess Magazine zur Gestaltung dessen Bücherecke bei. Seit 2006 schreibt
er für den Verlag Everyman im Segment der Eröffnungsbücher, die sich zumeist mit
Flankeneröffnungen, wie Pirc oder der Modernen Verteidigung, aber auch Slawisch
auseinandersetzen. Auf die Frage, wie es dazu gekommen ist und ob er nach
Veröffentlichung seinen Systemen Vertrauen schenkt, antwortet er wie folgt:
„Dieses Engagement ist dank der Freundschaft und langfristigen Zusammenarbeit
mit den Everyman-Herausgebern Richard Palliser und John Emms entstanden.
Vertrauen habe ich auf jeden Fall immer noch in diese Systeme! In „Slawisch für
Schwarz und Weiß“ (ein seltsamer - vom Verlag für die deutsche Fassung gewählter
- Titel für ein Schwarz-Repertoire!) habe ich eine von Ivan Sokolov entwickelte,
damals ungewöhnliche Antwort für Schwarz gegen die Hautvariante (1 d4 d5 2 c4 c6
3 Sf3 Sf6 4 Sc3 dxc4 5 a4 Bf5 6 Se5 Sbd7 7 Sxc4 Sb6!? 8 Se5 a5) untersucht, die
ich für Amateure sehr praktisch halte. Der Wert dieser Empfehlung ist m. E.
seitdem bestätigt worden, indem sie zu einer Lieblingsvariante beim Elite-Niveau
geworden ist – ohne dabei ein theoretischer Dschungel zu werden. Da ich selber
relativ selten spiele, ist es mir wichtig, praktische Eröffnungsvarianten
auszuwählen: D.h. diejenigen, die so aussichtsreich wie möglich zu einem
reichen, balancierten Mittelspiel führen, die keine großartige Gedächtnisarbeit
voraussetzen und die keine forcierten Remis erlauben.“
Anders hingegen bei den Büchern der Reihe „Gefährliche Waffen“, dessen
Empfehlungen und Erfolgsaussichten teilweise vom Überraschungsmoment leben. Die
Arbeitsweise gestaltet sich von Projekt zu Projekt differenziert: „Als ich das
Buch „Pirc für Schwarz und Weiß“ schrieb, litt Schwarz bei vielen Varianten
angeblich unter theoretischen Schwierigkeiten. Ich habe mich mit der Vielfalt
von Repertoire-Büchern für den weißen Spieler auseinandergesetzt, alle Varianten
mit Hilfe von Rybka und Fritz geprüft und versucht, einen objektiven Überblick
der gesamten Eröffnung zu erhalten und in der eigenen Publikation zu bieten.
Immerhin glaube ich zum Beispiel, dass die „naive“ Rochade 1 e4 d6 2 d4 Sf6 3
Sc3 g6 4 Le3 (ein modischer Zug gegen die Pirc-Verteidigung) 4…Lg7 5 Dd2 0-0!?,
als ebenso gefährlich für Weiß wie für Schwarz gilt!“
Durch diese intensive Arbeit ist ihm bewusst geworden, welche Defizite
Schachprogramme beim Eindringen in die Tiefe von Schacheröffnungen vorweisen:
„Wichtig für einen Buchautor ist es, Meister statt Sklave der Softwares zu sein.
Ich habe 6 Monate sehr intensiv am Pirc-Buch gearbeitet. Eine längere
Arbeitsphase wäre für ein solches Eröffnungsbuch kaum praktisch, da der Stand
der Theorie sich zu schnell entwickelt. Dagegen habe ich im Slawisch-Buch
meistens eher strategische Stellungen behandelt, wobei ein Hauptziel darin
bestand, musterhafte Beispiele auszuwählen und diese verbal zu erläutern, was
ich als Literaturwissenschaftler gerne tue! In dieser Hinsicht habe ich viel von
den wunderbaren Büchern von Mihail Marin gelernt.“
Im vergangenen Jahr hat er wegen der neuen Münchener Arbeitsstelle kaum
gespielt. Da aber dieser Zeitraum ganz ohne Schach nicht vorstellbar ist,
konzentrierte er sich darauf, zwei Kapitel über eine bisher unterschätzte
Variante des Leningrader im Holländisch zu verfassen. Die Variante, die den
Namen ‚Christmas Tree‘ trägt und nach 1. d4 f5 2. g3 Sf6 3. Lg2 g6 4. Lg2 Lg7 5.
0-0 0-0 6. c4 d6 7. Sc3 e6 entsteht, versucht als Konzept typische
Mittelspielstellungen des Leningrader zu erreichen und dabei der schärfsten
weißen Angriffsmöglichkeit, frühen d4-d5, zu entgehen. Diese sind im Buch
„Dangerous Weapons: The Dutch“ erschienen, ein Buch, das in Zusammenarbeit mit
Richard Palliser und Simon Williams entstand.
