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Zu Zeiten der Sowjetunion hatten Schach und die Schacherfolge der sowjetischen Großmeister hohe Bedeutung und waren im Prinzip "Chefsache". Die sowjetischen Großmeister erhielten eine Leibrente und genossen im Land hohes Prestige.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion fiel auch dieses System zunächst auseinander, aber mit der Platzierung von Kirsan Ilyumzhinov und dann Arkady Dvorkovich als Präsidenten des Weltschachbundes übte und übt Russland großen Einfluss in der Schachwelt aus und finanzierte über sein Oligarchensystem und staatseigene Betriebe wie Gazprom über lange Zeit auch einen Teil des internationalen Turniergeschehens. Nach dem Weltmeisterschaftskampf 2014 zwischen Magnus Carlsen und Viswanathan Anand, in Sotschi ausgetragen, überreichte Vladimir Putin sogar höchstselbst die Siegertrophäe an den Gewinner Magnus Carlsen.
Turniere in Russland und russische Schacherfolge dienten der Aufwertung der russischen Staatsführung und den Mitgliedern der Regierung. Personen des inneren Zirkels wie Vladimir Peskov Putins Sprecher, oder Sergey Shoigu, bis vor kurzem noch russischer Verteidigungsminister, gehören dem Aufsichtsrat des Russischen Schachverbandes an, der vom Oligarchen Andrei Filatov geführt wird.
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar hat sich auch im russischen Schach vieles zum Nachteil geändert. An internationalen Wettbewerben, die von der FIDE organisiert wurden, durften russische Spieler noch mitspielen, allerdings nicht unter russischer Flagge. Bei Mannschaftsturnieren wurde Russland ausgeschlossen. In der Europäischen Schachunion waren die Sanktionen noch rigider und der Russische Schachverband zog die Konsequenzen und wechselte in den Asiatischen Schachverband.
2022 wurde Arkady Dvorkovich mit großer Mehrheit von den Delegierten der FIDE-Vollversammlung als Präsident wierdergewählt, kann aber wegen der Sanktionen gegen Russland sein Amt nicht überall ausüben. So war er beispielsweise beim Kandidatenturnier in Toronto nicht vor Ort. Offenbar hatte Dvorkovich darauf verzichtet, einen Visum-Antrag zu stellen, weil er damit rechnete, dass dieser nicht bewilligt werden würde.
Einer der konsequentesten Kritiker der FIDE ist Peter Heine Nielsen, der zusammen mit Andrey Baryshpolets und einer weiteren Person den Russischen Schachverband und auch Arkady Dvorkovich wegen der engen Verbindungen zur Russischen Regierung, deren Mitglieder und Unterstütze allesamt auf den Sanktionslisten stehen, wegen Verstoßes gegen die FIDE-Richtlinien bei der FIDE-Ethikkommission anklagten. Die FIDE-Ethikkommission prüfte den Fall und gab den Klägern recht.
Die Mitgliedschaft Russlands in der FIDE soll nach dem Willen des Ethikrates für zwei Jahre ausgesetzt werden, wenn der russische Schachverband seine Aktivitäten in den besetzten Gebieten nicht einstellt und die sanktionierten Personen nicht aus seinem Aufsichtsrat entfernt. Diesen Auflagen kann der Russische Schachverband ohne Gesichtsverlust sicher nicht nachkommen. Dvorkovich wurde zudem gerügt.
Da die Führungsgremien von internationale Sportorganisationen meist dazu neigen, die Dinge bisweilen sehr "pragmatisch" zu beurteilen, um den Betrieb ihre Aktivitäten aufrecht zu erhalten und zu finanzieren, kam die Entscheidung der FIDE-Ethikkommission einigermaßen überraschend. Immerhin hat sie ja ihren eigenen Präsidenten gerügt.
Natürlich stieß die Entscheidung in Russland auf wenig Gegenliebe. Andrey Filatov gab im Namen des Russischen Schachverbandes eine Erklärung heraus und nannte die Entscheidung "politisch motiviert" und findet, dass der FIDE-Ethikrat seine Kompetenzen überschritten habe. Sport und Politik sollten auch nicht vermischt werden, meint Filatov. Der Russische Schachverband will Berufung einlegen.
In einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur TASS erklärte Arkady Dvorkovich, dass er auf der nächsten FIDE-Generalsversammlung während der Schacholympiade in Budapest im September die Zuständigkeit des FIDE-Ethikrates prüfen lassen will, der im Übrigen bei er Abstimmung nur aus drei Person bestanden habe, von denen eine Person nicht stimmberechtigt war. Die vom Russischen Schachverband in den besetzten Gebieten durchgeführten Turniere hätten im Übrigen nur humanitären Charakter, keinen politischen, und würden auch nicht Elo-ausgewertet.
Auch Sergey Karjakin hat sich zu Wort gemeldet und die Gründung eines alternativen internationalen Schachverbandes gefordert.
Die Stellungnahme von Andrey Filatov, dem Präsidenten des Russischen Schachverbandes, zur Entscheidung der FIDE-Ethikkommission:
Der Schachverband Russlands betrachtet die Entscheidung der FIDE-Ethikkommission als opportunistisch, politisch motiviert und diskriminierend gegenüber russischen Schachspielern. Der Schachverband Russlands wird weiterhin für die Rechte der russischen Spieler kämpfen.
Der Schachverband Russlands ist der Ansicht, dass die FIDE-Ethikkommission ihre Kompetenzen überschritten hat. Die Frage der Befugnisse der Ethikkommission wird auf der FIDE-Generalversammlung, die im September 2024 in Budapest stattfinden wird, diskutiert werden. Die Generalversammlung ist das oberste legislative und exekutive Organ des Internationalen Schachbundes. Ihre Beschlüsse sind für die Exekutiv- und Legislativorgane der FIDE verbindlich.
Der Schachverband Russlands hat nicht gegen den FIDE-Ethikkodex verstoßen. Der CFR beschäftigt sich nicht mit politischen Aktivitäten, sondern mit der Entwicklung des Schachs. Wir sind davon überzeugt, dass die Organisation von Schachturnieren, für die der CFR direkt verantwortlich ist, kein Grund sein kann, Sanktionen gegen den CFR und russische Sportler zu verhängen.
Es gibt viele Konflikte in der Welt, und Sport, einschließlich Schach, sollte nicht mit Politik vermischt werden. Die Aufgabe von Sportverbänden ist es, Menschen zusammenzubringen, nicht sie zu trennen. Dieser Grundsatz leitet die Aktivitäten des Russischen Schachbundes.
Präsident des Schachbundes von Russland
Andrej Filatow
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