Keymer gegen Ragosin
Roven Vogel untersucht 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.Sc3 Lb4 5.Da4+
Einer der Gründe, warum es sich lohnt, die Partien von Vincent Keymer zu verfolgen, besteht darin, dass in seinen Partien fast immer topaktuelle Eröffnungstheorie diskutiert wird. Dabei scheut Vincent nicht davor zurück, dieselbe Variante mehrmals zu wiederholen, wohlwissend, dass sich seine Gegner zum Teil sehr konkret vorbereiten können. Eine dieser Varianten ist 5.Da4+ gegen Ragosin, welche ich in diesem Eröffnungsartikel gern etwas vorstellen möchte. Dabei geht es mir weniger darum, konkrete, aktuelle Theorie zu besprechen, sondern vielmehr zu zeigen, zu welch interessanten Stellungstypen diese Variante führen kann und an der ein oder anderen Stelle darauf aufmerksam zu machen, wo wahrscheinlich noch großer Raum für weitere Untersuchungen besteht.
Nach 5.Da4+ Sc6 6.e3 0-0 entsteht der erste größere Abzweig:
Weiß kann sofort 7.Dc2 spielen oder erst den Läufer nach d2 entwickeln. Wählt Weiß die erste Option, so waren sich die Gelehrten bis vor ein paar Jahren einig darüber, dass Schwarz mit 7...Te8, 8...Lf8 und 9...e5 spielen sollte. In den vergangenen Jahren sind aber vor allem auch andere Züge wie 7...b6!?
(siehe Keymer,V - Bindrich,F 0-1) oder 7...Se7!? aufgekommen, die einen Nachteil von 7.Dc2 aufzeigen, nämlich dass der Lb4 nicht mehr durch den Sc6 gedeckt sein muss, und eben jener nicht mehr durch den b7-Bauern. Züge wie ...b6!? und ...Se7!? werde ich innerhalb des Artikels öfter mit „weißfeldrige Strategie“ betiteln.
Die modernste Alternative zu 7…Te8 besteht wohl in dem, durch die beiden Armenier Aronian und Ter-Sahakyan erst kürzlich auf Topniveau eingeführten, aber im Grunde sehr logischen 7…De7!?,
was in Keymer,V - Aronian,L 0-1 näher betrachtet wird. Doch auch nach 7…Te8 8.Ld2 muss Schwarz nicht mit dem Läufer direkt zurück nach f8, sondern kann auch erst nützliche „Eselsohren“ machen, mit 8…h6
(Keymer,V - Alekseenko,K 1-0) oder mit 8…a6
(Keymer,V - Giri,A 1-0). Letzteres ist eine DER Hauptvarianten heutzutage.
Um Schwarz nicht ganz so viel Raum für eigene Ideen zu bieten, kann Weiß aber auch zu 7.Ld2 greifen.
Der Vorteil gegenüber 7.Dc2 besteht darin, dass Optionen wie ...b6 oder ...Se7 nicht möglich werden, allerdings kann Weiß nach 7...dxc4 8.Lxc4 Ld6 9.Dc2 e5
nicht mehr wirklich gut die Spannung im Zentrum halten, wodurch die Stellung nach dem Tausch auf e5 etwas verflacht.
Doch wie sich in Keymer,V - Sargissian,G ½-½ oder Keymer,V - Bjerre,J 1-0 zeigt, muss Schwarz sehr genau wissen, was er tut, um tatsächlich gleiches Spiel zu haben. Obwohl diese Hauptfortsetzung für die meisten Schwarzspieler sehr verlockend sein dürfte, gibt es auch andere, die bereits nach 7.Ld2 mit Experimenten beginnen. Dabei dürfte das Experiment von Jan Werle mit 7...Te8 und 8...Ld6 ohne ....a6 wohl als gescheitert gelten, wie Vincent in Keymer,V - Werle,J 1-0 überzeugend zeigte. Ein anderes Experiment mit 7…a5!?, in Anlehnung an die „weißfeldrige Strategie“, von einem jungen Azeri dürfte hingegen als sehr interessant und in seiner Bewertung als weiterhin offen gelten, wie in Keymer,V - Shahaliyev,I 1-0 zu sehen.
Generell sollte man meines Erachtens den Umstand, dass beide Seiten an vielen Stellen mehrere Möglichkeiten haben, interessantes Spiel zu erzeugen, eher als Chance begreifen, eine interessante Schachpartie zu spielen. Selbst starke Theoretiker, wie Kirill Alekseenko oder Jan Werle, verirren sich manchmal in dem Wald von Zugumstellungen und tricksen sich selber aus, was gar nicht selten zu einem direkten Punkt aus der Eröffnung führt, wie in einigen der ausgewählten Partien zu sehen ist. Und selbst wenn es einem Schwarzspieler einmal gelingt, seine Vorbereitung aufs Brett zu stellen, führt dies in dieser Variante nicht zum sofortigen Händeschütteln, mangels Gewinnpotential, sondern markiert vielmehr nur den Startpunkt einer hoffentlich sehr inhaltsreichen Partie. Oder Weiß gewinnt doch noch direkt nach der Eröffnung, wie in Keymer,V - Giri,A 1-0.
Als Fazit halte ich fest, dass man nach 5.Da4+ gegen Ragosin ohne allzu viel Theoriekenntnis - konkretes Wissen schadet natürlich nie - zu faszinierenden Stellungen gelangen kann, die es auf jeden Fall wert sind, weiter untersucht und in der Praxis ausgetestet zu werden.
