Robert Hübner bei der Schacholympiade in Skopje 1972

von Johannes Fischer
15.05.2025 – Am 14. Mai begannen in München die Deutschen Meisterschaften 2025. Im umfangreichen Rahmenprogramm wird auch Dr. Robert Hübner geehrt, der Anfang dieses Jahres gestorben ist. Am 20. Mai, von 11 bis 13 Uhr, teilen André Schulz, Stefan Kindermann und Klaus Bischoff unter der Moderation von Harry Schaack ihre Erinnerungen an den besten deutschen Spieler nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Gelegenheit und ein Anlass, noch einmal an einen der größten Erfolge Hübners zu erinnern: Den Gewinn der Goldmedaille am Spitzenbrett der westdeutschen Mannschaft bei der Schacholympiade in Skopje 1972.| Foto: Robert Hübner 1983, Holländisches Nationalarchiv

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Die Schacholympiade 1972 fand vom 18. September bis zum 13. Oktober in Skopje, im heutigen Nordmazedonien statt. Es war die erste Schacholympiade, in der Männer und Frauen parallel spielten und damit wohl die bis dahin größte Schachveranstaltung aller Zeiten. Für den am 6. November 1948 geborenen Hübner war es die zweite Olympiade. Sein Olympiadebüt hatte er vier Jahre zuvor in Lugano 1968 gefeiert, wo er mit 8 Punkten aus 12 Partien an Brett 5, dem ersten Reservebrett, eine gute Leistung erzielen konnte. Aber dennoch war er bei der nächsten Olympiade in Siegen 1970 nicht dabei.

Offiziell fehlte er "berufsbedingt", doch wie Horst Metzing, von 1976 bis 2013 Geschäftsführer des Deutschen Schachbunds, in einem Interview mit der Schachzeitschrift Karl verriet, war das nicht die ganze Wahrheit:

Ausschlaggebend war, dass man ihm kein Spitzenbrett angeboten hatte. Die etablierten Spieler hatten dem damals erst 21-jährigen nur ein Reservebrett zugebilligt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Hübner gerade für das im November stattfindende Interzonenturnier in Palma de Mallorca qualifiziert, was sein internationaler Durchbruch wurde. Noch im August hatte er das Turnier in Sombor mit zwei Punkten Vorsprung gewonnen. Zu diesem Zeitpunkt war er also bereits der stärkste Spieler Deutschlands. ... Natürlich war es für Lothar Schmid und Wolfgang Unzicker nicht ganz einfach, zu akzeptieren, dass jetzt ein junger Mann auf der Bildfläche erschienen war, der gleich das Spitzenbrett beanspruchte. (Horst Metzing, "Der Mensch Robert Hübner war eben so", in: Karl, 1/2025, S. 16)

Im gleichen Interview sprach Metzing auch über Hübners Unwillen zu verhandeln.

Robert war ein guter Mannschaftsspieler. Aber Olympiaden waren für ihn nicht so interessant, denn die Honorare für die Teams waren niedrig. Da konnte es schon vorkommen, dass er nicht spielte, wenn die Bedingungen nicht stimmten. Er brachte in solchen Fällen aber nie zum Ausdruck, was ihn störte, sondern sagte einfach ohne Begründung ab. Das war auffallend. Er hat nie verhandelt, nie versucht, die Konditionen zu verbessern, sondern wartete, dass man ihm ein angemessenes Angebot macht, auch bei Turniereinladungen. ... Dabei konnte er seinen Wert durchaus richtig einschätzen. (Karl, S. 16)

Hübner 1971 | Foto: Bert Verhoeff, Anefo

Laut Wikipedia nahm Hübner "von 1968 bis 2000 an 11 Schacholympiaden teil und erzielte dabei in 122 Partien 80,5 Punkte. Es waren dies die Schacholympiaden 1968 in Lugano, 1972 in Skopje, 1978 in Buenos Aires, 1982 in Luzern, 1984 in Thessaloniki, 1990 in Novi Sad, 1992 in Manila, 1994 in Moskau, 1996 in Jerewan, 1998 in Elista und 2000 in Istanbul. Seine besten Einzelergebnisse erzielte er 1972 (15 Punkte aus 18 Partien) und 1990 (7 aus 10) mit jeweils einer Goldmedaille am ersten Brett".

