Umfrage zum Wettkampf Kramnik gegen Deep Fritz
Jedem der Befragten wurden vier Fragen vorgelegt:
1)Was ist im Allgemeinen von den Vergleichen Mensch-Maschine im Schach zu
halten?
2)Wie groß ist der Einfluss der Computer auf das Schach?
3)Sind Computer eher nützlich oder schädlich für das Schach, haben Sie persönliche
Erfahrungen?
4)Was glauben Sie, wie der Wettkampf ausgehen wird?
Und hier sind die Antworten:
Susan Polgar (USA, Schachgroßmeisterin, Weltmeisterin)
www.SusanPolgar.com
1) Im Prinzip finde ich sie sehr gut. Ich finde diese Idee immer sehr reizvoll.
Allerdings würde ich gerne einmal einen wirklichen Wettkampf Mensch-Maschine
sehen. Das heißt, dass der Mensch denselben Zugang zu Eröffnungs- und Endspieldatenbanken
bekommt wie der Computer. Andernfalls ist es dem Menschen gegenüber sehr unfair,
da der Mensch zahllose Eröffnungs- oder Endspielvarianten auswendig lernen muss,
während die Computer einfach auf die Datenbank auf der Festplatte zugreifen.
Bislang ist der Modus nicht wirklich Mensch gegen Maschine. Außerdem würde ich
gerne einen ernsthaften Wettkampf Frau gegen Maschine sehen. Ich bin eine der
wenigen Spitzenspielerinnen mit einem positionellen Stil, der für das Spiel
gegen Computer besser geeignet ist. 1996, als ich amtierende Frauenweltmeisterin
war, habe ich Deep Blue eine Herausforderung geschickt. Sie haben höflich abgelehnt.
Bislang hat kein Programm diese Herausforderung von mir angenommen.
2) Ich glaube, er ist sehr gut. Die heutigen Schachspieler sind dank der Computertechnologie
und mit Software wie Fritz, Rybka, Junior, Shredder, usw. viel stärker geworden.
3) Ich glaube, die Computertechnologie hat mir persönlich geholfen. Ich wünschte,
ich hätte Fritz 10 damals gehabt, als ich mich Schach angefangen habe. :)
4) Ich glaube, es wird ein Unentschieden geben. Fritz wird den Wettkampf nicht
verlieren, aber ich glaube auch, dass Kramnik ausreichend solide spielt, um
den Wettkampf zu halten. Natürlich hängt auch viel von seiner körperlichen Verfassung
ab, da sein Wettkampf in Elista noch nicht sehr lange zurückliegt. Ich möchte
Kramnik auch zur Wiedervereinigung der Weltmeisterschaften gratulieren.
Felix Magath, Trainer des FC Bayern München und Schachspieler
1)Das sind interessante Vergleiche verschiedener Denkrichtungen, konkret gegen
abstrakt. Sie haben sicherlich Einfluss auf die Art und Weise des menschlichen
Denkens.
2)Die Computer haben zu einer neuen Art des Schachspielens geführt.
3) Für die Masse der Patzer wie mich sind sie gute Lehrmeister. Was die Weltspitze
betrifft, kann ich mir kein Urteil erlauben.
4)Unentschieden.
Aus ihrem Blickwinkel als Fußballtrainer gesehen: Gibt es Möglichkeiten,
die systematische Erforschung des Schachspiels - auch mit Hilfe des Computers
- auf den Fußball zu übertragen?
Die Taktik ist im Fußball kaum wissenschaftlich erforscht. Schach ist für mich
die Mutter aller Strategiespiele, also kann auch der Fußball etwas vom Schach
lernen. Wie es einen besten Zug gibt, gibt in jeder Situation auch einen besten
Pass. Die Zusammenhänge zwischen beiden Spielen aufzuzeigen, hielte ich für
interessant. Ich habe da bereits einige Ideen.
Almira Skripchenko, Frauengroßmeisterin, Europameisterin, mehrfache französische
Landesmeisterin
1) Diese Vergleiche sind sehr wichtig, weil Schach die einzige Möglichkeit ist,
exakt zu messen, wie weit der Fortschritt der Künstlichen Intelligenz bisher
gediehen ist. Das wusste schon Kubrick, der 1968 in seinem Film 2001 den Computer
HAL Schach spielen lässt, um dessen Intelligenz zu zeigen. Grundsätzlich bin
ich aber davon überzeugt, dass der beste Mensch den Computer schlagen kann,
wenn er genug Zeit hat, dessen Spielweise zu untersuchen.
