ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
von Dr. med. Thorsten Heedt
„Non fit sine periclo facinus magnum nec memorabile“ („Ohne Risiko geschieht keine große und denkwürdige Tat.“; Terenz, Heauton timorumenos 314)
Unter dieses Motto könnte man diese DVD von Simon Kim Williams (*1979, ELO 2426), einem englischen Schachgroßmeister stellen. Sie ist ein einziges Loblied auf das Angriffsschach eines unentwegt mutig vorwärts stürmenden Schachhelden. Die DVD von 5 h 42 min. Videospieldauer, ausschließlich in englischer Sprache, umfasst zusätzlich eine Trainingsdatenbank mit 50 ausgewählten Partien. Der CB-12-Reader wird mitgeliefert, mit dem man die Videos auch ohne zusätzliches Datenbankprogramm abspielen kann. Behandelt wird das Angenommene Königsgambit mit 3. Lc4. Ich kenne seit alter Zeit nur 3. Sf3 an dieser Stelle, aber Simon Williams scheint sich geradezu in diese Variante verliebt zu haben und präsentiert ein ganzes Universum an spannenden Abspielen zu diesem Thema, wie üblich bei Gambits immer etwas optimistisch gehalten und manchmal nicht ganz korrekt.
Die DVD behandelt
A Die alte Hauptvariante 1 e4 e5 2. f4 ef 3 Lc4 Sf6 4 Sc3 c6 5 d4 d5 6 ed
B Die neue Hauptvariante nach Shaw: 1 e4 e5 2.f4 ef 3 Lc4 Sc6
C Die Bogoljubow-Variante: 1 e4 e5 2 f4 ef 3 Lc4 Sf6 4 Sc3 Sc6
D Die Sokolow-Variante 1 e4 e5 2 f4 ef 3 Lc4 Se7
E 1 e4 e5 2 f4 ef 3 Lc4 d5 !?
F Varianten mit frühem ...Dh4+
G Seltene Varianten
Wie von Simon Williams gewohnt (siehe meine Rezension über Simon Williams: A dynamic weapon against the Queen´s gambit declined – 5. Bf4 ) ist auch diese DVD sehr humorvoll gehalten. So antizipiert er die Frage des Käufers: „How can you do a DVD about the King's gambit? It's rubbish!“ (Wie können Sie bloß eine DVD über das Königsgambit machen? Das ist doch Schrott!“) und motiviert dazu, sich mit dieser Eröffnung zu identifizieren:
„You will be doing crazy things... be brave and play the King's Gambit“ („Sie werden verrückte Dinge tun – seien Sie mutig und spielen Sie das Königsgambit“) oder „I know you are a risk-taker, otherwise you would not buy this DVD“ („Ich weiß, dass Sie bereit sind, Risiken einzugehen, sonst würden Sie wohl kaum diese DVD kaufen“). Auch führt er zwar politisch unkorrekte, aber zumindest unterhaltsame Bezeichnungen ein, die zumindest mir noch nicht bekannt waren, z.B. den der „Transvestite line“ („Transvestitenvariante“, hierbei tauschen Dame und König in der Eröffnung die Plätze mittels der Züge Dd1-e1 und Ke1-d1).
Immer wieder fordert er auf: „Enjoy the romantic side of chess“ („Genießen Sie die romantische Seite des Schachs“). Gelungene Angriffspartien euphorisieren ihn, z.B. in der Partie, in der Harmen Jonkman seinen Gegner komplett seziert, exklamiert er: „Forward – forward – forward – always go forward!“ („Vorwärts, immer nur vorwärts!“)
Die DVD wird komplettiert durch 13 schön ausgesuchte kritische Stellungen, die zuvor besprochen worden waren, so dass das Gelernte nochmals gefestigt wird. Er versucht bestimmte einfache Merkregeln zu etablieren, z.B. diejenige, dass Schwarz in dieser Eröffnung oft den Vorstoß e5 mittels ...d5 kontern muss, statt den Sf6 wegzuziehen. Ein weiteres Motiv, welches einige Male wiederkehrt, ist h4 des Weißen in allen Lebenslagen.
