Reaktion auf den FIDE-Beschluss zur Aufhebung der Sanktionen gegen Russland und Weißrussland

von André Schulz
16.12.2025 – Bei der digital durchgeführten General Assembly der FIDE am vergangenen Sonntag wurden gleich zwei Abstimmungen über den Umgang mit den Sanktionen gegen Russland und Weißrussland durchgeführt. Sie widersprechen sich allerdings in ihrem Ergebnis. Zudem soll die Durchführung nicht satzungskonform gewesen sein. Die Sitzung sei chaotisch verlaufen, meinen viele Delegierte und Beobachter.

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Am vergangenen Sonntag kamen 141 Delegierte der FIDE zu einer digitalen General Assembly zusammen. In der vom russischen FIDE-Präsidenten Arkady Dvorkovich geleiteten Versammlung ging es in Punkt 3.1 der Tagesordnung um die Frage, ob die Sanktionen gegen den weißrussischen und den russischen Schachverband aufgehoben werden sollen.

Die Sanktionen wurden seinerzeit auf Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees verhängt, nachdem Russland im Februar 2022 die Ukraine überfallen hat, unter anderem von weißrussischem Gebiet aus. Die Sanktionen betreffen vor allem Mannschaftswettbewerbe, an denen Teams der beiden Länder nicht mehr teilnehmen dürfen. Bei Individualwettbewerben sind Teilnehmer dieser Verbände zugelassen, allerdings nicht als Vertreter ihrer Verbände. Die Flaggen der beiden Länder werden nicht gezeigt, ihre Hymnen bei Erfolgen nicht gespielt. Bei den offiziellen Wettbewerben im Bereich der European Chess Union wurden die Sanktionen sehr konsequent durchgeführt, weshalb der Russische Schachverband die ECU verlassen hat und dem Schachverband Asiens beigetreten ist. Auch bei der von der FIDE veranstalteten Schacholympiade 2024 durften keine russischen Teams teilnehmen. Viele russische Schachspielerinnen und Spieler haben aus Protest gegen den Krieg oder weil sie nun von den internationalen Wettbewerben ausgeschlossen waren, den Russischen Verband verlassen und sind in andere Schachverbände gewechselt.

Seitdem die Sanktionen gültig sind, versuchen Vertreter russischer Behörden und Verbände, diese Maßnahmen aufzuweichen oder zu unterlaufen.

So stand die Entscheidung über die Fortführung der Sanktionen schon bei der General Assembly der FIDE während der Schacholympiade 2024 in Budapest zur Disposition, wurde damals aber noch mehrheitlich zurückgewiesen. Einen Teilerfolg konnte die russische Schachpolitik aber mit der Teilnahme eines „neutralen“ Teams unter FIDE-Flagge, „Team FIDE“, ausschließlich mit russischen Spielerinnen, bei der kürzlich durchgeführten Team-Weltmeisterschaft der Frauen in Spanien verbuchen. Das russische Team gewann auch das Turnier.

Bei der digital durchgeführten General Assembly am vergangenen Sonntag wurde sehr kurzfristig auf Antrag des russischen Verbandes durch seinen Delegierten Dmitry Oleinikov erneut eine Abstimmung über die Beibehaltung oder Aufhebung der Sanktionen auf die Tagesordnung gesetzt. Dabei beruft sich die FIDE auf eine Empfehlung des IOC, dass „schutzbedürftige“ Gruppen oder Personen, gedacht waren an Kinder oder Menschen mit Behinderungen, von den Sanktionen nicht betroffen sein sollen.

Eine Reihe von Verbänden, darunter England, Irland, die Niederlande, die USA und die nordischen Länder, meldeten sich daraufhin und wiesen das Ansinnen zurück. Zudem gab es Beschwerden über die Durchführung der Generalversammlung, da erst kurz vor Beginn noch ein Rechtsgutachten verteilt wurde, im Auftrag des Rechtsdirektors der FIDE, Alexandr Martinov, verfasst, das offensichtlich den russischen Antrag stützen sollte.

In dem Gutachten wurde die Auffassung vertreten, die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland und Weißrussland stehe „im Einklang mit den neuesten Leitlinien des Internationalen Olympischen Komitees und des Internationalen Paralympischen Komitees“. Der fortgesetzte Ausschluss von russischen und weißrussischen Teams könnte von den internationalen Dachverbänden als diskriminierend angesehen werden, wurde behauptet.

Der Verfasser des Rechtsgutachtens, der Schweizer Anwalt Claude Ramoni, vertritt laut dem Bericht bei World Chess seit mindestens 2019 die Interessen des Russischen Olympischen Komitees.

In einer ersten Abstimmung über den russischen Antrag stimmten 61 Delegierte dafür, 51 Delegierte dagegen, womit der Antrag für angenommen erklärt wurde. Es wurde nun ein zweiter Antrag zur Abstimmung vorgelegt, in dem sich die FIDE mit dem IOC über die Aufhebung der Sanktionen beraten solle, um möglicherweise Teams der betreffenden Länder als „Neutrale“ teilnehmen zu lassen. Der Antrag wurde mit 69 zu 40 Stimmen angenommen.

Die beiden angenommenen Anträge widersprechen sich allerdings. Die Abstimmungen wurden zudem beide geheim durchgeführt, was den FIDE-Statuten widerspricht.

Eine Zeit lang herrschte allgemeine Verwirrung, da nicht ganz klar war, was nun genau beschlossen wurde und ob die Abstimmungen wegen der nicht satzungskonformen geheimen Durchführung überhaupt gültig waren. Die Sitzung wurde unterbrochen, um eine Rechtsberatung einzuholen, jedoch ohne abschließendes Urteil. 

Malcolm Pein, Vertreter des englischen Verbandes, wies dann auch noch darauf hin, dass bei 141 teilnehmenden Delegierten keiner der beiden Abstimmungen eine 50-prozentige Mehrheit gefunden hatte. Es wurde nun darüber diskutiert, ob eine weitere, dann bindende Abstimmung durchgeführt werden solle. Im Laufe der Diskussion war die fünfte Versammlungsstunde erreicht, und ein Delegierter nach dem anderen verabschiedete sich. So endete die General Assembly mit einer gewissen Ratlosigkeit darüber, was denn nun beschlossen worden war. 

Auf ihrer Webseite ließ die FIDE dann aber dennoch mitteilen, dass die Aufhebung der Sanktionen weitgehend beschlossen worden sei: „Der FIDE-Rat wird unverzüglich mit den in beiden Resolutionen gefundenen Konsenspunkten fortfahren, in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des IOC und den jüngsten Leitlinien des Olympischen Gipfels zum Zugang zum Sport und zur politischen Neutralität.“

Wie das IOC und wie die verschiedenen Verbände reagieren werden, wenn nun russische und weißrussische Flaggen gezeigt und Hymnen gespielt werden oder weitere „neutrale“ russische und weißrussische Mannschaften an offiziellen Wettbewerben teilnehmen, ist allerdings ungewiss. Die FIDE steht vor einer ernsthaften Zerreißprobe, fürchten viele Delegierte und Beobachter. 

Beitrag bei World Chess...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.
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