2) Der Einfluss ist offensichtlich. Unzählige Schachspieler lassen sich vom
Computer bei der Suche nach der Wahrheit helfen und bekommen neue Erkenntnisse
vermittelt, was in bestimmten Positionen möglich ist.
3) Ich sehe den Einfluss vor allem positiv. Bei der Suche nach der Wahrheit
ist der Computer eine wertvolle Hilfe, aber ich denke, die menschliche Kreativität
dominiert dabei weiterhin. Nun gut, es gibt auch einen negativen Aspekt. Bei
Turnieren schauen die Amateure im Internet mit ihren Fritz-Programmen zu und
können dann die Leistungen der Profis beurteilen. Das ist ungewohnt. Früher
war das undenkbar. Ich selber durfte kürzlich eine Partie gegen Deep Junior
bei einem Schaukampf in Italien spielen. Ich war überrascht und beeindruckt,
wie sehr das Programm abstrakte menschliche Spielstrategien simulieren kann,
.z.B. Material für Initiative opfert. Früher waren die Maschinen reine Materialisten,
heute sind sie schon viel weiter.
4) Ich hoffe Kramnik gewinnt, aber das wird sehr schwierig werden.
Matthias Deutschmann, Kabarettist, ehemaliger Jugendauswahlspieler und Bundesligaspieler,
Stimme von Fritz
1) Homo sapiens bleibt nur noch eine Galgenfrist, dann hat das Elektronengehirn
ihn am Wickel. Wir sind in Zukunft gut beraten, unter uns zu bleiben, wenn wir
den Lustgewinn des Sieges einstreichen wollen.
2) Die Schachtheorie ist undogmatischer geworden, weil die Überprüfung von Varianten
durch Fritz & Co gezeigt hat, dass alle Theorie ziemlich grau aussehen kann.
Insofern ist der Schachcomputer so etwas wie ein Lügendetektor.
3) Die Arbeit mit Fritz erweitert den taktischen Horizont. Hat man erst einmal
einen bestimmten Verdacht, bringt Kommissar Fritz sehr schnell die Beweise.
Oder die Entlastung. Der Nachteil ist der Outsourcing-Effekt: Wo lassen Sie
denken? Bei Fritz!
4) Der Weltmeister wandelt auf einem schmalen Grat und Deep Fritz wird sich
durch die wiederholte Benutzung der Toilette nicht beeindrucken lassen.
Alexandra Kosteniuk (Russland, Großmeister, Vizeweltmeisterin, Europameisterin)
1) Schachwettkämpfe zwischen Menschen und Maschinen sind nichts anderes, als
ob ein Läufer gegen ein Auto oder ein Fahrrad antritt. Menschen sollten mit
Menschen Schach spielen.
2) Menschen können und sollten Computer für das Nachspielen und die Analyse
von Partien benutzen, das ist sehr nützlich. Die Computer werden täglich besser.
In ein paar Jahren wird jeder Computer jeden Spieler ganz leicht schlagen. Dann
haben wir den Vergleich Läufer gegen Auto. Im Moment erleben wir den Prozess,
wie der Computer besser wird, weshalb wir zwar nicht sicher wissen, wer diesen
Wettkampf gewinnt, so wissen wir doch, dass in Zukunft dem Menschen keine Chance
mehr gelassen wird.
Dennoch werden die Menschen in den folgenden Jahrhunderten immer Spaß daran
haben, gegen Menschen zu spielen, selbst wenn ihr Telefon oder ihr Pocket PC
in der Lage ist, sie in nur ein paar Sekunden zu schlagen. Wieder läuft es auf
den Vergleich mit dem Laufen heraus, die Leute laufen und joggen, obwohl sie
wissen, dass sie fünf Kilometer mit einem Auto sehr viel schneller zurücklegen.
Laufen trainiert den Körper. Schachspielen trainiert den Geist. Den menschlichen
Geist.
