Hartmut Metz: Matthias, wie läuft es in der Hamburger Landesliga? Schon ein Remis abgegeben?
Matthias Wahls: Aber natürlich. Sogar schon eine Partie verloren. Meine Probleme sind die Variantenberechnung und Zeitnot. Um gut zu spielen, braucht es ja neben dem Schachverständnis jede Menge anderer Dinge: Spielpraxis, die ich nicht habe, sportliche Betätigung, die mir jetzt im Winter fehlte, Taktiktraining - dazu fehlt mir die Zeit, da ich jeden Tag 12 Stunden mit Coaching und Content-Produktion verbringe - und jugendliche Körperzellen! Mit 55 läuft die Informationsverarbeitung leider deutlich langsamer ab.
Die Gegner sind also nicht unbedingt überfordert – aber prinzipiell überwiegt bei denen sicher die Freude, gegen eine Hamburger Legende spielen zu dürfen?
Wahls: Überfordert leider nicht immer – siehe oben. Die Frage musst du an meine Gegner richten. Meine Vermutung ist jedoch, dass sich gerade die Jüngeren eher an den Helden der Gegenwart orientieren.
Wie bewertest Du selbst Dein derzeitiges Können?
Wahls: Mein Schachverständnis wächst jeden Tag und ist deutlich besser als damals mit über 2600. Die Umsetzungskompetenz dagegen lässt leider im Alter kontinuierlich nach.
Matthias, was bewog Dich, dass du mit Profi-Schach aufgehört hast? 2006 ist die letzte Elo-Auswertung bei der FIDE von Dir verzeichnet?
Wahls: Mit dem Profischach hatte ich bereits Anfang 1998 aufgehört, mit dem Erreichen meines 30. Geburtstags. Ich spielte dann noch zum Spaß das Zonenturnier in Dresden mit und 1999 auch noch die WM in Las Vegas, nachdem mir die Qualifikation gelang. Ansonsten war ich dann nur noch in den Mannschaftskämpfen aktiv, hatte damals aber nicht mehr trainiert. Das war auch daran zu erkennen, dass meine Elo-Zahl abzubröckeln begann.
Reifte der Entschluss damals lange in dir oder fiel er eher spontan?
Wahls: Er kam eher spontan. Zum einen war ich unzufrieden mit den Verdienstmöglichkeiten im Schachmarkt. Ich erwartete nach dem Überschreiten der 2600er-Grenze, was damals noch etwas bedeutete …
Das stimmt allerdings!
Wahls: … und dem zweifachen Gewinn der deutschen Meisterschaft mit Turniereinladungen überschüttet zu werden, was aber nicht eintrat. Diese Erwartungshaltung war sicherlich viel zu naiv und auch zu egozentrisch. Um eingeladen zu werden, muss man sich aktiv bemühen und bei den Veranstaltern beliebt machen. Als eher introvertierter Mensch hatte ich mich damals aber nicht um Marketing gekümmert. In dieser Situation kam eine geschäftliche Gelegenheit daher, die ich dann spontan ergriff.
Das heißt beruflich?
Wahls: 1998 bestand für mich die Möglichkeit, über persönliche Kontakte an der „New Economy“ teilzunehmen. Mit unser Immobilienplattform gelang es uns, United Internet als Beteiligungsgesellschaft zu gewinnen. Als die Blase platzte und sich der Kurs von United Internet gezehntelt hatte, wollten sie die Aktionärsvereinbarung nicht erfüllen und ließen uns Pleite gehen.
Zur Überbrückung gab ich damals Schachseminare. Dies hätte so weiter gehen können, wenn mir im Jahr 2004 nicht Poker dazwischengekommen wäre. Das war sehr unterhaltsam und damals ziemlich leichtes Geld. Für ein Dreivierteljahr war ich tatsächlich Poker-Profi. Dies endete damit, dass ich mit zwei Freunden eine Online-Pokerschule gründete, was mich schließlich nach Gibraltar verschlug. Dort blieb ich dann zehn Jahre, bevor ich 2018 nach Hamburg zurückkehrte.
Eine bewegte Zeit, so wie sich das anhört! Ihr Hamburger Großmeister-Kollege Jan Gustafsson hat sich auch mit Poker beschäftigt. Und danach?