Nach seinem geteilten zweiten Platz beim Interzonenturnier in Palma de Mallorca, mit dem er sich für die Kandidatenwettkämpfe qualifiziert hatte – dem einzigen Spieler aus der Bundesrepublik Deutschland, dem es je gelungen war, sich für ein Kandidatenturnier oder Kandidatenwettkämpfe zu qualifizieren – waren alle Zweifel ausgeräumt, dass Hübner bei der Olympiade 1972 ans Spitzenbrett gehörte. In Skopje gingen 63 Mannschaften an den Start, gespielt wurde in acht Vorgruppen und vier Finalgruppen. Sowohl die Vorgruppen als auch die Finalgruppen wurden als Rundenturniere gespielt, wobei sich die ersten zwei Mannschaften der jeweiligen Vorgruppe für die Finalgruppe A qualifizierten. Die Mannschaft der Bundesrepublik gewann ihre Vorgruppe souverän und hatte keine Mühe, sich für die Finalgruppe A zu qualifizieren.

Auch Hübner war in bestechender Form und gewann alle fünf Partien, die er in der Vorrunde spielte. Zum Auftakt der Olympiade besiegte er in Runde 1 den Argentinier Hector Rossetto.

Eine für Hübners Spiel in Skopje typische Partie: Unspektakulär, aber positionell stark und konsequent, dabei zugleich taktisch präzise.

In der Finalgruppe waren die Gegner natürlich stärker, aber auch hier setzte Hübner seine Siegesserie fort. In Runde 6 gewann er ein langes Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern gegen den Holländer Jan Hein Donner und in Runde 7 traf er dann auf Ex-Weltmeister Tigran Petrosian – eine brisante Begegnung. Denn die beiden hatten 1971 im Viertelfinale der Kandidatenwettkämpfe gegeneinander gespielt, und dieser Wettkampf endete frühzeitig und kontrovers. Dazu schreibt Frank Zeller im Karl:

Hübner ... fehlten ein Manager, Einfluß und Erfahrung, sowohl in schachlichen Dingen als auch im Umgang mit Offiziellen und Ausrichtern. Sein wettkampfgestählter Gegner hingegen wusste den mächtigen sowjetischen Verband hinter sich, weshalb Sevilla den Zuschlag bekam. Hübner wollte lieber in den Niederlanden spielen. Die äußeren Bedingungen [in Sevilla] erwiesen sich als unbefriedigend: Der Spielsaal war unter der Erde, direkt darüber verlief eine belebte Straße mit viel Fußgängerverkehr. Petrosjan war schwerhörig und benutzte ein Hörgerät, das er bei Bedarf ausschalten konnte. Hübner dagegen machte der Lärm zu schaffen. Er beschwerte sich mehrfach und wollte einen Ortswechsel erzwingen. Doch er fand kein Gehör, im Gegenteil. Die Beschwerde wurde abgewiesen mit dem Argument, Hübner sei hysterisch! (Frank Zeller, "Im Spiegel der Zeit – Hübners Kandidatenmatches", Karl, 01/2025, S. 22-23)

Hübner gegen Petrosian - dies Foto wurde beim Turnier in Wijk aan Zee 1971 aufgenommen | Foto: Bert Verhoeff, Anefo

Die ersten sechs Partien des Wettkampfs endeten alle mit Remis, doch nachdem Hübner die siebte Partie verloren hatte, gab er den Wettkampf vorzeitig auf. "In einem sehr persönlichen Interview mit Dirk Jan ten Geuzendam für New in Chess 1997 zog Hübner mit zeitlichem Abstand ein selbstkritisches Fazit: ‚Das war vielleicht etwas schwach, aber ich war jung und hatte keine Unterstützung. Ich sah keine andere Lösung.’" (Zitiert in: Zeller, Karl, 01/2025, S.24)

Diese Vorgeschichte verlieh der Partie zwischen Petrosian und Hübner in Skopje zusätzliche Brisanz. Und wieder gab es Streit. Denn Petrosian, der die ganze Partie über schlechter gestanden hatte, verlor in einem Remisendspiel auf Zeit.

