Mehr Respekt, bitte!

von André Schulz
17.05.2019 – Im Laufe der letzten Jahre ist bei einigen Schachfreunden der Respekt gegenüber den Leistungen anderer, zum Beispiel der Schachgroßmeister, leider verloren gegangen - ein Thema im jüngsten ChessBase Magazin.

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Jeder Ausgabe des ChessBase Magazins ist ein Editorial voran gestellt. In der Regel werden dort aktuelle Entwicklungen oder Aspekte im Turnierschach oder in der Schachpolitik angerissen. In der jüngsten Ausgabe ging es um den Respekt gegenüber den Spielern. Dieser ist in den letzten Jahren leider bei einigen Schachfreunden verloren gegangen. 

ChessBase Magazin 189

Mannschafts-WM und Schachfestival Prag mit Analysen von Vitiugov, Wojtaszek, Vidit, Duda, Adams, Jones, McShane u.v.a. Dazu Eröffnungsvideos von King, Williams und Pelletier. Plus 11 Eröffnungsartikel mit neuen Repertoireideen, z.B. Italienisch mit 6...d5

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Das Editorial aus ChessBase Magazin 189:

Respekt!

Schach ist ein überaus schwieriges Spiel, wie jeder weiß, der sich damit einmal intensiv auseinandergesetzt hat. Schachmeistern oder Großmeistern wurde früher deshalb ein großes Maß an Respekt entgegengebracht. Die Besten der Besten erhielten sogar das Etikett „Genie“, was vielleicht etwas übertrieben war. Während der normale Schachfreund bei Mattaufgaben, schwierigen Endspielen und auch sonst schnell ins Grübeln kam, fanden die Meister die Lösung mit leichter Hand. Sie spielten simultan gegen 30 oder mehr Gegner, manchmal sogar ohne Ansehen des Brettes, „blind“ mehr sehend als ihre Gegner am Brett. Das ist auch heute noch so. Nur: Der Respekt ist verloren gegangen.

Während die Meister heute über die besten Züge nachdenken, können die Amateure und „Patzer“ live aus jedem Winkel der Welt zuschauen. Das Internet macht's möglich. Mehr noch: Die Großmeister müssen die besten Züge durch Nachdenken immer noch selbst finden. Die Patzer schalten ihre Engines an und „wissen“ mit Hilfe der Maschinen viel mehr als die Spieler am Brett, glauben sie jedenfalls. „Weiß steht klar besser, 0.65.“ „Ui, was für ein Patzer, jetzt hat er nur noch 0.35 Vorteil.“ „Oh je, er hat das Matt in 15 Zügen verpasst.“ Wer einmal den Internet-Chat bei einer Live-Übertragung verfolgt hat, kennt solche Sprüche, von denen diese hier noch von harmloserer Art sind. Amateure mit lächerlichen Wertungszahlen erheben sich über die besten Spieler der Welt und erlauben sich ein Urteil über deren Fähigkeiten.

Und noch ein Aspekt: Ein Schachprofi ist bei einem Turnier niemandem verpflichtet, außer sich selbst – bei Mannschaftskämpfen vielleicht noch einem Sponsor, falls es ihn gibt, oder seinen Mannschaftskollegen. Dem Zuschauer schuldet er gar nichts. Schachturnieren kann man zumeist kostenlos zuschauen oder zahlt einen lächerlich geringen Eintritt vor Ort. Daraus lassen sich keinerlei Ansprüche ableiten. Wenn ein Spieler, dem man vielleicht die Daumen drückt oder der aus dem gleichen Land kommt, dem gleichen Verein angehört wie man selbst, nicht zum gewünschten Erfolg kommt, weil der Gegner es verhindert, dann ist das vielleicht schade, mehr aber auch nicht. Kein Zuschauer hat das Recht, den erfolglosen Spieler zu beschimpfen oder schlechtzureden. Doch viel zu viele nehmen sich das Recht dazu heraus.

Eines der aktivsten Schachzentren der Welt ist der Saint Louis Chess Club in den USA. Das Ehepaar Sinquefield gibt eine Menge Geld aus, um jedes Jahr eine große Anzahl an fantastischen Schachveranstaltungen zu organisieren. Ohne solche Mäzene und ohne die Spieler bliebe der Schach-Bildschirm leer. Anfang des Jahres wurde dort zum ersten Mal auch ein sehr starkes Fraueneinladungsturnier durchgeführt. Frauen sind im Schach leider unterrepräsentiert und das Turnier soll eine Maßnahme sein, dass sich dies ändert. Im Schach sind die Frauen oft sehr viel kämpferischer eingestellt als die Männer und riskieren mehr. Das Turnier, Cairns Cup genannt, wurde medial erstklassig in Szene gesetzt. Die Frauen spielten auf der Internet- Bühne vor großem Publikum und zeigten einmal mehr spannendes und kämpferisches Schach.

Leider war aber ein Teil des wohl vorwiegend männlichen Publikums seiner Aufgabe als vorurteilsfreier Zuschauer nicht gewachsen. Fehler, nur dank der mitlaufenden Schachengines überhaupt entdeckt, wurden in Foren (anonym) hämisch kommentiert und belächelt. Für ihre Misserfolge wurden die Frauen beschimpft.

Bei uns in Hamburg ruft das ganze übrige Publikum im St.Pauli-Fußballstadion, wenn sich dort jemand daneben benommen hat: Du bist doof!

Ihr André Schulz

 

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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