Wahls: Seit 2018 bin ich wieder als Schach-Coach, Veranstalter von Online-Seminaren für Vereine und Publizist aktiv. 2019 veröffentlichte ich ein PGN-Buch zur Sizilianischen Vierspringervariante. 2022 kam ein Chessable-Kurs über den Bajonett-Angriff hinzu. Dies ist im höheren Sinne die Widerlegung des Königsinders, da die Hauptvariante 7…Sc6 für meine Begriffe nicht mehr spielbar erscheint. Natürlich kann Schwarz in den Zügen 6 und 7 mit diversen Varianten abweichen, doch sind die auch nicht wirklich befriedigend. Um den Weißen ein vollständiges Repertoire gegen Königsindisch zu liefern, folgte die Veröffentlichung eines Repertoires gegen all diese Nebenwege auf Chessable im April diesen Jahres. Wer sich für mein Angebot interessiert, kann auf meiner Webseite matthias-wahls.com mehr erfahren. Dort gibt es auch sehr viel freien Content. Mittlerweile veröffentliche ich jede Woche ein Video.
Das über die Taimanov-Variante habe ich mir angeschaut und fand es sehr instruktiv.
Wahls: Es gibt auf Youtube sehr viele Schachvideos. Einige legen den Schwerpunkt auf Nachrichten, andere auf Unterhaltung. Ich versuche bei meinen Stärken zu bleiben und vorwiegend schachliches Wissen zu vermitteln.
Hattest du nach dem Rückzug keine „Entzugserscheinungen“ verspürt?
Wahls: Anfangs nicht. Ich bin vielseitig interessiert und hatte damals das Bedürfnis, über den schachlichen Tellerrand hinauszuschauen. Aber nachdem ich einiges von der Welt gesehen hatte, war der Reiz, zum Schach zurückzukehren schließlich sehr stark.
Das ist natürlich erfreulich. Und wie ist Deine Beurteilung der Entwicklung, so du sie verfolgst?
Wahls: Nur am Rande. Von daher kann ich mir keine Meinung erlauben. Meine Projekte und Trainingsaktivitäten nehmen mich sehr in Beschlag. Außerdem interessiert mich am Schach vorwiegend der Inhalt und weniger das Drumherum.
Bestehen noch Kontakte zum Hamburger SK?
Wahls: Ich bin noch passives Mitglied, spiele aber, wie erwähnt seit einer Saison für Großhansdorf. Wir sind von der Stadtliga in die Landesliga aufgestiegen, was gut ist, denn Schach am späten Abend war für mich eher anstrengend.
Ein Comeback beim HSK schließt du aus? Beim größten deutschen Schachverein genießt du noch immer einen sehr guten Ruf und bist ja quasi der Vorreiter für all die Großmeister, die der Klub seitdem herausgebracht hat.
Wahls: Ich schließe nur wenige Sachen gänzlich aus. Aber zurzeit ist ein Einsatz beim HSK kein Thema, denn ich bin ja gerade vom HSK nach Großhansdorf gewechselt und fühle mich dort sehr wohl.
Hast Du andere sportliche Hobbys? Oder wie verbringst Du die Freizeit am liebsten?
Wahls: Ich habe früher gerne Badminton gespielt, aber bereits Anfang 40 machten meine Schultern schlapp. Heutzutage umkurve ich gerne die Hamburger Außenalster mit dem Fahrrad, um einigermaßen in Form zu bleiben. Noch lieber verbringe ich Zeit mit meinen beiden Kindern, die aber leider weit weg im Ausland leben.
Begeistert sich Dein Nachwuchs für Schach und hat Talent wie der Papa?
Wahls: Mein Sohn ist geistig viel reifer, als ich es mit zehn Jahren war. Das Problem ist aber, dass er sich nicht in meiner direkten Obhut befindet und der nächste Schachklub sehr weit entfernt ist. Ihn aus der Ferne zu motivieren, ist leider nicht so leicht. Möglicherweise ergibt sich jetzt eine Möglichkeit in seiner Schule. Mal sehen.
Bereust Du Deinen Entschluss, sich vom Schach zwischenzeitlich zurückzuziehen oder bist weiterhin damit glücklich?
Wahls: Meinen Entschluss bereue ich nicht, denn er hat mich zu meinen Kindern geführt und mir interessante Einblicke verschafft. Die Alternative, mein spielerisches Potenzial voll auszuschöpfen - fünf Jahre hätte ich dafür noch Zeit gehabt, bis zum Erreichen des 35. Lebensjahres - wäre aber auch in Ordnung gewesen. Schach ist ein sehr tiefes Spiel und wenn man für den nötigen Ausgleich sorgt, kann die Profi-Laufbahn sehr erfüllend sein.
Ein paar alte Weggefährten wie Klaus Bischoff, der aber nie aufhörte und lediglich das Turnierschach reduzierte, tummeln sich mittlerweile bei Senioren-Weltmeisterschaften. Könntest du dir dort ein Comeback vorstellen?
Wahls: Nun spiele ich ja seit einem Jahr wieder Mannschaftskämpfe. Irgendwann werde ich auch sicherlich mal wieder an einem Turnier teilnehmen.
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