Hier spielte Petrosian 37...Txd6 und überschritt beim Ausführen dieses Zuges die Zeit. Allerdings ist die Stellung, die nach 38.Txa5 Td2 entsteht, trotz des Minusbauern remis. In seiner Geschichte der Schacholympiaden schreibt Raj Tischbierek zu diesem Vorfall: "Bei dem in Skopje verwendeten Uhrentyp fiel das Blättchen scheinbar eine Minute vor Ablauf der Zeit. Als Petrosjans diesbezüglicher Protest vom Schiedsrichter abgewiesen wurde, warf er die Uhr empört auf das Brett.” (Raj Tischbierek, Sternstunden des Schachs: 30x Olympia. London 1927 – Manila 1992, Sportverlag, Berlin 1993, S. 104)

Dies war die einzige Olympiapartie, die Petrosian je verloren hat. Der Armenier, Weltmeister von 1963 bis 1969, nahm von 1958 bis 1978 an zehn Olympiaden teil und spielte dabei 129 Partien, von denen er 78 gewann, 50 remisierte und nur eine einzige – die gegen Hübner – verlor.

Hübner kam mit dieser Partie zu seinem siebten Sieg in Folge, aber ging anschließend doch etwas vom Tempo. Nach einem 15-zügigen Remis gegen den bulgarischen Großmeister Georgy Tringov in Runde 3 der Finalgruppe stand er in Runde 5 der Finalgruppe gegen den Polen Wlodzimierz Schmidt lange Zeit mit dem Rücken zur Wand, aber konnte sich am Ende doch noch ins Remis retten. Doch anschließend gelang ihm ein überzeugender Sieg gegen den Schweden Borje Jansson.

Dann folgten drei Remis, wobei Hübner in Runde 7 der Finalgruppe beim Kampf der Bundesrepublik gegen die Schweiz gegen den damals 19-jährigen Werner Hug – Jugendweltmeister von 1971 – nur mit viel Glück und zäher Verteidigung eine Niederlage abwenden konnte.

Den nächsten vollen Punkt holte Hübner dann in Runde 10 gegen Svetozar Gligoric mit einer in Mittel- und Endspiel überzeugend gespielten Partie. Dann folgte ein kurzes Remis gegen Lubomir Kavalek als Vorbereitung auf einen starken Schlussspurt und drei Siegen in Folge zum Abschluss der Olympiade.

Damit kam Hübner auf 15 Punkte aus 18 Partien und gewann Gold für die beste Leistung am Spitzenbrett. Silber ging an Vlastimil Hort, der 14,5 Punkte aus 18 Partien erzielen konnte. Die meisten Punkte an Brett 1 holte allerdings der amerikanische Großmeister Walter Browne. Er gönnte sich keine einzige Pause und setzte sich in allen 22 Runden ans Brett und kam am Ende auf 17,5 Punkte. Damit machte er 2,5 Punkte mehr als Hübner, aber da Hübner das prozentual bessere Ergebnis aufweisen konnte, ging die Goldmedaille an ihn.

Mannschaftssieger in Skopje war einmal mehr die Sowjetunion, Silber ging an Ungarn, Bronze an Jugoslawien. Hübners Mannschaft, die Bundesrepublik Deutschland, landete auf Platz 5.

Doch mit seinem klaren und starken Spiel und seinem Ergebnis am Spitzenbrett hatte Hübner in Skopje einmal mehr bekräftigt, dass er zu den besten Spielern der Welt gehörte.

Hübners Partien in Skopje

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".
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