Da er sich beim Spiel am Brett als zu perfektionistisch einschätzt oder ihm
seine „akademische“ Denkweise bisweilen in frustrierende Zeitnöte und
Schwierigkeiten bringt, hat er seine große Begeisterung am Analysieren und
Forschen. Die ästhetische Erfahrung überträgt er aber auch gern auf andere
Spiele, wie zum Beispiel Abalone oder Carcassonne, während er die Attraktion von
Poker nicht nachvollziehen kann. „Meine Interessengebiete sind also Literatur,
Philosophie und Schach. Bei diesen drei Bereichen ist die Denkweise genügend
differenziert, damit man gerne von einem zum anderen springt, aber alle drei
haben auch viel gemeinsam – etwa Strategisches und ‚pattern-based thinking‘.“
Dass er sich technischen Themen nicht gänzlich verschließt, wird deutlich, wenn
er seine zum Teil etwas überraschenden Ansichten über den Stand und die Zukunft
des Schachsports äußert: „Die Frage nach der Zukunft von Schach ist immer mit
der Frage vom Fortschritt der Computer-Programme verbunden. Dabei bin ich ganz
optimistisch: Denn die Maschinen helfen uns, unsere Spielstärke zu verbessern,
liegen aber immer noch weit hinter uns. Das heißt: je langsamer das Partietempo,
desto vergleichsweise stärker wird der Mensch. Beim Blitzschach schlägt der
Computer meistens den Elite-GM; bei einer 5-Stündige Partie hat der GM noch
einige Chancen; bei einer Fernschachpartie wäre aber der GM deutlich Favorit,
denn Fritz und Co. sind letztendlich kurzsichtig. Leider wird das diesen nie vor
Augen geführt, denn so etwas wie Topalow versus Rybka im „Advanced Fernschach“
wäre kein großartiges Spektakel! In diesem Sinne hat vielleicht Mikhalchishin
Recht, der neulich von einer „post-Carlsen“ Generation sprach, die mehr
unabhängig von Engines trainiert.“
Seine 'beste eigene Partie' bleibt aus seiner Sicht immer noch zukünftig.
Dennoch erinnert er sich gerne an seine erste Begegnung (außer beim
Schnellschach) mit einem Großmeister, als er 16 Jahre alt war:
Conquest,Stuart (2550) – James Vigus (2075), Hertfordshire 1994 (Kommentare:
James Vigus)
1.e4 d6 2.d4 Sf6 3.f3 e5 4.d5 Le7 5.Le3 0–0 6.Se2 Se8?! [Eine sehr
seltene Position. 6...c6 ist mehr aktiv, wie auch 7...Lg5 im nächsten Zug]
7.Sbc3 Sd7 8.Dd2 h6 9.0–0–0 Lg5 10.h4 Lxe3 11.Dxe3 Kh7 12.g3 [Die Idee meines
letzten Zuges war, 12.g4 mit 12...g6 zu begegnen, aber 13.g5 h5 14.f4 verspricht
Weiß einen Vorteil, denn ein Opfer auf h5 kommt immer in Betracht.] 12...a5
13.Lh3 Sc5 14.f4? Weiß schwächt das Feld g4 und übersieht dabei meine Ressource
- g3-g4 war immer noch ein besserer Plan. 14...Lxh3 15.Txh3 Sf6! 16.fxe5 Sg4
17.Df4 Sxe5 18.g4 Dd7 19.Tg1 [19.Tg3 b5 20.Df5+ Dxf5 21.exf5 b4 garantiert Weiß
keinen Ausgleich.] 19...h5 20.Sd4?! [20.Df5+ Dxf5 21.gxf5 war die letzte
Möglichkeit, ein sicheres Endspiel zu erreichen.] 20...hxg4! Der Springer
verbleibt im Zentrum - ein glückliches Feld! 21.Sf5 Dd8 22.Thg3 Df6 23.h5 Th8
24.Th1 Kg8 25.Sb5 [Notwendig war, die unglückliche Lage seiner Dame zu
verbessern, etwa 25.De3.] 25...Tc8 26.Sbd4 Kf8
Hier fühlte ich mich zum ersten Mal in der Partie optimistisch, da Conquest nur
4 Minuten hatte, um die Zeitkontrolle im Zug 42 zu erreichen. Zudem habe ich
meinen Mehrbauer konsolidiert und stehe klar besser. Aber einen so raschen
Gewinn hatte ich nicht erwartet... 27.Txg4?? Scd3+! 0–1