ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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Deutschland ist Europameister
Ein Gespräch über den Erfolg mit GM Arkadij Naiditsch
Deutschland ist Europameister und stellt damit die beste Mannschaft in
Europa. Und das obgleich die Mannschaft aufgrund ihrer Elozahlen „nur“ an Nummer
sieben gesetzt war.
Wie konnte dieses Ergebnis erreicht werden? Wie war das möglich? Diesen Fragen
versuchen wir – auch um den Erfolg für unsere Leser begreifbar zu machen – im
Gespräch mit Arkadij Naiditsch, der Nr. 1 in Deutschland, nachzugehen.
Frage: Mit welchem Ziel geht man als Mannschaft, als
Einzelperson in einen solchen Wettbewerb, wenn man weiß, man liegt eigentlich
ein Stück hinter der absoluten Spitze zurück?
Arkadij Naiditsch: Als Mannschaft hatten wir ein klares
Ziel: wir wollten in die Top 5 und dann, wenn es gut läuft, vielleicht noch
mehr. Auch zuvor bei der Olympiade 2008 und der Europameisterschaft 2009 haben
wir, denke ich, bewiesen, dass wir eine gute Mannschaft haben und wir mit ein
wenig Glück jeden Gegner schlagen können. Ich selbst habe mein Bestes gegeben,
um die Mannschaft zum Erfolg zu führen. Ich freue mich, dass wir unser Ziel
erreicht haben.
Frage: Wie bereitet man sich in den Wochen vor einer solchen
Europameisterschaft vor? Mental und schachlich?
Arkadij Naiditsch: Schachlich: Für mich und für jeden
anderen Schachspieler ist es wichtig insbesondere die Eröffnungen zu
wiederholen, um während der Partie Kräfte zu sparen und frisch zu bleiben.
Ferner löse ich im Vorfeld gerne Schachaufgaben. Dabei muss es sich nicht mal um
was Kompliziertes handeln, eher Aufgaben, für die ich zwischen 30 - 60 Sekunden
benötige. Dies beugt groben Einstellern und Fehlkalkulationen vor. Mental: Dafür
gibt es keine Patentrezepte – ich denke, insoweit hat jeder seine eigenen,
persönlichen Tricks, die individuell funktionieren, aber keine
Allgemeingültigkeit haben.
Frage: Der einzelne Spieler trat bei der EM nicht als
Einzelspieler an, sondern als Mannschaftsspieler. Welche Auswirkungen hat das?
Arkadij Naiditsch: Das ist sehr personenabhängig. Manche
spüren mehr Druck in Mannschaftswettbewerben – die anderen sind noch
motivierter. Es ist ganz wichtig, dass in der Mannschaft ein gutes Klima
herrscht und die Spieler sich wechselseitig schachlich und mental unterstützen
können und wollen. In dem einen oder anderen Match kann dies dann eine
entscheidende Rolle spielen.
Frage: Wie schafft man es, seine Eigeninteressen hinter die
der Mannschaft zu stellen, zum Beispiel wenn man auf Gewinn spielen muss und
dabei seine Elozahl gefährden kann?
Arkadij Naiditsch: Ich denke, die Elozahl sollte dabei
überhaupt keine Rolle spielen. Wenn man an so einem Wettbewerb wie der EM
teilnimmt, sollte jedem klar sein, was zählt. Das gemeinsame Ziel hat die
oberste Priorität.
Frage: Im Fußball hieß es früher, elf Freunde müsst ihr
sein. Hieß es bei der EM, fünf Freunde sollt ihr sein, um Erfolg zu haben? Wie
wichtig ist das Mannschaftsklima für einen solchen Erfolg?
Arkadij Naiditsch: Im besten Fall sollte man 5 Freunde sein,
im schlechtesten Fall sich wenigstens gegenseitig respektieren und persönliche
Differenzen zurück stellen, um das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen zu
verlieren. Dies ist sehr bedeutend, denn wenn man anfängt, sich unwohl zu
fühlen, ist es schwierig 100% des Leistungspotenzials abzurufen, denn
Ablenkungen mindern die Leistung.
Frage: Es wurde mit Rustam Kasimdschanow ein absoluter
Weltklassespieler für die Eröffnungsvorbereitung verpflichtet. Was hat man sich
unter seiner Arbeit als Laie vorzustellen? Letztlich spielt jeder von Euch seine
Spezialvarianten, in denen er sich auskennt. Letztlich kennt Ihr die anderen
Spitzenspieler selbst durch eigene Wettkämpfe. Wie sah die Hilfe aus? Wie kann
man davon profitieren?
