Von Philipp Hillebrand
Rezension zum Fritztrainer French Structures, Tactics and Plans vol. 1 von GM Mihail Marin
In letzter Zeit sind einige Werke zum Thema der Französischen Verteidigung auf den Markt gekommen, sowohl in digitaler-, als auch in Printform. Dies ist meines Erachtens ein Zeichen dafür, dass in der Weltspitze die Antwort 1…e6 auf 1.e4 wieder an Beliebtheit gewinnt, vermutlich nicht zuletzt dadurch bedingt, dass die Antworten 1...e6 und 1…c6 sehr kämpferische Möglichkeiten darstellen, um mit den schwarzen Steinen auf Gewinn spielen zu können. Für einen saubereren bzw. objektiven Ausgleich mag 1…e5, und insbesondere die Russische Eröffnung, dafür besser geeignet sein, allerdings sind die Diskussionen um Italienisch und das Berliner Endspiel mittlerweile auch etwas ermüdend. Hinzukommt, dass deutsche Spitzenspieler der Französischen Verteidigung Ihr Vertrauen entgegenbringen, u.a. GM Matthias Blübaum, GM Daniel Friedman und GM Georg Meier (zugegeben er ist nunmehr für Paraguay gemeldet). Vor allem durch den Gewinn der Europameisterschaft von Matthias Blübaum kann dies einen Impuls für Vereinsspieler auslösen, dieser Verteidigung mehr Aufmerksamkeit zu schenken und es mit den Worten von Wolfgang Uhlmann zu halten: „Ein Leben lang Französisch!“ Auch die Titanen GM Kortschnoj, GM Botwinnik und GM Portisch haben viel für das Verständnis dieser Eröffnung beigetragen. Insbesondere GM Lajos Portisch ist mit vielen Beispielen in diesem Fritztrainer vertreten. Seinerzeit hat der ungarische Vorreiter viele Neuerungen in die Turnierpraxis eingeführt und dieser Fritztrainer macht es nun auch!
Mit dem Herauskommenden dieses Doppelbandes hat es sich das Haus ChessBase zur Aufgabe gemacht, seine Produkte nunmehr auch in Form des Streamings anzubieten. Das bedeutet, dass man alleine durch seinen Account bei ChessBase in die Lage versetzt wird, seine gekauften Produkte mit mobilen Endgeräten anzuschauen, beispielsweise mit einem Handy oder einem Tablet. Dies ist sehr bequem und ist vor allem für eine Zugfahrt sehr gut geeignet die Zeit sinnvoll zu nutzen.
Inhaltlich hat sich der beliebte Autor aus Rumänien, GM Mihail Marin, mit wichtigen Elementen dieser Eröffnung auseinander gesetzt. Dabei geht es nicht um das Vermitteln konkreter Eröffnungstheorie (wie es beispielsweise zuletzt aus der Feder von GM Kasimdzhanov der Fall war), sondern darum ein Gefühl für die Dynamik dieser Strukturen zu bekommen. Gerade deswegen ist es wichtig auch die „älteren“ Beispiele zu beleuchten, damit man als Novize oder Kenner der Eröffnung die wesentlichen Elemente kennenlernen oder vertiefen kann.
Wie der Titel des Fritztrainers es nahelegt, geht es darum neben den Strukturen auch typische taktische Motive und Pläne zu vermitteln. Dafür bietet es sich an, auch das „klassische“ Material zu studieren. Dazu kommt insbesondere die Art und Wiese wie der rumänische GM seine Schützlinge an die Hand nimmt. Für den einen mögen die Erläuterungen etwas langatmig sein, aber für einen anderen genau das, was es braucht um als kompletter Neueinsteiger die Kernelemente zu verstehen.
Im ersten Teil werden taktische Einschläge auf den Feldern h7/g7/f7 und h2/g2/f2 untersucht. Daraus erkennt man auch, dass dieser Fritztrainer nicht einseitig ausgerichtet ist und der Autor die Möglichkeiten beider Seiten aufzeigt, auch wenn er erkennen lässt, dass ihm die Möglichkeiten des Nachziehenden sympathischer sind. Dies ist aus meiner Perspektive ein gutes Vorgehen, um eine Eröffnung vorzustellen, denn wenn man weiß, was der Gegner möchte, kann man mit Hilfe des prophylaktischen Denkens diese Pläne im optimalen Fall unterbinden oder sich immerhin dagegen wappnen. In 27 Clips werden die verschiedenen Einschläge auf den oben genannten Feldern untersucht. Dabei kommen sowohl Opferwendungen durch Läufer- als auch Springerzügen vor. Manche Clips sind eher im Sinne eines „Frontalunterrichts“ gehalten, andere in einer Art „virtueller“ Dialogform. Der Zuschauer bekommt also an den kritischen Stellen Fragen gestellt, welche es zu beantworten gilt. Wenn nicht auf Anhieb der korrekte Zug ausgeführt wird, bekommt man an etlichen Stellen auch Tipps angeboten, damit man der Lösung näher kommt.
