Prof. Ingo Althöfer: Eine tolle Computerschachgeschichte

von Prof. Ingo Althöfer
10.05.2019 – Prof Ingo Althöfer ist einer der größten Experten auf dem Gebiet des Computerschachs, hat selber Experimente durchgeführt ("Dreihirn") und die Geschichte des Computerschachs über Jahrzehnte verfolgt. Seine Rezension zu Karsten Müller / Jonathan Schaeffers Buch "Man vs. Machine" ist mit einer Reihe eigener Erlebnisse informativ und unterhaltsam gewürzt.

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Tolle Computerschach-Geschichte

*** Arme Go-Spieler

Das erste Go-Programm schrieb Al Zobrist 1969. Danach waren die Fortschritte im Computer-Go über 35 Jahre sehr langsam. Interessanterweise waren fast alle Go-Spieler glücklich damit.

Gegenüber Schachspielern konnten sie immer mal wieder einstreuen, dass ihr Spiel das deutlich schwierigere und deshalb etwas besseres sei. Einen Durchbruch gab es 2006 mit Monte-Carlo-Ansätzen. Doch 2015 schien es, als sei der Ansatz auf starkem Amateur-Niveau stecken geblieben.

Aber ab Januar 2016 überschlugen sich die Ereignisse: Die Google-Tochter DeepMind gab bekannt, ihr neues Programm AlphaGo hätte den Europameister mit 5-0 geschlagen. Und schon zwei Monate später verlor der beste koreanische Profi Lee Sedol mit 1-4 gegen eine verbesserte Version von AlphaGo. Einige Profis glaubten immer hoch, gegen AlphaGo bestehen zu können. Doch Sylvester 2016 spielte AlphaGo auf zwei Internet-Servern anonym und besiegte Topspieler insgesamt mit 60-0, darunter auch den ungekrönten Weltmeister Ke Jie aus China mit 3-0. Jie erlitt einen Nervenzusammenbruch und musste kurzzeitig ins Krankenhaus.

Für alle verfügbar gibt es seit einem Jahr das Open-Source-Programm LeelaZero (geistiger Vater ist der frühere Schachprogrammierer Gian-Carlo Pascutto). Mit Leela hat jeder, der einen PC mit guter Grafikkarte hat, Go-Spielstärke im Haus, die klar über der der besten Menschen ist. Man beachte: Vom März 2016 dauerte es nur zwei Jahre, bis ein frei verfügbares Go-Programme allen Menschen über war.

*** Im Unterschied dazu die Schach-Spieler

"Wir" hatten mehrere Jahrzehnte Zeit, uns an eine aufkommende Dominanz der Schachcomputer zu gewöhnen: erste kommerzielle Geräte 1977, 1978 David Levys Matchgewinn gegen das beste Mainframe-Programm, 1988 Bent Larsens Niederlage gegen Deep Thought, 1997 Kasparows Desaster gegen Deep Blue und 2006 Kramniks "finale" 2-4-Niederlage gegen PC-Fritz.

Wir hatten also fast drei Jahrzehnte Zeit, uns auf die Computer-Dominanz einzustellen.

*** "Man vs. Machine" von Karsten Müller und Jonathan Schaeffer

Zwei echte Insider haben die lange Geschichte des Schachduells Mensch gegen Maschine in einem 480-Seiten-Buch erzählt, mit vielen kommentierten Partien, tollen Fotos und Anekdoten. Ich habe das Glück, beide persönlich zu kennen: Jonathan Schaeffer seit einer gemeinsamen Tagung 1987; Endspiel-Guru Karsten Müller  kommt seit 2001 jedes Jahr zum Gedankenaustausch nach Jena.

Jonathan Schaeffer ist nicht nur Computerschach-Insider, sondern hat mit seiner Gruppe an der Uni in Edmonton wesentliche Beiträge bei Computer-Dame, Computer-Othello, Computer-Poker und Computer-Go (David Silver und Aya Huang vom AlphaGo-Team kamen aus seiner Gruppe) geliefert.

*** Einige Splitter aus dem Buch

* Ein Glanzstück ist das Vorwort von Vladimir Kramnik. Es sind zwar nur zwei Druckseiten; aber die Beschreibung des Moments, als der junge Vlad 1995 Sekundant von Kasparow gegen Anand wurde und dabei lernte, wie Schachcomputer zur Partievorbereitung eingesetzt wurden, ist ein Stück zentrale Schachgeschichte.

* David Levy hatte 1968 mit vier Wissenschaftlern gewettet, dass er innerhalb von zehn Jahren keinen Wettkampf gegen ein Schachprogramm verlieren würde. Er gewann die Wette 1978, aber nur drei der vier Partner zahlten: Edward Kozdrowicki weigerte sich trotz wiederholter Aufforderung, seine 250 Pfund Ehrenschuld zu begleichen.