In der Zukunft werden Computer sehr viel besser als Menschen spielen und solche
Wettkämpfe werden völlig uninteressant sein. Aber ich hoffe, dass Schach als
ein Spiel von Menschen gegen Menschen noch immer großes Interesse auslöst, damit
die Menschen ihren Geist trainieren können. Wenn dieser Wettkampf die Presse
zum Schach bringt und Schach für die Leute attraktiv macht, dann ist das sehr
gut, dann bin ich dafür. Aber ich bin nicht sicher, was die Leute in Zukunft
denken werden, wenn sie sehen, dass ein Programm für $29 jeden menschlichen
Weltmeister sehr leicht schlagen kann. Es könnte den schlechten Eindruck entstehen
lassen, dass es Schach nicht wert ist, gespielt zu werden, und das ist eine
sehr gefährliche Schlussfolgerung, die man um jeden Preis vermeiden sollte.
Dr. Helmut Pfleger (Großmeister, TV-Moderator)
1) Solch ein Wettkampf ist nach wie vor faszinierend, so lange die Maschine
nicht klar überlegen ist. Es ist erstaunlich genug, dass der Mensch noch immer
mit der Maschine wetteifern kann, obwohl sie mehrere Millionen Mal schneller
rechnet als er; in anderen Bereichen, zum Beispiel was Taschenrechner angeht,
ist das unvorstellbar, weshalb Schach vielleicht den letzten Bereich der Mathematik
darstellt, in dem die Menschheit nicht hoffnungslos unterlegen ist.
2) Wie bei den meisten Dingen kann man diese Frage nicht eindeutig beantworten.
Es gibt gute und schlechte Seiten; wie auch immer, generell lässt sich die Entwicklung
nicht rückgängig machen, also muss man sie akzeptieren und versuchen, sich darauf
einzustellen. Tatsächlich ist es so, dass es eine ziemlich große Zahl von Leuten
gibt, die wenige Möglichkeiten haben, gegen menschliche Partner zu spielen,
und für sie ist das deshalb eine gute Alternative. Zum Beispielen spielen der
ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker oder amtierende Bundesfinanzminister
Peer Steinbrück gerne mit dem Computer - er steht einem immer zur Verfügung.
3) In meinem Fall weder das Eine noch das Andere. Ich könnte sehr gut ohne sie
auskommen, aber andererseits können sie Anfängern sehr helfen und eine Menge
Spaß machen.
4) Ich fürchte, die Maschine wird gewinnen, weil sie sich im Vergleich zu den
letzten Begegnungen, die alle Unentschieden ausgegangen sind, sehr verbessert
hat. Dennoch wünsche ich mir von ganzem Herzen, dass Kramnik gewinnt - das würde
dem Schach ganz generell helfen.
Ekaterina Lahno, Ukraine Frauengroßmeisterin, amtierende Europameisterin
1) Ich verfolge solche Veranstaltungen immer mit Interesse, aber nehme sie nicht
allzu ernst. Die Maschine hat einen enormen Vorteil in Bezug auf Wissen, Rechenfähigkeit,
Schnelligkeit und Ausdauer. Der Mensch gibt der Maschine in vielerlei Hinsicht
Vorgaben, und jetzt ist es extrem schwer, den Computer auch nur in einer einzigen
Partie zu schlagen.
2) Computer helfen, schneller und tiefer zu analysieren, aber die Spieler werden
weniger einfallsreich.
3) Ich sehe das moderne Schach nicht ohne Computer und ich möchte auch nicht
zurückblicken, das ist einfach sinnlos.
4) Wie die Praxis zeigt, wird es für den Menschen immer schwerer, gegen die
Maschine zu kämpfen. Computer und Engines gewinnen rapide an Kraft. Ich glaube,
Deep Fritz wird gewinnen, aber ich drücke Vladimir die Daumen.
Yasser Seirawan, Großmeister, Kommentator, Verleger
1) Es wird schwerer für die Menschen.
2) Die eigenen Gefühle sind hierbei nicht von Belang, es geht darum, wie wir
uns weiter entwickeln und Computer haben immer mehr Auswirkungen auf unser Leben.
Ich persönlich liebe die Datenbanken und die Tatsache, so viele Informationen
sofort zur Verfügung zu haben.
3) Ich habe mehr Spaß. Ich kann Partien in Echtzeit über das Internet verfolgen;
ich kann meine Stellungseinschätzungen mit einer Gruppe Gleichgesinnter bekräftigen
und ich kann mit ihnen praktisch sofort kommunizieren.