Aber wenn es einmal zuviel an Strategie wird, fügt er wieder ein aufmunterndes „Don't worry about pieces- you just have to attack, attack, attack....“ („Machen Sie sich keine Sorgen um Ihre Figuren – sie müssen einfach angreifen“) ein.
Als Rechtfertigung der Tatsache, dass man mit dem Königsgambit keine Aussicht auf Vorteil hat, hat er sich eine besondere Erklärung ausgedacht:
„You can get exciting equality“ („Sie können hier spannenden Ausgleich erzielen“); ein amüsanter Euphemismus - anstatt gegen eine Berliner Betonmauer anzurennen, haben Sie trotz zu erwartenden Remisausgangs wenigstens ein bisschen Spaß an der Partie gehabt, auch wenn ich persönlich fürchte, dass man häufiger eher mit einem Wenigerbauern nach 30 Zügen die Klötzchen wieder in die Schachtel räumen kann.
Wie alle Gambitautoren neigt auch er zu Überoptimismus („Checkmate is the name of the game!“), selbst die größte Katastrophenstellung wird rechtfertigt dadurch, dass man irgendwo Spiel oder eine
offene Linie bekommt, obwohl Schwarz alles locker abfedert und die Kompensation nur in der Fantasie besteht. Selbst die übelste weiße Stellung wird rechtfertigt mit "some nice compensation", auch wenn gar keine vorhanden ist.
Als quasi Widerlegung der ganzen Variante 1 e4 e5 2 f4 ef 3 Lc4 präsentiert er 3 ...Sc6, wobei er hier immerhin allerlei Möglichkeiten ausgräbt, das Spiel zu beleben. Irgendwann kommt mein Lieblings-Wort der ganzen DVD ins Spiel, welches ich noch nicht kannte: "Lollies' games" – ich nehme an das bedeutet übersetzt „Lutscherpartien“, d.h. Partien von Patzern – das werde ich mir für den nächsten Vereinsabend merken müssen.
Die Partien die er präsentiert, sind sämtlich unterhaltsam, z.B. eine Partie Sipke – Brenninkmeyer, die viele tolle Opfervarianten bietet, eine schräger als die andere, hier ist der Opferspieler voll in
seinem Element. Am Schluss gibt es häufiger schöne Zusammenfassungen des Gesagten. Sein Versuch, den Namen des Großmeisters „Swaginsew “ auszusprechen, sorgt für einen Extralacher.
Der launige Sprachstil sorgt immer wieder für Unterhaltung, z.B. wenn er über Jonathan Parker spricht, der nicht mehr so viel Schach spiele, sondern „nowadays he is making his millions in the city“ („der macht jetzt seine Millionen in der Stadt“). Ein besonderes Highlight der DVD ist ein selbst erdachtes Springeropfer auf d5 in einer Variante, die er mit großem Stolz demonstriert (darauf kann er auch stolz sein, denn es muss ihn Jahre an
Analysearbeit gekostet haben...) Manchmal scheint er in der Trafalgarschlacht hängen geblieben zu sein („It's death or glory in the King's Gambit“ - „Es geht um Leben oder Tod“ im Königsgambit).
Er hat auch keine Hemmungen mal eine Partie eines schwächeren Spielers (Victor Dumas (1849)) vorzuführen, wenn sich daran Lehrreiches ableiten lässt. Gelegentlich gibt er allzu schematische Ratschläge (der Läufer gehört meist nach b3 usw.), obwohl schon ein winziges Stellungsdetail alles zunichte machen kann, wie man ja weiß (es kommt immer auf die konkrete Stellung an, würde ein starker Großmeister hier wohl einflechten). Das bleibt aber das einzige Manko an einer durchweg unterhaltsamen und lehrreichen DVD, die Lust macht, das Königsgambit mal wieder in einer Turnierpartie auszuprobieren – auch wenn es die einzige Partie bleiben sollte...