Genug der Worte ohne Diagramm:
Viele Partien wurden bereits durch ein Läuferopfer auf h7 entschieden. Dafür gibt es auch sogar schon eine Art „Theorie“, ob und wann dieser Einschlag zum Erfolg führt. Die Stellung stammt aus der Partie Sax, G – Timman, J, ½ (20), Rotterdam 1989. Als theoretisches Rüstzeug gilt bei diesem Opfer die Frage des Nachschubs. Wird das Opfer auf h7 akzeptiert, so gewinnt in der Regel das Tandem aus Dame und Springer eine unwiderstehliche Schlagkraft. Der Springer gelangt nach g5 mit Schachgebot und die Dame legt nach mit Blick in Richtung h7. Ebenfalls wichtig ist ein weißer Bauer auf dem Feld e5 und das Sahnehäubchen ist in der Regel ein auf e1 postierter weißer Turm.
Nach dem Springerschach gibt es üblicherweise drei Antwortzüge des schwarzen Königs. Nach h6, nach g6 und nach g8 zurück hinter die Bauern. Oft wird die Berechnung dadurch erleichtert, dass Königszüge durch das Ausschlussverfahren ad acta gelegt werden können. Dann entsteht die Frage, auf welchem Feld der Diagonalen b1-h7 die weiße Dame ein Schach bietet oder ob sie dies von g4 aus gibt, damit sie noch nach h5 ziehen kann. Oft scheidet das Feld h6 für den schwarzen Monarchen aus, da sich meist mittels Sxe6+ ein Abzugsangriff auf die schwarze Dame ergibt, wenn diese auf d8 oder c7 steht und ein weißer Damenfläufer das Feld h6 kontrolliert. Geht der schwarze Regent hingegen nach g6 und erhält ein Schachgebot auf der Diagonalen b1-h7, so kann das Schach mittels …f7-f5 abgewehrt werden. Gerade dann ist ein auf e1 stehender weißer Turm günstig, wenn der schwarze Bauer f5 dann durch das Schlagen im Vorbeigehen samt erneutem Schachgebot vom Brett genommen werden kann. Auch für dieses Schlagen im Vorbeigehen ist der weiße Bauer e5 von Bedeutung, oder wenn es darum geht das Feld d6 zu kontrollieren, da es ein potentielles Fluchtfeld für den schwarzen König darstellt. In diesem Beispiel fehlt das Tempo, um einen weißen Turm eingreifen zu lassen. Ein Läuferopfer auf h7 lebt wie gesagt davon, wie schnell es der Anziehende schafft Reserven an den entscheidenden Brettabschnitt aufzufahren. Freilich ist die Sache meist komplexer, da es viele Faktoren sind, welche die Königsjagd begünstigen oder vereiteln. Dennoch dienen diese Gedankengänge dazu, eine Berechnung zu erleichtern bzw. zu ergänzen und nicht zuletzt dafür, eine Art Gespür dafür zu bekommen, wann sich ein Einschlag lohnen kann.
Dieses Beispiel ist von mir konstruiert, zeigt jedoch die wesentlichen Ideen um ein Läuferopfer auf h7 in klarer Form. Der Einschlag auf h7 ist zielführend. Wenn der schwarze König nach g6 flüchtet, ergibt sich nach 3.Dd3+ f5 4.exf+ e.P. Kxf6 5.Txe6# das Ende der Partie. Sofern der König mit 2…Kg8 zurückweicht folgt nach 3.Dh5 u.U.Te8 4.Dxf7!+ Kh8 5.Dh5+ Kg8 6.Dh7+ Kf8 7.Dh8+ Ke7 8.Dxg7# und abermals sieht man die wichtigen Dienste des weißen Bauern auf e5.
Wie gesagt geht GM Marin mal detaillierter mal zügiger durch die Beispiele, aber der Kern wird dennoch stets vermittelt! Betonen möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal, dass auch die schwarzen taktischen Einschläge genauso detailbasiert analysiert werden!