4) Ich glaube, Fritz ist der Favorit. Damit Kramnik gewinnt, muss er praktisch
alle sechs Partien in absoluter Bestform sein. Er darf nicht einen einzigen Zug
lang entspannen und er muss in der Lage sein, taktische Verwicklungen stets
unter Kontrolle zu halten. Eine sehr schwere Aufgabe. Mein nicht weit zurückliegender
Grippeanfall hat mir klargemacht, dass Kramnik sich nicht einen einzigen "schlechten
Tag" leisten kann.
Nick Murphy, Shakespeare-Schauspieler der American Drama Group, Hobbyschachspieler
auf schach.de
1) Die unterschiedlichen Spielweisen der besten Menschen gegen die besten Schachprogramme
machen diese Wettkämpfe sehr interessant. Ich hoffe, dass die Menschen noch
eine Weile gegen die Computer spielen können, wobei Programme wie Fritz allerdings
so stark werden, dass es nicht mehr lange dauern könnte, bis kein Mensch sie
mehr schlagen kann.
2) Computer sind besonders hilfreich, wenn man anfängt, Schach zu lernen. Sie
stellen einem so viel Informationen und Ressourcen zur Verfügung. Natürlich,
wenn die Leute Computer benutzen, um zu betrügen, dann kann das ein Problem
sein, aber alles in allem halte ich sie für sehr nützlich.
3) Ich habe durch Computer viel gelernt, sie sind ausgezeichnete Trainingspartner.
Sie prahlen nicht, wenn sie gewinnen, und sie sind nicht eingeschnappt, wenn
sie verlieren!
4) Ich glaube, Fritz ist jetzt so stark, dass es unwahrscheinlich ist, dass
Kramnik gewinnen kann. Wenn er den Wettkampf unentschieden hält, ist er, glaube
ich, zufrieden.
Christopher Lutz, Großmeister, zweimaliger Deutscher Meister, Sekundant von
Kramnik beim Wettkampf gegen Deep Fritz in Bahrain 2002 und in Bonn 2006
1) Der Wettkampf Mensch gg. Maschine hat schon immer eine große Faszination
ausgeübt. Der Wettkampf Kramnik-Deep Fritz ist insofern etwas besonderes, als
dass er vermutlich einer der letzten, wenn nicht gar der letzte große Wettkampf
dieser Art darstellen wird. Die unaufhaltsame Entwicklung der Hard- und Software
lässt die Spielstärke der Programme immer weiter ansteigen, so dass bei diesem
Match das letzte Mal von annähernder Chancengleichheit gesprochen werden kann.
2) Die Computer haben gezeigt, dass in vielen Stellungen Dinge möglich sind,
die nicht durch allgemeine Regeln begründet werden können, sondern auf konkreten
Varianten basieren. Insofern wurde das Schachspiel bereichert. Eher schädlich
sehe ich, dass viele jüngere Schachspieler, die quasi mit dem Computer aufgewachsen
sind, in ihrem Stil und der Herangehensweise sich immer mehr an die Computer
annähern. Dabei bleibt dann das allgemeine Schachverständnis und die Kenntnis
der Schachgeschichte meist auf der Strecke.
4) Als Sekundant von Kramnik hoffe ich natürlich auf dessen erfolgreiches Abschneiden.
Er ist realistischerweise jedoch der Außenseiter.
Sergey Karjakin, Ukraine, Großmeister, ehemaliger jüngster Großmeister
aller Zeiten
1) Schach ist der einzige Sport, in dem der Mensch noch gegen die Maschine kämpfen
kann. Zum Beispiel gibt es kein Duell Mensch gegen Maschine, wenn es um Schnelligkeit
oder Gewichte zu heben geht.
2) Es ist schwer, sich Schach jetzt ohne Computer vorzustellen. Ich habe etwa
drei Millionen Partien in meiner Datenbank und ich kann mir nicht vorstellen,
ohne Computer mit ihnen zu arbeiten. Ich hatte keinen Computer bis ich elf wurde.
Ein Jahr später wurde ich Großmeister. :-)
4) Bestenfalls schafft Kramnik ein Unentschieden. Denn es ist sehr schwer, gegen
einen Computer zu gewinnen und es ist sehr leicht, irgendeinen Fehler zu machen
und zu verlieren.