Rezension: Andrew Martins "A Sharp Slav"

von Christian Hoethe
05.02.2019 – Nach 1.d4 d5 2.c4 c6 kann Schwarz der Partie bald eine eigene Richtung geben, indem er nach 3.Sc3 oder 3.Sf3 auf c4 schlägt - und seine Beute auch nicht gleich wieder hergibt. Andrew Martin hat diese Spielweise auf zwei "60 Minutes" (nur Download) vorgestellt und Christan Höthe hat sich diese angeschaut.

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Rezension Andrew Martin: A Sharp Slav 1 und 2

Slawisch ist eine wundervolle Eröffnung für den Nachziehenden. Sie ist solide, vielseitig, kann sowohl positionell als auch hochtaktisch interpretiert werden und erlaubt teilweise schon sehr früh, dem Spiel seinen eigenen kreativen Stempel aufzudrücken, um vom ersten Zug an auf Gewinn zu spielen. Alles Eigenschaften, die auf hochwertige Hauptvarianten zutreffen!

Unvergessen, wie im Wettkampf um die Weltmeisterschaft 2006 zwischen Kramnik und Topalov der "Slawe" hoch und runter gespielt wurde. Es scheint, als wäre das der Anstoß für die aktuelle Beliebtheit der slawischen Verteidigung gewesen. Aber weit gefehlt! Schon in den 1930er Jahren war Slawisch eine der Eröffnungen schlechthin - nicht nur Euwe spielte sie gegen Aljechin und Aljechin selbst spielte sie gegen Euwe- Besonders Botwinnik entwickelte die von Rubinstein ausgearbeitete und von Klaus Junge um viele edle Gedanken bereicherte Meraner Variante im Slawen zu einer extrem schlagkräftigen Waffe in seinem Repertoire und am Ende seiner Karriere tauchte sie sogar bei Kasparov auf!

Die beiden neuen 60 Minuten-Trainer "A sharp slav" 1 und 2 des beliebten internationalen Meisters Andrew Martin beschäftigen sich ebenfalls mit der slawischen Verteidigung. Sie setzten aber viel früher an als beispielsweise die klassische Hauptvariante oder das oben erwähnte Meraner Abspiel: nach den einleitenden Zügen 1. d4 d5, 2. c4 c6 empfiehlt Martin nämlich sowohl nach 3. Sc3 als auch nach 3. Sf3 - den beiden mit Abstand am häufigsten gespielten Zügen - das interessante und seltene Abspiel 3. ...dc4!?

Wer schon einmal gegen diese Variante zu spielen hatte - egal, ob in einer normalen Turnierpartie oder im Blitz- oder Schnellschach - der kann aus Erfahrung heraus sagen, wie unangenehm eine solch frühzeitige Überraschung sein kann. Warum?

Nun....ganz einfach: Weiß ist vom dritten Zug in der Mehrzahl der Fälle bereits "out of book" - sprich: am Ende seines verinnerlichten Eröffnungslateins. Und schlimmer noch: Schwarz versucht, wovon uns seit Kindheitstagen abgeraten wurde: er ist tatsächlich bereit, den eroberten Bauern auf c4 durch ein frühes b7-b5 zu verteidigen! Manchmal lässt er dazu sogar b5-b4 nebst Lc8-a6 oder gar nicht selten Dd8-d5 folgen!

Frech? Ja! Dreist? Ohne Ende! Einfach zu widerlegen? Keinesfalls! 

Werfen wir einen Blick in die Inhaltsverzeichnis der beiden 60 Minuten-Trainer!

01: Intro [01:22]

02: 4.e3 b5 5.a4 b4 6.Nce2 - Mamedyarov,S - Nakamura,H [11:12]
03: 4.e3 b5 5.a4 b4 6.Ne4 Nf6 - Freiman,S - Botvinnik,M [10:16]
04: 4.e3 b5 5.a4 b4 6.Ne4 Qd5 7.Ng3 Nf6 8.Be2 g6 - Fier,A - Bartel,M [07:43]
05: 4.e3 b5 5.a4 b4 6.Ne4 Qd5 7.Ng3 Nf6 8.Be2 e5 - Baron,T - Inarkiev,E [07:26]
06: 4.e3 b5 5.a4 b4 6.Na2 e6 7.Bxc4 Nf6 - Krejci,J - Inarkiev,E [03:30]
07: 4.e3 b5 5.a4 b4 6.Nb1 Ba6 7.Qc2 Nf6 - Khismatullin,D - Vitiugov,N [07:35]
08: 4.e3 b5 5.a4 b4 6.Na2 Nf6 7.e5 Nd5 8.Bxc4 Bf5 - Slipak,S - Ginzburg,M [05:25]
09: 4.e3 b5 5.a4 b4 6.Na2 Nf6 7.e5 Nd5 8.Bxc4 e6 - Gazik,V - Ketzetzis,G [05:48]
10: 4.e3 b5 5.a4 e5 6.Be3 b4 7.Nb1 Ba6 8.Nf3 exd4 - Knaak,R - Lautier,J [06:07]
11: 4.a4 e5 5.Nf3 exd4 6.Nxd4 Bc5 - Ibragimov,I - Popov,I [08:44]
12: 4.a4 e5 5.dxe5 Qxd1+ 6.Kxd1 Be6 - Koch,T - Rausis,I [05:18]
13: Outro [00:24]

Band 2 beschäftigt sich mit dem anderen Springerzug im dritten Zug, nämlich 3. Sf3 und jetzt logischerweise wieder 3. ....dxc4!

