Zu bescheiden und sensibel für den WM-Titel
Dr. Robert Hübner wird 75 Jahre alt
Lauschen Zuhörer Dr. Robert Hübner und würden seine Ausführungen für bare Münze nehmen, müssten sie ihn für einen Patzer halten. So wird im Schach-Jargon ein Nichtskönner tituliert. Doch der Kölner, der heute (6. November) seinen 75. Geburtstag feiert, ist das krasse Gegenteil davon: Hübner ist ein Sprach-Genie und der beste deutsche Schach-Großmeister nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der ehemalige Weltranglistendritte hat teilweise auf tragische Weise einen WM-Kampf verpasst. So stoppte ihn im Casino von Velden eine Roulettekugel: Die fiel nach einem 7:7 samt Verlängerung gegen Ex-Weltmeister Wassili Smyslow zweimal auf die Null! Danach auf Rot – Hübner hatte jedoch auf Schwarz gesetzt. Zudem gab der promovierte Papyrologe zwei enge WM-Kandidatenkämpfe gegen Tigran Petrosjan und Viktor Kortschnoi vorzeitig entnervt auf. Petrosjan konnte den störenden Lärm einfach ignorieren, indem der schwerhörige sowjetische Ex-Weltmeister einfach sein Hörgerät abschaltete. Hübner gab nach seiner ersten Niederlage nach sechs Remis das Viertelfinale in Sevilla 1971 auf. Kurz vor einem WM-Kampf gegen Anatoli Karpow stand der gebürtige Porzer 1980: In dem auf 16 Partien angesetzten Kandidaten-Finale gegen Kortschnoi führte Hübner nach sechs Partien mit 2:1. Danach übersah der damalige 31-Jährige in einem ausgeglichenen Endspiel eine simple Spingergabel und büßte dadurch einen Turm ein. Auch in der achten Partie zog er den Kürzeren. Die beiden letzten Hängepartien wurden für Kortschnoi offiziell gewertet, weil Hübner das Kandidaten-Finale abbrach. Der Schluss, dass es der Deutsche zumindest bis ins WM-Endspiel einmal geschafft hätte, wenn er die schachliche Besessenheit, den Willen und das Selbstbewusstsein von Kortschnoi besessen hätte, liegt nahe.
Bezeichnend für sein sensibles Wesen und seine Sprachgewalt ist einer seiner Buchtitel: „Fünfundfünzig feiste Fehler“ heißt das Werk, in dem Hübner seine eigenen Partien seziert und akribisch zerpflückt. Der ehemalige Bundesligaspieler der Serienmeister SG Porz, Bayern München und OSG Baden-Baden stellt sich bevorzugt als Stümper dar. Bei einem Vortrag in Bad Wildungen, den Kinderschach-Stifter Gerhard Köhler ermöglichte, lauschen die Fans gebannt ihrem Idol, obwohl die Legende verkündet: „Mich interessiert das Schach nicht!“
Er habe ein „ambivalentes Verhältnis dazu“. Außerdem befand er, dass durch die Computer die neue Spitze sehr „gleichförmig“ spiele und man heutzutage bereits mit „23 Jahren zum alten Eisen zähle“.
Kinderschach-Stifter Gerhard Köhler (rechts) ermöglicht das Gastspiel des deutschen Schach-Asses Robert Hübner bei der deutschen Senioren-Meisterschaft.
22 Sprachen soll Hübner beherrschen. Sein Genie diesbezüglich unterstreicht eine Anekdote: Er spielte demnach einst eine Partie gegen Heikki Westerinen. Mit dem finnischen Großmeister konnte sich Hübner nach dem Duell nicht austauschen, weil dieser der Legende nach nur Finnisch konnte. Deshalb ging Hübner nach Hause und paukte Finnisch, um nach dem nächsten Match mit Westerinen plaudern zu können! Auch wenn Hübner mit der schwierigen Sprache niemals prahlen würde, gibt es einen indirekten Beleg für die Anekdote beziehungsweise, dass der Kölner Finnisch tief studierte: Der Papyrologe begeisterte sich für den finnischen Dichter Oli und übersetzte mehrere Werke von ihm.
Seine letzten Titel gewann der 75-Jährige laut Wikipedia 2018 und 2019 in Luxemburg mit De Sprenger Echternach. 2018 hatte er überdies mit dem SK Luzern in der schweizerischen Mannschaftsmeisterschaft die Nase vorne. Dass es ein Comeback auf den 64 Feldern für den 75-Jährigen gibt, die Hoffnung seiner Fans zerstört Hübner mit seinem Schlusssatz in Bad Wildungen: „Altgriechische Texte zu übersetzen, macht mir 100 Mal mehr Spaß als Schach!“