Im zweiten Teil geht es um die weiße Bauernkette und insbesondere um den thematischen Durchbruch f4-f5, wodurch Angriffslinien gegen den schwarzen König geschaffen werden sollen. Oft ist es so, dass der Nachziehende nicht gut auf f5 Schlagen kann, wenn dadurch sein Bauer d5 entwurzelt wird und der Anziehende in der Regel unter Tempogewinn auf d5 mit einem Springer schlagen kann. Das versetzt den Anziehenden in die Lage entweder auf e6 zu nehmen und mittels Sf4 den Druck auf e6 zu steigern oder durch den Zug f5-f6 noch mehr den König aufbauen zu können. Bei dem Manöver f2-f4-f5 - xe6 gilt es stets zu bedenken, dass es auch der Nachziehende selbst sein kann, der mittels …f7-f6 – xe5 die „Schwäche“ auf e6 herbeiführen kann. Dies geschieht natürlich nur dann, wenn sich der Nachziehende davon einen eigenen Trumpf verspricht.
Nu denn, es folgt ein Beispiel, wo es der Anziehende ist, welcher zum Durchbruch ansetzt:
Diese Stellung entstammt der Begegnung Lilienthal, A –Ragozin, V, 0-1 (30), UdSSR Ch 1944. Der letzte Zug des Anziehenden war 14…g6 und so wollte sich der Nachziehende vermutlich gegen den Zug f4-f5 stemmen. Dennoch folgte der Durchbruch auf dem Feld f5 denn mittels g2-g4 kann auch unter Bauernopfer der Zugang zum schwarzen Monarchen hergestellt werden. In einer komplexen Partie übersah der Anziehende einen Konter und musste den Punkt seinem Spielpartner überlassen, obwohl er nach dem Durchbruch klar besser stand.
Noch vertrackter ging es in folgender Partie zu:
Diese Stellung stammt aus der Partie Zelcic, R – Riazantsev, A 0-1 (67), Dresden 2007. Mit 21.f4-f5 setzte der Anziehende auf Angriff, nicht zuletzt, weil durch den schwarzen Bauernzug …h7-h6 eine Angriffsmarke geschaffen wurde für einen Einschlag auf h6. Der Nachziehende war hier aber gut beraten auf f5 zu schlagen, denn der Pluspunkt seiner Stellung ist dann das freigewordene Feld e6 für die schwarzen Figuren. Allerdings steht dort die schwarze Lady am sinnvollsten, da sie so ein Auge auf den neuralgischen Punkt j6 werfen kann, auch wenn ein schwarzer Se6 in ähnlichen Situationen sinnvoll und optisch ansprechend steht. Objektiv stärker war es, mittels der ungewöhnlichen Route …Da6-c8-e6! die Verteidigung zu stärken. Dies zeigt erneut, wie detailreich und schwer das Schachspiel selbst für die stärksten Großmeister ist. Die Stärke von GM Marin und dem vorliegenden Fritztainer liegt aber genau hier, denn der Autor schafft es durch seine unnachahmliche Weise den springenden Punkt einer kritischen Stellung zu erläutern, wodurch man als Zuschauer so manche „Aha-Erlebnisse“ durchlebt.
Im dritten Teil geht es um den schwarzen Konter …g7-g5. Dieser dient dazu das weiße Zentrum zu erschüttern oder bei heterogenen Rochaden für offene Angriffslinien gegen den weißen König zu gebieten:
Diese Stellung stammt aus der Partie Honfi, K – Portisch, L., 0-1 (27), Budapest 1964. Der Anziehende hat keine beneidenswerte Stellung. Sein Bauer d4 bedarf ständigen Schutz durch eine Figur und seine Bauern am Damenflügel sind nicht so schnell in der Lage Linien zu öffnen, wie es die gegnerischen am Königsflügel können. Die Legende aus Ungarn setzt nun mit 14…g7-g5 beherzt fort und gewann die Partie in gutem Stil.
Fazit:
Anhand von 41 sehr gut ausgesuchten Beispielen bekommt der Lernende einen guten Überblick über wichtige taktische Muster samt typischen Opferwendungen in Königsnähe. Mithin sind diese Beispiele überwiegend taktischer Natur und diese werden im zweiten Teil durch die strategischen Elemente ergänzt.
Neben den erläuternden Clips mit interaktiven Fragen erhält man noch die Datenbank mit den genutzten Beispielen und eine sehr gelungene Auswahl an Teststellungen, welche man gegen eine Engine ausspielen kann über den kostenlosen ChessBase Account!
Mir hat dieses Produkt definitiv dabei geholfen mein Wissen über die Französische Verteidigung zu ergänzen über „trockene Theorie“ hinaus, denn die gestellten Aufgaben regen zum selbständigen Nachdenken und Knobeln heraus. Ich kann jedem, der die Französische Verteidigung in sein Repertoire aufnehmen möchte nur wärmstens Empfehlen.