Arkadij Naiditsch: Rustam machte seine Arbeit gut. Ich denke
alle Spieler waren mit ihm zufrieden. Seine Hauptaufgabe bestand darin die „
Theorie-Lücken“ zu schließen. Beispiel: Jemand spielt Sizilianisch und fühlt
sich dabei grundsätzlich sehr gut vorbereitet mit Ausnahme einer bestimmten
Variante. Insoweit fühlt er sich ein wenig unwohl und arbeitet eventuell die
ganze Nacht, um diese „Lücke“ zu schließen. An dieser Stelle kommt Rustam zum
Einsatz. Damit schläft der Spieler besser und spart viel Kraft für die wichtige,
bevorstehende Partie. Da auch Rustam eine Riesenerfahrung als Trainer und als
Sekundant von Vishy Anand hat, gab er uns manchmal auch strategische Hinweise,
wie wir eventuell die Partie anlegen sollten. Daher wäre es falsch, Rustams
Leistung auf die Eröffnungsvorbereitung zu reduzieren. Er war vielmehr quasi
unser 6. Brett!
Frage: Ihr wart nach Erfolgen gegen Ungarn und die Ukraine
Erster in der Tabelle. Dann der Rückschlag gegen Bulgarien. War da der Traum vom
EM-Titel für euch schon ausgeträumt? Was ging da in Euch vor?
Arkadij Naiditsch: Ich denke, nach Runde 5 ist es noch zu
früh zu träumen oder gar das Ziel aufzugeben. Wie in jedem offenen Turnier sind
die letzten 3 Runden die entscheidenden - dann geht es direkt um die
Endplatzierungen. Wir hofften nach der 5. Runde, dass wir weiterhin gut spielen
und noch die eine oder die andere Top-Mannschaft unter Druck setzen können.
Frage: Habt Ihr die Begeisterung und das Mitfiebern der
Schachspieler in Deutschland gespürt? Viele haben ja mit Begeisterung zu Hause
und im Büro Eure Partien im Internet direkt verfolgt. Bekommt man davon etwas
mit? Und beflügelt dies einen?
Arkadij Naiditsch: Während des Turniers bekommt man nur ganz
wenig davon mit und ich denke, es ist auch besser so. Man sollte nicht zu früh
euphorisch werden, oder gar mit dem Feiern beginnen. Viel besser ist es, die
Konzentration und Spannung zu bewahren und cool zu bleiben.
Nach dem Turnier haben wir mitbekommen, wie viele Fans uns die Daumen gedrückt
und mit uns mitgefiebert haben. Dies ist natürlich ein tolles Gefühl und ich
möchte mich für diese Unterstützung bei allen bedanken. Ein Schachspieler ist im
Grunde auch ein „Entertainer“ und es ist ein tolles Gefühl, zu wissen, dass dir
so viele Menschen Glück wünschen und mit dir „schwitzen“!
Frage: Dann der Kampf gegen Armenien. Alles war möglich, ein
Platz unterhalb der Medaillen und der große Erfolg. Was geht einem da vor diesem
wichtigen Kampf durch den Kopf? Wie bekommt man den so frei, dass man ohne zu
große Nervosität den Kampf aufnehmen kann?
Arkadij Naiditsch: Natürlich war jeder ein wenig nervös in
dieser Situation. Es geht um alles! Die ganzen 8 Runden davor dienten nur dazu,
bei dieser entscheidenden 9. Runde dabei zu sein. Jeder Zug war enorm wichtig.
Hier muss man versuchen, ein „eiskalter“ Profi zu sein. Gedanken an Medaillen
sollten im besten Fall überhaupt nicht vorhanden sein, sondern man sollte
versuchen sich nur aufs Brett zu konzentrieren. Dies war in der Realität nicht
so. Wir haben mit den Mannschaftskollegen mitgefiebert und häufiger als „nötig“
auf andere Bretter geschaut. Als Jan Gustafsson alleine blieb und ein Remis für
den Gewinn der Europameisterschaft genügte, hatten wir alle einen gefühlten Puls
von 200. Genau wie viele Fans, die mit uns fieberten und es live im Internet
verfolgten. Nochmals vielen Dank dafür! Hat uns Glück gebracht.
Frage: Und jetzt als Europameister, was ändert sich für Euch
im Schach? Wie kann aus dem Titel, Ihr seit als Mannschaft ja noch recht jung,
ein dauerhafter Höhenflug werden?
Arkadij Naiditsch: Der Europameistertitel ist etwas, das für
immer bleibt, egal wie das Leben weiter verläuft. Der Erfolg ist nun da – jetzt
ist es wichtig, den Erfolg professionell zu vermarkten, damit die Medien mit
noch größerer Aufmerksamkeit die Ereignisse im Schach verfolgen und daran
teilnehmen. Ziel muss es auch sein, durch den erreichten Erfolg, weitere
Sponsoren zu gewinnen und die Popularität des Schachs in der breiten
Öffentlichkeit weiter zu steigern. Die damit verbundene Förderung kommt dann
allen zu gute.
Das Interview führte der Referent für Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Schachjugend Carsten Karthaus.
Dieses Interview ist in der Schachzeitung JugendSchach Ausgabe 02 2012 erschienen. Diese JugendSchach-Ausgabe ist ab 28.01.2012 als Bestandteil der SchachZeitung im Bahnhofsbuchhandel erhältlich. Einzeln bestellt werden kann dieses Heft bei Schachversand Euro Schach Dresden.