Es meldet sich Ihr Korrespondent, GM Sergey Kasparov, aus Osteuropa mit
seinem Abschlußbericht über die weißrussische Meisterschaft.
Es schneit hier weiterhin, aber für uns in Weißrussland ist das im Winter
völlig normal. Alles geht seinen gewohnten Gang. Der Flughafen ist geöffnet,
kein Verkehrschaos und auf den Straßen sieht man unsere hübschen Frauen.
Bevor ich auf den schachlichen Part eingehe, möchte ich Ihnen mein Land
noch etwas vorstellen. Ich denke es wird objektiv sein, da ich selber schon
über 30 Länder bereist habe. Leider sollen auch in nächster Zeit keine
interessanten Turniere in Weißrussland stattfinden. Ab 2012 dürfte alles
einfacher werden. Bis dahin benötigt man nämlich noch ein Visa, danach
hoffentlich nicht mehr. Ein Visa kostet in Deutschland 60 Euro und ist
wahrscheinlich für Deutsche nur in Berlin zubekommen. Natürlich können Sie
es auch für 180 Euro in Minsk am Flughafen erwerben. Aber nach den
vorliegenden Informationen im Internet kann man Weißrussland ab 2012 ohne
Visa besuchen.
Folgende Sehenswürdigkeiten kann ich Ihnen empfehlen. Wenn Sie mit dem
Zug oder dem Auto reisen, macht es Sinn, mindestens einen Tag in der
Grenzstadt Brest zu verweilen. Das Denkmal an die Festung von Brest, eines
der größten Monumente als Mahnmal an den 2. Weltkrieg, wird Sie
beeindrucken. Es ist nicht überraschend, dass viele Denkmäler in meinem Land
an diese Zeit erinnern, da 25% der Bevölkerung zwischen 1939-1945 starben.
Am selben Tag können Sie auch noch den “Bialowieza Forest“ besuchen.
Danach können Sie unsere Hauptstadt besichtigen. Mit dem Zug sind es 4-5
Stunden. Keine Angst, unsere Züge sind recht ordentlich. Aber wenn Sie ganz
sicher gehen wollen, dass Sie keine unangenehmen Überraschungen erleben,
dann buchen Sie den Schlafwagen. Die Fahrkarte innerhalb Weißrusslands sind
sehr preiswert, 10-15 Euro. Nur internationale Tickets sind sehr teuer.
Versuchen Sie, ein Hotel immer im voraus zu reservieren. In der jüngsten
Zeit hat sich die Hotelsituation etwas entspannt. Früher waren die Preise
unterschiedlich. Ein Weißrusse zahlte z.B. 10 Euro. Ein Bürger der
ehemaligen Sowjetunion 20 Euro und ein Westbürger 50 Euro. Heute sind die
Preise einheitlich. In meinem Heimatort, Mogilev, kostet ein Doppelzimmer
maximal 15 Euro. In Minsk ist der Preis etwas höher. Unsere Hotels haben 2-3
Sterne.
Leider gibt es da auch noch die Sprachbarriere. Nur etwa 20 % der
Einwohner können eine weitere Sprache außer russisch, meist sind das die
jüngeren Leute unter 20 Jahre.
Ich habe auch eine schöne Eilmeldung: Die weißrussischen Schachspieler
sind wieder in der ELO-Liste aufgenommen!
Zur Meisterschaft: Das Turnier der Männer findet in einem komfortablen
Saal vom “Palace of Chess” statt. Der Saal hat Platz für 300 Zuschauer.
Die Demo-Bretter sind antik. Die Figuren bewegen sich nicht automatisch,
wie bei den meisten anderen Turnieren in Europa. Kinder führen die Züge per
Hand an den Brettern aus. Es hat aber auch einige Vorteile. Z.B. ermüdet
der Zuschauer nicht so schnell, wie beim stundenlangen schauen auf einen
Monitor. Und die technischen Übertragungsfehler fallen auch weg! Allerdings
in Zeitnot haben die Jungs nicht immer die Zeit alle Züge zu zeigen. Wie
auch immer, als Teilnehmer der Meisterschaft in den letzten Jahren, empfand
ich es als angenehm in den Zuschauerraum zu gehen und alle Stellungen
gleichzeitig zu studieren und natürlich auch über meine Stellung
nachzudenken, während mein Gegner über meinen letzten Zug nachdachte.
In meinem Vorbericht habe ich noch gesagt, dass die Spitzenspieler den
Titel unter sich ausmachen. Ich habe mich geirrt. Die Sensation ist
eingetroffen.:
Evgeniy Podolchenko ist neuer weißrussischer Champion!
Evgenie Podolchenko - ELO 2450
Nachdem er den Titelverteidiger Sergey Zhigalko in der Runde 4 geschlagen
hatte, konnte ihn keiner mehr stoppen. 2 Runden vor Schluss hatte er 1,5
Punkte Vorsprung, allerdings noch mit Fedorov und Azarov zwei Großmeister
mit über 2600, die selber noch den Titel holen konnten. Doch beide Spieler
waren friedlich gestimmt, so dass er verdient mit 8 aus 11 gewann. Es dürfte
nur eine Frage der Zeit sein, wann er den Titel eines Großmeisters erlangt.