01: Intro [01:18]

02: 4.e3 Be6 5.Nc3 b5 6.a4 b5 7.Ne4 Nf6 8.Nc5 Bd5 - Krush,I - Ehlvest,J [05:47]
03: 4.e3 Be6 5.Nc3 b5 6.a4 b5 7.Ne4 Nf6 8.Ned2 c3 - Pogorelov,R - Dreev,A [05:48]
04: 4.e3 Be6 5.Nc3 Nf6 6.Ng5 Bf5 7.Bxc4 e6 8.e4 Bg6 - Leenhouts,K - Spoelman,W [07:00]
05: 4.e3 Be6 5.a4 Nf6 6.Na3 Bd5 7.Nxc4 e6 8.Bd3 Na6 - Golichenko,I - Bortnyk,O [06:50]
06: 4.e4 b5 5.a4 e6 6.b3 Bb4+ 7.Bd2 Bxd2 8.Qxd2 cxb3 - Sachdev,T - Khenkin,I [06:18]
07: 4.e4 b5 5.a4 e6 6.Nc3 Bb4 - Frank,W - Khenkin,I [07:12]
08: 4.e4 b5 5.a4 e6 6.Be2 Nf6 7.Qc2 Na6 - Vojta,P - Hollan,M [04:53]
09: 4.Nc3 b5 5.e3 Bb7 6.a4 a6 7.Be2 e6 - Skatchkov,P - Kharlov,A [08:32]
10: 4.Nc3 b5 5.g3 e6 6.Bg2 Nd7 - Sosonko,G - Sokolov,I [06:38]
11: 4.a4 Nf6 5.Nc3 e6 6.e3 c5 7.Bxc4 Nc6 - Devereaux,M - Mikhalevski,V [06:36]
12: Outro [00:55]

Wie ersichtlich, finden sich in den Musterpartien durchweg starke bis sehr starke Großmeister, bei denen Slawisch ins Standard-Repertoire gehört: Dreev, Khenkin, Sokolov, Rausis und Nakamura, um nur einige zu nennen. Dies spricht natürlich für die Qualität der gewählten Variante!

Schauen wir zu guter Letzt einmal nüchtern auf die Zahlen, um auch die womöglich letzten Zweifel auszuräumen:

In meiner Datenbank punktet Schwarz in der Variante mit 3. Sc3 dxc4 locker mit 45 Prozent bei einer Anzahl von knapp 2500 Partien recht ordentlich.

Besser wird es statistisch sogar nach 3. Sf3 dxc4, wo Schwarz aus rund 2200 Partien überdurchschnittliche 47 Prozent der Punkte holt.

Erwähnt werden muss hier gesondert, dass die Statistiken für Schwarz in einigen der Untervarianten noch besser werden - ein Zeichen nicht nur für die Korrektheit der von Martin empfohlenen Spielweise, sondern auch dafür, dass die Anziehenden sich mit einer unangenehm frühen Überraschung konfrontiert sehen und dann nicht ideal reagieren!

Wer gern vom ersten Zug an auf Sieg spielt und es genießt, den Gegner frühzeitig zum selbständigen Denken zu bringen, der hat hier die ideale Eröffnungsvariante vor sich! Und man kann sich kaum einen besseren Coach als Andrew Martin wünschen, der einen in die Geheimnisse und typischen Manöver dieser beiden Abspiele unterweist.

Fazit: Viel sehr guter Input für sehr wenig Geld - und das auf satten 120 Minuten!  Ich war begeistert!

A sharp Slav Vol.1

1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sc3 dxc4! Schwarz will ...b7-b5 und danach oft auch ...b5-b4 spielen und den Springer auf c3 angreifen.

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A sharp Slav Vol.2

1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 dxc4. Ohne einen Springer auf c3 ergeben sich ganz andere Möglichkeiten als in dem vorherigen Abspiel, aber die Idee, mit dem Nehmen auf c4 die weißen Pläne zu stören, ist auch in dieser Variante entscheidend.

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Christian Hoethe ist Jahrgang 1975, Vater zweier Töchter und eines Sohnes, wohnt in Braunschweig und erlernte die Gangart der Figuren relativ spät mit 13 von seinem Vater. Ein Jahr später spielte in der Schach-AG seines damaligen Erdkundelehrers, mit dem er auch heute noch ab und zu eine Partie spielt. Mit 15 landete er Dank seines Mathe-Nachhilfelehrers (!) endlich in einem Verein. Er brachte es zu seinen besten Zeiten auf eine Elo-Zahl von 2247 und spielt für den SC Wolfsburg.

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