Probleme mit der Weltmeisterschaft

von André Schulz
12.01.2023 – Am 7. April soll laut FIDE-Kalender der Weltmeisterschaftskampf zwischen Ian Nepomniachtchi und Ding Liren beginnen. Bisher konnte die FIDE aber keinen Ausrichter und keinen Veranstaltungsort benennen. Die Pandemie, der russische Angriff auf die Ukraine und der Rückzug von Carlsen sorgen für viele Probleme. | Foto: FIDE

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Die Corona-Pandemie hat den FIDE-Kalender durcheinander gewirbelt, besonders auch in Bezug auf die Weltmeisterschaften. Nach dem Wettkampf um die Weltmeisterschaft 2018 zwischen Magnus Carlsen und Fabiano Caruana hätte die nächste Weltmeisterschaft im Herbst 2020 stattfinden sollen, doch die Pandemie machte diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Das Kandidatenturnier 2020, in dem der Herausforderer gesucht wurde, musste unterbrochen werden und konnte erst 2021 fortgesetzte werden. Der WM-Kampf zwischen dem Sieger Ian Nepomniachtchi und Magnus Carlsen fand so erst Ende 2021 statt. Die FIDE rennt nun der verlorenen Zeit hinterher, um den Zyklus wieder mit dem ursprünglichen Fahrplan in Einklang zu bringen. 

Darüber hinaus ergaben sich bald weitere Schwierigkeiten. Mit den Angriff von Russland auf die Ukraine ist Russland aus der friedlichen Völkergemeinschaft ausgeschieden und ist seitdem geächtet. Internationale Sportveranstaltungen, wie zum Beispiel eine Schachweltmeisterschaft, können in Russland bis auf Weiteres nicht mehr stattfinden. Schach hatte in Russland immer eine besondere, auch politische Bedeutung. Im Laufe der Jahrzehnte wurden viele hochrangige Schachveranstaltungen in Russland durchgeführt. Und wenn sich sonst niemand bereit fand, ein teures Turnier auszurichten, sprang der russische Schachverband mit seinen Staatsfirmen oder den regierungsnahen Oligarchen im Rücken ein, so wie beispielsweise 2014, als die FIDE keinen Ausrichter für den zweiten Weltmeisterschaftskampf Carlsen gegen Anand fand. Das Match wurde schließlich in Sotchi ausgerichtet und Vladimir Putin höchstselbst war damals Ehrengast der Siegerehrung. Die letzten beiden russischen FIDE-Präsidenten, Kirsan Ilyumzhinov und nun Arkady Dvorkovich, sind Russen, hatten sehr kurze Wege in den inneren Zirkel der russischen Regierung und fanden dort mit Ihren Wünschen nach der Finanzierung von Schachturnieren regelmäßig Gehör. 

Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist das alles Geschichte und kehrt auch so bald nicht wieder. Die russischen Sportverbände dürfen gemäß der Entscheidung des IOC keine internationalen Sportevents mehr ausrichten. Die russischen Teams sind davon ausgeschlossen. Und die russischen Sportler in den meisten Einzelwettbewerben auch. Im Schach dürfen sie teilnehmen - unter der Flagge der FIDE.

Der dritte schwere Schlag traf die FIDE und die Schachweltmeisterschaft, als Magnus Carlsen, seit 2013 Weltmeister und zweifellos der weltbeste Schachspieler zum Ende des Kandidatenturnier 2022 erklärte, dass er seinen Titel nicht verteidigen werden. Den Regeln entsprechend wird nun der Sieger des Kandidatenturniers 2022, erneut Ian Nepomniachtchi, gegen den nächstbesten in der Weltrangliste antreten. Hinter Carlsen und Nepomniachtchi ist das der Chinese Ding Liren.

Der Sieger dieses Wettkampfes ist der 17. Schachweltmeister, doch er wird es schwer haben, seinen Titel zu rechtfertigen, wenn über ihm in der Weltrangliste noch ein anderer Spieler mit vielleicht 50 Elopunkten Vorsprung thront. Die Situation erinnert an die Zeit, als die FIDE in den 1990er und 2000er Jahren ihre Weltmeister in K.o.-Turnieren ermittelten und nebenher auch noch ein "klassischer Weltmeister" existierte, der spielstärker war.

Doch auch auf andere Weise ist Magnus Carlsen der "bessere" Weltmeister. Als Norweger kann er auch in den westlichen Staaten gut vermarktet werden. Carlsen hat Ausstrahlung, ist weltweit bekannt und ungemein populär. Er weiß mit Medien umzugehen, hat aber trotzdem Ecken und Kanten. Er ist der perfekte Schachbotschafter. Ian Nepomnichtchi und Ding Liren sind nette Leute, können in dieser Hinsicht aber nicht mithalten.

Wer möchte nun diesen Weltmeisterschaftskampf "zweiter Klasse" ausrichten und neben den Organisationskosten dafür auch noch die geforderte Preisbörse von zwei Millionen Dollar aufbringen? Russland wäre ein natürlicher Austragungsort gewesen, fällt aber nun aus. Möchte Nepomniachtchi den ganzen Wettkampf in China spielen und gibt es dort in Zeiten anhaltender Pandemie und wirtschaftlicher Rezession genug Geld für einen solchen Schachwettkampf? Es sieht nicht so aus. In Indien ließe sich angesichts der großen Schachbegeisterung vielleicht Geld und ein Organisator finden, doch die Beziehungen zwischen Indien und China sind alles andere als gut und so wird ein WM-Kampf mit chinesischer Beteiligung in Indien eher keine Begeisterung auslösen. Ian Nepomniachtchi ist eine integre Person und hat sich nach dem Angriff seines Heimatlandes auf die Ukraine früh kritisch geäußert. Doch trotzdem wäre wohl in keinem westlichen Land derzeit eine Schachweltmeisterschaft mit einem russischen Spieler zu vermitteln. 

Die FIDE hat vor einiger Zeit als Termin für den Weltmeisterschaftskampf den 7. bis 30. April festgelegt. FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich hatte bei verschiedenen Gelegenheiten enthüllt, dass eine aussichtsreiche Bewerbung aus Mexiko vorliege. Die Ausrichter in Mexiko wollten das Match in ein großes Festival mit vielen Zusatzveranstaltungen einbetten. Anscheinend ließen die Pläne sich aber nicht realisieren.

Laut David Llada, dem Kommunikationsmanager der FIDE, gibt es auf dem amerikanischen Kontinent noch andere Optionen. Eine FIDE-Delegation ist derzeit vor Ort - wo, wurde nicht verraten - und führt Gespräche.

Der gewünschte Spieltermin rückt indes immer näher. Und die FIDE und auch der Veranstalter vor Ort, wenn er denn gefunden wird, kommen in immer größere Zeitnot.

FIDE-Kalender...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.