Rezension Luis Engel "Najdorf: Ein dynamisches Großmeister-Repertoire gegen 1. e4"
Die sizilianische Najdorf-Variante wird gerne als der "Rolls Royce" unter den Schacheröffnungen bezeichnet und es ist klar, warum: der große Robert James "Bobby" Fischer spielte sie so virtuos wie kaum ein anderer. Nur wenig später übernahm Garry Kasparov den Staffelstab des amerikanischen Idols und machte Sizilianisch ebenso zu seiner absoluten Haupteröffnung.
Beide Weltmeister machten Najdorf durch spektakuläre Erfolge ungemein populär und bald schon bedienten sich Hobby- und Vereinsspieler ihrer ebenso wie Großmeister. Ich erinnere mich an eines meiner ersten Schachbücher, in dem ein Kapitel mit "Erfolgreich für Schwarz: Sizilianisch Najdorf" betitelt war! Es war klar, dass sich der Najdorf-Sizilianer schnell zu meiner ersten großen Liebe auf den 64 Feldern entwickelte.
Also was macht diese Eröffnungsvariante so attraktiv?
Zuerst einmal - und das ist ein ganz wesentliches Plus - lässt Sizilianisch kaum frühe Abtauschvarianten und damit Vereinfachungen im Remis-Sinne zu, wie es teilweise im Franzosen, Caro Kann und der Aljechin-Verteidigung der Fall ist. Gerade in diesen Eröffnungen entwickeln sich die früher gern als harmlos verpönten Abtauschvarianten zunehmend als unangenehm bis schwierig für den Nachziehenden, besonders wenn man gegen nominell schwächere Gegner auf Gewinn spielen möchte. Dieses Problem existiert im Sizilianer praktisch nicht.
Zweitens sprechen die Statistiken eindeutig eine pro-sizilianische Sprache: kaum eine andere Eröffnung punktet statistisch so gut für Schwarz wie 1. e4 c5! Das betrifft dabei gleich eine Vielzahl sizilianischer Abspiele, besonders aber den Najdorf-Sizilianer!
Und zu guter Letzt: seien wir ehrlich - für Najdorf-Anhänger gibt es kaum etwas Cooleres, als diese zugleich magisch wie auch geheimnisvoll scheinende Stellung nach 5. ...a6! aufs Brett zu bekommen und zu sehen, für welche Variante sich Weiss entscheiden wird!
Die beiden neuen Fritz-Eröffnungstrainer "Najdorf: Ein dynamisches Großmeister-Repertoire gegen 1. e4" von Großmeister Luis Engel erleichtern den Aufbau eines ebenso aktuellen wie vollständigen Najdorf-Repertoires ungemein!
Band 1 befasst sich dabei direkt mit den schärfsten Abspielen im Najdorf-Sizi, als da wären die Hauptvariante mit 6. Lg5, das modernere 6. Le3, Fischer´s Lieblingswaffe 6. Lc4 und den früher von Geller und Karpov bevorzugten Zug 6. Le2.
Band 2 betrachtet dann detailliert die eher selteneren Varianten wie 6. g3, 6. h3, die frühere Nunn-Empfehlung 6. f4, das unterschätzte und gelegentlich von Adams gespielte 6. Ld3, 6. Tg1, 6. Sb3, 6. h4, 6. Df3 und weitere rare Abspiele.
Dabei sei erwähnt, dass sich Großmeister Engel in den meisten Abspielen für den typischen Najdorf-Zug e7-e5 entscheidet, so wie Fischer und auch Najdorf selbst es gespielt haben. Dies dürfte auch von den meisten Najdorf-Anhängern und zukünftigen Anwendern sehr wohlwollend aufgenommen werden, denke ich! Das gilt auch
für die Gesamtlänge von etwa 8 Stunden reine "Najdorf-Spielzeit"!
Nachdem bei Chessbase bereits Najdorf-Fritztrainer der Großmeister King, Bologan und Pelletier erschienen waren, war ich besonders gespannt zu sehen, was Engel gegen das nach wie vor kritische 6. Lg5 empfiehlt. Zuvor waren hier sowohl die Bauernraubvariante als auch das klassische Abspiel mit Le7 - jeweils mit Einschub von
h7-h6 - von Bologan bzw. King empfohlen worden.
GM Luis Engel geht den weitaus modernsten Weg, der mit 6. Lg5 e6, 7. f4 h6 (da ist er wieder!), 8. Lh4 Sbd7!? weiter geht und typischerweise gerade eben nicht in die klassische oder Gelfand-Variante überleitet.
Die Idee ist es vielmehr, den üblichen Zug 9. Df3 mit e6-e5! zu kontern. Eine Variante, die so modern ist, dass ich in meiner Datenbank nur knapp 75 Partien mit diesem Zentrumskonter finden konnte. Eine Variante, die für Schwarz überdurchschnittlich gut punktet und Weiß vermutlich dazu zwingen wird, nach Alternativen wie 9. Lc4!? Ausschau zu halten.
Wem Engels Empfehlung 9. Lc4 b5!? wegen des leicht exponierten Königs nach 10. Lxe6 übrigens nicht ganz behagt - Schwarz steht auch hier völlig okay, wie Engel als auch die Engines nachweisen - der kann der 1997er Partie Solomon-Agdestein mit 9. Lc4 Db6!? folgen und diese im 14. oder 15. Zug mittels Engine-Hilfe verbessern. Der zukünftige Carlsen-Trainer stand zu diesem Zeitpunkt absolut akzeptabel und hatte gar Chancen auf mehr.
Hier hat Engel tatsächlich vorbildliche analytische Pionierarbeit geleistet! Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie selbst eingefleischte 6. Lg5-Spieler mit dieser Variante überraschen, ist ziemlich hoch! Denn auch in Jarmula´s "The Najdorf Bg5 revisited" 1 oder 2 aus dem Jahr 2021 konnte ich sie nicht finden.
Zum Chessbase-Standard gehören schon seit geraumer Zeit die Repertoiredatenbank, die ein Speichern und Integrieren in das eigene Repertoire ermöglicht sowie interaktive Aufgaben mit Videofeedback bei Schlüsselstellungen, anhand derer der Anwender sein erworbenes Wissen überprüfen kann.
Fazit: Ich bin zutiefst beeindruckt von der analytischen Fleißarbeit, die Großmeister Engel in diese beiden Najdorf-Fritztrainer investiert hat! Alles, was sich seit den DVDs von King, Bologan und Pelletier im Najdorf-Sizilianer getan hat, hat Engel für Sie und Ihr Najdorf-Repertoire mit einer Vielzahl eigener neuer Analysen auf modernsten Stand upgedated und mittels Engine-Prüfung auf Hochglanz poliert!
Wer sich übrigens an einem der zahlreichen "Anti-Sizilianer" stört, dem seien die Fritz-Trainer "A Black Repertoire versus the Anti-Sicilians" von GM Pert oder "Power Play 21: Ein Repertoire für Schwarz gegen die Anti-Sizilianer" von GM King empfohlen!
