Robert Hübner: Zwischenbetrachtung zur Weltmeisterschaft

von ChessBase
19.11.2018 – Was ist vom bisherigen Verlauf der Weltmeisterschaften zu halten? Robert Hübner fasst in seiner Zwischenbetrachtung den Verlauf der Partien zusammen und meint: "Der eigentliche Wettkampf ist nun auf fünf Partien geschrumpft." | Foto: Dutch National Archive

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Weltmeisterschaftskampf 2018: Zwischenbetrachtung

Im Weltmeisterschaftskampf ist mehr als die Hälfte der Partien gespielt, die mit voller Bedenkzeit durchgeführt werden. Alle Partien endeten in remis.

Wenn man von dem ersten Spiel absieht, gab es in diesen Partien so gut wie kein Mittelspiel. In allen waren jeweils schon beim 20. Zuge technische Stellungen entstanden, die Endspielcharakter hatten, ein stabiles Gleichgewicht aufwiesen und dynamischer Möglichkeiten entbehrten.

Man hörte Stimmen, die forderten, daß die Spieler „mehr riskieren“ müßten. Es ist jedoch nicht das Ziel der Teilnehmer an der Weltmeisterschaft, die Zuschauer möglichst wirksam zu unterhalten; sie sind damit befaßt, das bestmögliche Resultat zu erzielen. Es scheint mir ein seltsamer Widerspruch darin zu bestehen, daß man einerseits Forderungen an die inhaltliche Gestaltung der Partien stellt – sie sollen „spannend“ sein – andrerseits dem Wettkampfelement höchste Bedeutung beimißt. Wenn das Ergebnis das Wichtigste ist, muß man es den Spielern überlassen, wie sie ihr Ziel anzustreben gedenken; sie werden dies am besten wissen.

Der ruhige Charakter der Stellungen brachte für die beiden Gegner keineswegs Kräfteersparnis mit sich. Es wurde zäh weitergekämpft, und immer war während der gesamten Partie für beide dauernde angespannte Aufmerksamkeit vonnöten. Im taktischen Scharmützel gibt es für den Spieler Momente höchster Erregung; in technischen Stellungen lastet auf ihm ein dauernder, gleichmäßig verteilter Druck. Auch wenn ein kleiner Fehltritt das Gleichgewicht noch nicht entscheidend stört, kann eine Folge beinahe unmerklicher Ungenauigkeiten in große Schwierigkeiten führen. Das beste Beispiel dafür bietet die 6. Partie des Kampfes, in der Caruana zeigte, daß er gelernt hat, im Stile von Carlsen zu spielen und den Gegner in scheinbar toten Stellungen vor immer neue Probleme zu stellen. In den Partien 2-7 stand das technische Verfahren beider Seiten auf sehr hohem Niveau, wobei mich Caruana noch etwas mehr beeindruckte – vielleicht, weil ich diesem Aspekt seines Spielens zuvor nicht viel Aufmerksamkeit schenkte.

Der Verlauf der Eröffnung hat große Bedeutung für das strukturelle Gesicht der Partie. Bisher ist es keinem der beiden Kämpfer gelungen, mit Weiß eine druckvolle Stellung aufzubauen. Dabei probierte Carlsen die verschiedensten Anfangszüge aus (1.d4, 1.c4, 1.e4), während Caruana in einem einmal gewählten System (1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5) Verfeinerungen anzubringen bemüht war. Keiner von ihnen hatte damit Erfolg. Wird es einem der beiden einmal gelingen, aus der Eröffnung heraus Druck zu erzeugen?

Der eigentliche Wettkampf ist nun auf fünf Partien geschrumpft. Der Druck auf die Spieler wächst stetig. Sollte es einmal in einer Partie einen Gewinner geben, hat der Unterlegene nur noch wenig Gelegenheit, den Ausgleich herbeizuführen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die angesammelte Spannung in einer der nächsten Partien eine Entladung findet.

Die bisherigen Partien

 

 


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