Rückzug von Jennifer Shahade aus dem US Chess Frauenprogramm

von ChessBase
07.09.2023 – Jennifer Shahade hat selber das Frauenprogramm im US Schachverband ins Leben gerufen, zieht sich nun aber als Direktorin daraus zurück. Im Hintergrund stehen die Missbrauchsvorwürfe gegen einen Großmeistertrainer des Verbandes und der Umgang mit diesen Vorwürfen im Verband. | Foto: Jennifer Shahade

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Die folgende Erklärung hat Jennifer Shahade auf ihrem Facebook Account veröffentlicht.
 

Ich habe bei US Chess gekündigt und werde ab dem 7. September nicht mehr als Direktorin des "US Chess Women's Program" fungieren, das ich vor vier Jahren selber ins Leben gerufen habe.

Vor meiner Arbeit bei "US Chess Women" habe ich das Online-Magazin von US Chess, "CLO", ins Leben gerufen, wo ich viele Hunderte schachbezogener Artikeln geschrieben, redigiert und zugeordnet habe. Ich war Vorsitzende des Organisationskomitees für die ersten fünf und Gastgeberin der ersten zehn US-Meisterschaften und der US-Frauenmeisterschaften, die in St. Louis stattfanden, was die Organisation und den Wettbewerb auf ein neues Prestige-Niveau brachte.

Das Frauenkomitee von US Chess hat mich dazu inspiriert, Geld für ein Frauenprogramm zu sammeln, als ich von ihrem Mädchenclubraum erfuhr, und ich bin ihnen und den vielen Mitarbeitern und Freiwilligen von US Chess, die mich unterstützt haben, sehr dankbar.

Ich habe es geliebt, Hunderte von Mädchen- und Frauenschachveranstaltungen auszurichten, darunter Sitzungen mit Judit Polgar und Garry Kasparov. An vielen dieser Veranstaltungen nahmen Mädchen aus der ganzen Welt teil, von Kenia bis Kolumbien, was zeigt, welche Kraft das Schachspiel hat, uns zu verbinden.

Das Stipendienprogramm von US Chess Women hat Tausende von Mädchen bei gemeinnützigen Organisationen im ganzen Land erreicht, und ich habe in Reden und Diskussionsrunden von Harvard und MIT bis zur Bank of America über unsere Arbeit gehalten. Ich habe die Botschaft von Frauen, Schach und Selbstbestimmung über zahlreiche Kanäle verbreitet, darunter Vanity Fair, CBS News, NPR, Forbes, Jeopardy, The Times, NBC und die New York Times. Ich habe einen preisgekrönten WSJ-Open-Ed über Frauen im Schach geschrieben, zwei hochgelobte Videos über US-Schachveranstaltungen für den New Yorker und den Atlantic produziert und vier Jahre lang die Sendung Ladies Knight moderiert. Kürzlich habe ich mit CNN International über die grausamen Beschränkungen der FIDE für Transgender-Spieler gesprochen, und ich bin so froh, dass die Politik von US Chess dieser Politik widerspricht.

Leider gehe ich mit großen Bedenken. Nachdem ich im Februar mit einem viralen Tweet an die Öffentlichkeit ging, in dem ich berichtete, wie ich von einem prominenten Großmeister attackiert worden bin, eskalierten die Dinge schnell. Weitere Frauen meldeten sich bei mir, und am Internationalen Frauentag erschien ein Artikel im Wall Street Journal mit dem Titel "How Allegations Against a U.S. Grandmaster Went Unaddressed for Years". 

Einen besonders detaillierten Bericht über den zeitlichen Ablauf und die institutionellen Versäumnisse können Sie in "Breaking the Silence" von lichess sowie in einem nachfolgenden WSJ-Artikel über die Folgen lesen.

Eine der alarmierendsten Tatsachen, die dabei herauskamen, war, dass US Chess Alejandro als Trainer zur Frauenolympiade schickte - eine Veranstaltung, an der über 100 Minderjährige teilnehmen - trotz meiner wiederholten Warnungen (zusätzlich zu den Warnungen von anderen), dass er mutmaßlich eine 15-Jährige missbraucht und auch mich attackiert hatte.

Nachdem die Wahrheit ans Licht gekommen war, hoffte ich, vielleicht in meiner Naivität, dass ich dazu beitragen könnte, die Karten neu zu mischen und eine bessere Zukunft im US-Schach zu schaffen, insbesondere für unsere Mädchen und Kinder.

Anstelle von Unterstützung wurde ich mit Feindseligkeit begrüßt. Mein Tweet - der schließlich Konsequenzen auslöste - wurde von US Chess kritisiert. Ein Anwalt, der die Organisation vertrat, sagte mir, ich solle "aufpassen", dass meine Äußerungen nicht gegen die Richtlinien verstoßen und den Prozess von US Chess "gefährden" könnten. Von der Auswahl des Trainers für die Frauenolympiade bis zu dem Tag, an dem ich zurücktrat, wurden mein Rat und meine Leistungen konsequent heruntergespielt oder ignoriert.

Nach dem, was ich gesehen habe, kann ich der Organisation derzeit nicht mit gutem Gewissen meine Glaubwürdigkeit verleihen. Dies gilt umso mehr, als ich de facto zur Vertrauensperson für so viele Frauen und Mädchen geworden bin, was es für mich unerlässlich macht, Vertrauen in die Entscheidungsfindung und Kommunikation der Führungskräfte zu haben. 

Diejenigen, die mit institutionellem Verrat und Whistleblowing vertraut sind, wird das alles nicht überraschen. So schmerzhaft es auch war, bin ich doch zuversichtlich, dass mir die gewonnenen Erkenntnisse bei meiner Arbeit und meinem Engagement helfen werden.
Ich wünsche US Chess das Beste, um die notwendigen Veränderungen in der Zukunft vorzunehmen. Und wer auch immer die Leitung von US Chess Women übernimmt, soll wissen, dass meine Tür immer für ein Gespräch offen ist.
Meine tiefste Bewunderung gilt die "Jane Doe's", die aufgestanden sind und das Schweigen gebrochen haben, um das Spiel für die nächste Generation sicherer zu machen. 

An alle Betroffenen, die diesen Beitrag lesen, ob sie sich nun geäußert haben oder nicht: Sie sollen wissen, dass sie für mich die Wichtigsten sind. 

Aufrichtig, Jennifer Shahade
 

Originalbeitrag bei Facebook:


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