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FIDE Kandidatenturnier 2022: Dorian Rogozenco zeigt zwei Partien des Siegers, Ian Nepomniachtchi, im Video, Anish Giri analysiert zwei ausgewählte Partien.
Schachfestival Prag: Die Sieger des Masters, Pentala Harikrishna, und des Challengers, Vincent Keymer, kommentieren jeweils eine ihrer Partien. Dazu Analysen von David Navara, Vidit Gujrathi und Sam Shankland.
Weitere kommentierte Partien: Anish Giri analysiert zwei Glanzpartien von Norway Chess 2022
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Renato Quintiliano untersucht eine provokante Idee für Schwarz im Angenommenen Damengambit, und Yuriy Kuzubov präsentiert „einen verrückten Aljechin“ mit 5.Ta3!?
Eröffnungsvideos
Daniel King präsentiert „einen Schocker“: das Gambit 4.e4 im Jobava-London-System, vielfach erprobt von GM Hans Niemann. Ivan Sokolov beschäftigt sich im zweiten Teil zur Ragosin-Variante mit 8...h5 dem Hauptzug 9.h4. Und Mihail Marin stellt anhand der Partie Ding Liren-Nepomniachtchi vom Kandidatenturnier neue Entwicklungen in der Englischen Eröffnung vor.
Daniel King: Jobava-London-System
1.d4 Sf6 2.Sc3 d5 3.Lf4 c5 4.e4!?
Mihail Marin: Englisch
1.c4 e5 2.g3 c6 3.Sf3 e4 4.Sd4 d5 5. cxd5 Dxd5 6.Sc2 Sf6 7.Sc3 De5
Ivan Sokolov: Ragosin-Variante mit 8...h5 (Teil II)
1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.cxd5 exd5 5.Lg5 Lb4 6.e3 h6 7.Lh4 g5 8.Lg3 h5 9.h4
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Das ChessBase Magazin #209 deckt mit 11 Eröffnungsartikeln wie gewohnt ein breites Spektrum ab:
Evgeny Postny: Englisches Vierspringerspiel 4.e4 Lb4 5.d3 d6
Petra Papp: Trompowsky 1.d4 Sf6 2.Lg5 c5 3.d5 Se4
Martin Lorenzini: Skandinavisch 3…Da5 4.d4 Sf6 5.Sf3
Alexey Kuzmin: Sizilianisch Moskauer Variante 3.Lb5+ Sd7 4.d4
Yago Santiago: Sizilianisch Najdorf-Variante 6.Lc4 e6 7.0-0
Krisztian Szabo: Mittelgambit 3.Dxd4 Sc6 4.De3 Sf6 5.Sc3
Sergei Grigoriants: Spanisch 3...a6 4.La4 Sge7 5.0-0 Sg6
Roven Vogel: Damengambit Ragosin-Variante 5.Da4+ Sc6 6.e3
Christian Braun: Grünfeld Fianchettovariante 5.Sf3 Sc6 6.Sc3 d5
Andrey Sumets: Katalanisch 8.a4 Sc6 9.Dxc4 Sa5 10.Dc2
Spyridon Kapnisis: Königsindisch Petrosian-Variante
Aktuelle Eröffnungsfallen
„Von Sizilianisch bis Damengambit“ – Rainer Knaak nimmt acht Fallen aus der aktuellen Turnierpraxis unter die Lupe, drei davon stellt er zudem im Videoformat vor. 1.e4-Spieler aufgepasst: In der Französischen Vorstoßvariante ist unser Experte auf „eine sehr aussichtsreiche, völlig neue Falle“ gestoßen!
Zug für Zug
Magnus Carlsen kam beim Turnier Norway Chess 2022 gegen Anish Giri zu einem vermeintlich einfachen Sieg. Aber ohne Feinheiten ging das natürlich nicht. Finden auch Sie die Ideen des Weltmeisters? Interaktive Trainingseinheit mit Martin Breutigam.
Strategie „Die Muzychuk-Schwestern“
Mihail Marin beleuchtet typische Aspekte im Spiel von Anna und Mariya Muzychuk und gliedert das Material in Kategorien wie „Positionelle Angriffe“ oder „Dynamische Entscheidungen“. Umfangreiche Trainingsdatenbank mit ausführlicher Videoeinleitung.
Der Klassiker
Dorian Rogozenco präsentiert Pillsbury-Lasker (St. Petersburg 1896) – „eine wunderschöne Partie“ des damaligen Weltmeisters, Emanuel Lasker, mit einer Reihe sehenswerter Opfermotive.
Taktik: „Damenopfer aller Art!“
Oliver Reehs Taktikbeitrag besteht aus 39 Partien mit vielen Trainingsfragen. Seine vier Lieblingskombinationen lösen Sie im interaktiven Videoformat!
Endspielfeinschliff – „Endspielhighlights aus Prag“ u.v.m.
Der Hamburger Endspielexperte Karsten Müller ist in seiner Recherche wieder auf reichlich Anschauungs- und Trainingsmaterial gestoßen. Kennen Sie z. B. schon das „Troitzky-Endspiel“? Zudem liefert er ein Endspiel-„Special“ zu den Muzychuk-Schwestern inkl. Videos!
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