Podolchenko,Evgeniy (2450) - Zhigalko,Sergei (2668)
34...Nxf4! 35.exf4 e3 36.Re1 exf2+ 37.Kxf2 Ne4+ 38.Kg1 Rc7=/+ 39.Nd3
Rc4 40.Qa3 Qc8 41.Ne5 Rxa4!-/+ 42.Qc1 [42.Qxa4 Qc5+ 43.Kh1 Nf2+ 44.Kg1
Nh3+ 45.Kh1 Qg1#] 42...Qb7?! [42...Qf8; der einfachste Zug, 42...Qxc1
43.Rxc1 Nc5-/+ ] 43.Rd1 Ra2 44.Nc6 Bb3 45.Bc4 Rc2 46.Qb1 Rxc4
[46...Rxg2+!? 47.Kxg2 Bxc4] 47.Qxb3 Rxc6 [47...Rc5 48.Qe6 Nf6
і]
48.bxc6 Qxc6 49.Qd5 Qc8 Schwarz hat genügend Kompensation, aber auch
nicht mehr. 50.Qe5 a5 51.h3 a4 52.Kh2 Nf6? [52...Kg6] 53.Rd6 Qc2
54.Rxb6 a3 55.Rb7 [55.Ra6 a2 56.Qe6] 55...Qe4? [55...Nh5!?]
56.Qxe4 fxe4 57.Ra7 Nd5 58.g3 h5 59.Rxa3 e3 60.h4 e2 61.Ra1 Nc3 62.Re1 Kg6
63.Kg2 Kf6 64.Kf2 Ne4+ 65.Kf3 Nc3 66.Rg1 Kf5 67.Ke3 Kg4 68.Kf2 g6 69.Ke3 Kh3
70.Kf3 Kh2 71.Re1 Nb5 72.Rxe2+ Kh3 73.Rd2 Nc3 74.Rd6 1–0
Sergey Zhigalko, U-20 Vize-Weltmeister, und Alexey Fedorov siegten in der
letzten Runde und belegten damit die Silber- und Bronzeränge.
Von links nach rechts: Sergey Zhigalko, Evgenie Podolchenko,
Alexey Fedorov.
In Runde 2 kam es zum direkten Duell der Beiden. Ein sauber
rausgespielter Sieg von S.Zhigalko. Allerdings fällt es mir nicht leicht den
Sieg zu kommentieren. Fedorov ist der einzige Vertreter aus meinem Heimatort
Mogilev bei dieser Meisterschaft. Mogilev liegt im Osten von Weißrussland
und 400.000 Einwohner. Während des 1. Weltkrieges war übrigens dort das
Hauptquatier der russischen Armee.
Zur Partie: Sergey war sehr gut vorbereitet und spielte diese Variante
zum ersten Mal. So wie ich ihn in unseren Gesprächen verstanden habe,
analysiert er die Varianten fast bist zum Endspiel aus.
Zhigalko,S
– Fedorov,
A
1.e4 c5 2.c3 Nf6 3.e5 Nd5 4.Nf3 Nc6 5.Bc4 Nb6 6.Bb3 c4 7.Bc2 Qc7 8.Qe2 g5
9.h3 Bg7 10.0
–0 g4 11.hxg4
Nxe5 12.Re1 d6 13.Nxe5 Bxe5 14.d4 cxd3 15.Bxd3 h6
Diese Struktur findet man in vielen Partien von Fedorov und
fast immer mit guten Ausgang für Schwarz.
16.Na3 [16.Bb5+ Bd7 17.Bf4 (17.Na3 a6 18.Bxd7+ Nxd7 19.Nc4 0
–0–0
20.Be3 wenige Züge späte Remis. Baklan,V (2645)-Fedorov,A) 17...Bxb5
18.Qxb5+ Qd7 19.Be3= Sermek,-Fedorov 2002] 16...a6 17.Be3 Nd5 18.Nc4
Es scheint eine Neuerung von Sergey zu sein [18...Be6 19.Nxe5 dxe5 20.Bd2+/=
Pavasovic, D(2586) - Mazi, L (2422), 2002] 19.Qxe3 Bxg4 20.f4 Bg7 21.Nb6
Rd8 22.Nd5 Qc5 23.Nxe7 23...Kd7 24.Bf5+ Bxf5 25.Qxc5 dxc5 26.Nxf5 Bf6
27.Rad1+ Kc6 28.g4
Weiß hat dauerhaften Druck und steht deshalb besser (+/ =). Aber die
Verwertung bis zum Sieg ist beeindruckend! Es ist schwierig zu sagen, wo
Fedorov den entscheidenden Fehler gemacht hat!