* Kate Spracklen war - als bisher einzige Frau in der Computerschach-Szene - im Team der Firma Fidelity dabei. Sie ist eine geborene Shannon, und Porträt-Vergleiche von ihr mit Claude Shannon (1916-2001) zeigen eine ziemliche Ähnlichkeit.

* Mir kommt im Buch Ossi Weiner zu kurz weg. Er war kein Schachprogrammierer, hat aber mit seiner Öffentlichkeits- und Match-Arbeit für die Marke Mephisto und den Schachprogrammierer Richard Lang große Erfolge erzielt. 1990 erreichte ein von ihm bedienter Mephisto einen aufsehenerregenden Sieg gegen Deep Thought, und 1995 war Weiner der Operator, als Kasparow in einem Schnellschachturnier gegen Richard Langs PC-Programm ChessGenius verlor.

*** Die Kapiteleinteilung ...

... ist sehr übersichtlich. Titel ist jeweils eine Hunderter-Elo-Zahl und in Klammern dahinter das Zeitintervall, in dem die damals besten Schachprogramme diese Stärke hatten. Man muss das Buch aber nicht chronologisch lesen, sondern kann  einfach blättern und sich schöne Teile herauspicken.

Das Werk ist zwar komplett in Englisch, aber die Autoren sind auch "Grandmasters of simple English". Deshalb meine unbedingte Kaufempfehlung auch für die deutsche Schachszene.

 

480 Seiten, kartoniert, Russel, 1. Auflage 2018, Euro 32,50 

*** Einige eigene Ergänzungen

Natürlich kann ein Buch nicht alles über eine so lange Phase wie die des bisherigen Computerschachs gegen Menschen enthalten. Hier sind einige Anekdoten, die ich kenne, die aber nicht im Buch zu finden sind.

* Bobby Fischer war wegen seiner guten Bekannten Petra Stadler (später verheiratete Dautov) 1989 nach Deutschland gezogen. Ungefähr ein Jahr lang begegneten sie sich immer wieder mal. Einmal legte Bobby ihr eine Einkaufsliste vor. Darin ging es um Birkenstock-Latschen und auch um Schachcomputer. Bobby wollte einen erwerben, und zwar einen möglichst spielstarken, wie extra auf dem Zettel stand, der sich in Petras Buch von 1995 ("Meine Zeit mit Bobby Fischer", Selbstverlag) abgedruckt findet.

* 1993 durfte ich als 3-Hirn auf Computer-Seite beim AEGON-Turnier in den Haag mitmachen, wo es Mensch vs Maschine hieß. Studienfreund Dr. Ulrich Tamm, der auch die Schach-Mannschaft von Enger-Spenge managte, drückte mir eine Diskette mit vielen Schachpartien der beteiligten

Meister in die Hand: zur Vorbereitung auf die einzelnen Runden. Ich war besonders überrascht, dass sich auf der Diskette auch 200 Partien von David Bronstein befanden. Aber in der letzten Runde wurde das 3-Hirn genau gegen diesen Bronstein gelost, und ich konnte mich vorbereiten.

Auch weil ich darin nicht wirklich Übung hatte, verlor ich ziemlich chancenlos, und Bronstein wurde Turniersieger.

* Bald nach dem 1996er Match zwischen Kasparow und Deep Blue wurde über die Bedingungen für den Rückkampf verhandelt. Hierbei beging Kasparow einen Kardinalfehler: Er wünschte zur Stärkung seiner Möglichkeiten, dass er während der Wettkampf-Partien ein Notebook mit Eröffnungs-Datenbank, Endspiel-Datenbank und Fritz für Taktik-Checks nutzen durfte. Natürlich sagte IBM "nein". Aber die Jungs aus dem Team wussten jetzt, dass Kasparow die Düse ging; und sie machten ihre weitere Arbeit an der neuen DeepBlue-Version mit noch mehr Selbstbewusstsein.

* Der 5,5-0,5-Sieg von Hydra gegen Michael Adams (im Jahr 2005) war wohl so etwas wie der finale Fangschuss für die menschlichen Schachmeister. Aber hinter den Kulissen krachte es im Hydra-Team: Der finanzierende Scheich regte sich schrecklich darüber auf, dass Hydra in der einzigen Remispartie nicht bis zur letzten Patrone gekämpft, sondern in leichter Adams-Zeitnot durch Operator Ulf Lorenz Remis angeboten hatte.

Man vs. Machine, z.B. bei Schach Niggemann...

 


Seit vier Jahrzehnten verfolgt er die Entwicklung im Computerschach intensiv. Im Januar 1979 erschien im SchachMagazin 64 sein erster Artikel zum Thema. 1985 führte er das 3-Hirn-Prinzip ein und machte damit viele Experimente bis 1997. 1986 entstand seine Doktorarbeit über mathematische Grundlagen zur Spielbaum-Suche. Gemeinsam mit Timo Klaustermeyer erfand er 2004 das Konzept des Freistil-Schachs ein.

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