28...b5 29.Kf2 b4 30.cxb4 cxb4 31.b3 h5 32.Rh1 h4 33.g5
Bc3 34.Kf3 a5 35.Nh6 Rxd1 36.Rxd1 f6 37.Nf7 Rg8 38.gxf6 h3 39.Nd8+ Kb6 40.f7
Rf8 41.Rd7 Rh8 42.Ne6 h2 43.Rd1 1
–0
Meinen Bericht über die Herrenmeisterschaft möchte ich mit einem Sieg vom
Fedorov über den Publikumsliebling Kolesnik abschließen. Kolesnik spielte
immer auf Angriff und opferte öfter Material, auch wenn es nicht immer
korrekt war, so bereitete er den Zuschauern viel Freude!
Kolesnik,Eduard (2374) - Fedorov,Alexei (2619) [B42]
1.e4 c5 2.Nf3 e6 3.d4 cxd4 4.Nxd4 a6 5.Bd3 Bc5 6.Nb3 Be7 7.Qg4 Bf6 8.Nc3
Nc6 9.f4 d6 10.Be3 Nge7 11.0
–0–0
Qc7 12.e5 dxe5 13.Ne4 exf4 14.Nxf6+ gxf6 15.Bc5 b6 16.Ba3 f5 17.Qh5 Nd5
18.Bxf5 Qe5 19.Rhe1 Ne3 20.Qf3 Bd7 21.Be4 Weiß
opferten ein Bauern für gute Kompensation 21...Rc8 22.Rd2 [22.Bd6!
Qg7 23.Rxe3 fxe3 24.Qxe3± Schwarz hatte keine sinnvollen Züge] 22...Qg5
23.h4 Qh6
24.Qe2?
Weiß verliert seinen Vorteil und damit auch den Sieg. [24.Rxd7!
Kxd7 25.Rd1+ Nd5 (25...Nxd1 26.Qxd1+ Ke8 27.Qd6+-)
26.Bxd5 exd5 27.Rxd5+ Kc7 28.Rd6 Qxd6 29.Bxd6+ Kxd6 30.Qxf4++-]
24...Ne5 25.Qxa6 f3 26.Rxd7 Kxd7 27.Qa4+ Nc6 28.Nd2 f2 29.Bxc6+ Rxc6 30.Qd4+
Nd5 31.Qxf2 Qf4 32.Qxf4 Nxf4 33.Rf1 e5 34.Ne4 f5 35.Ng5 Kc7 36.Nf7 Re8
37.Nxe5 Ne2+ 0–1
Die Abschlußtabelle:
Podolchenko, Evgeni 8.0
Zhigalko, Sergey 7.5
Fedorov, Alexei 7,0
Azarov, Sergey 6.5
Teterev, Vitaliy 6,0
Stupak, Kirill 6,0
Alexandrov, Alexei 5.5
Zhigalko, Andrey 5.5
Tichonov, Yuri 5,0
Lutsko, Igor 3,0
Kolesnik, Eduard 3,0
Kovalev, Vladislav 3,0
Die Damen kämpfen in einem Nebenraum.
Viele Zuschauer verlaufen sich hierhin nicht. Allerdings kann ich mich
auch nicht erinnern, wann die Meisterschaft so schlecht besetzt war. In den
letzten 20 Jahren auf alle Fälle nicht.
Allerdings macht die Regel «nur WGMs über 2300 dürfen ohne Qualifikation
an der Endrunde teilnehmen » auch wenig Sinn, da wir z.Z. kein solche starke
Spielerin haben. Und die Qualifikationsturniere sind für die anderen
Titelträgerinnen nicht besonders interessant! Dieses ist besonders schade,
nachdem unsere Damen ja einen hervorragenden 10. Platz in Dresden bei der
Olympiade belegt haben.
In Abwesenheit unserer stärksten Spielerinnen konnte sich die 14 jährige
Nastassia Ziazulkina , Fidemeisterin aus Minsk, durchsetzen.
2004 machte sie schon auf sich aufmerksam, als sie den 3. Platz bei der
Europameisterschaft der U10 Mädchen belegte. Im letztem Jahr gewann sie bei
der Damen-Europameisterschaft den Preis für den größten Performance-Unterschied
- ELO 258.
Da das Niveau der Partien nicht besonders hoch war, möchte ich Sie lieber
mit Bildern von dieser Meisterschaft erfreuen.
Die Abschlußtabelle:
1. Ziaziulkina, Nastassia 7.5
2. Homiakova, Elena 7,0
3. Stetsko, Lanita 6.5
4. Gerasimovitch, Olga 6,0
5. Homiakova, Ekaterina 5,0
6. Kaliadzich, Maryia 3,0
7. Belko, Irina 3,0
8. Klimets, Elena 3,0
9. Kasperovich, Ekaterina 2.5
10. Khudaya, Iryna 1.5
Stetsko Lanita – Ziazulkina Nastassia
Khudaya Iryna - Homiakova Ekaterina
Klimets,Elena (2094) - Gerasimovitch,Olga (2121)
Khudaya,Iryna
Die ersten drei Preisträgerinnen
Zum Schluss ein paar winterliche Grüße von unseren Schachspielerinnen: