Minusgeschäft Schach
Ohne Zweifel ist das internationale Spitzenschach nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen ein Zuschussgeschäft. Die Turniere sind teuer, die Preisgelder hoch. Einnahmen durch Zuschauer gibt es so gut wie keine, da sich kaum Zuschauer zu Schachturnieren einfinden. Aus diesem Grund lassen sich auch keine Werbeeinnahmen vor Ort erzielen. Die Gemeinde der Schachfreunde ist im Vergleich zu anderen Sportarten klein. Mit ca. 90.000 Mitgliedern gehört der Deutsche Schachbund in Deutschland zu den kleineren Sportverbänden, ist aber international gesehen sogar einer der größten Schachverbände. Der größte Schachverband ist der Russische Schachverband.
Über die Welt verstreut gibt es viele Schachfreunde, auch solche, die nicht in Verbänden organsiert sind. Mit einer Veranstaltung an einem bestimmmten Ort kann man sie nicht erreichen, über das Internet schon. Schachübertragungen im Internet erreichen tatsächlich Zuschauerzahlen, die für Werbekunden von Bedeutung sind. Trotzdem blieb die Idee einer "professionellen Vermarktung" des Schachs bislang ein Mythos.
In Russland nimmt Schach in der gesellschaftlichen Wahrnehmung immer noch eine besondere Rolle ein. Schon bald nach der Revolution erklärten die Kommunisten Schach in der UdSSR zum Volkssport und förderten es zunächst, um die Leute zu beschäftigen und später um die intellektuelle Überlegenheit der Arbeiterklasse zu demonstrieren. Manche kommunistische Führer waren aber auch einfach passionierte Schachliebhaber, wie Lenin oder sein Kampfgefährt Nikolai Krylenko. Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten die Sowjets im Schach eine Vormachtstellung aus - nur kurz von Robert Fischer durchbrochen-, die noch bis 2007 anhielt. Dann wurde mit Kramnik der letzte russische Schachweltmeister entthront. Heute sind eher die USA und China und bald Indien die großen Schachnationen.
Im Weltschachbund gewannen die Russen aber erst 1995 entscheidenden Einfluss, als der kalmückische Provinzchef Kirsan Ilyumzhinov FIDE-Präsident wurde. Sein Vorgänger, der Philippine Florencio Campomanes hatte die FIDE auf mehrfache Weise ruiniert, finanziell und organisatorisch. Mit Campomanes fasste auch die Korruption Fuß in der FIDE. Ilyumzhinov hatte engen Kontakt zur neuen russischen politischen und wirtschaftlichen Elite und pumpte am Anfang eine Menge Geld in das Schach, eigenes und das von Freunden bzw. halbstaatlichen Organisationen. Nach westlichen Maßstäben stammte es aus dubiosen Quellen. "Pecunia non olet", dachten sich aber die Schach-Großmeister.
Schachmäzene in Russland
Auch in der postsowjetischen Ära gibt es aber in Russland noch echte Schachmäzene, auch solche, die als Oligarchen großer Wirtschaftskonzerne nicht so aufs Geld schauen müssen. Andrey Filatov, jetzt Präsident des russischen Schachverbandes, spielte in seiner Jugend gut und gerne Schach, dann wurde er jedoch reich. Dem Schach ist er treu geblieben. Die Verbindungen dieser Leute in die russische Politik ist in der Tat eng. Für die politische Führung war Ilyumzhinov ein willkommener Späher, den sie in der harmlosen Verkleidung eines Schach-Präsidenten an die Brennpunkte der Weltpolitik schicken konnte, um die Lage zu sondieren. Der Kalmücke war der letzte offizielle Gast von Hussein und von Gaddhafi. Ilyumzinov bahnte auch heikle Geschäfte an. Insofern hatte die russischen Führung ein Interesse daran, ihn als Präsidenten eine internationalen Sportverbandes zu halten, um ihn bei Bedarf als Emissär einsetzen zu können. Im Gegenzug wurde Ilyumzhinov von der russischen politisch-und wirtschaftlichen Elite bei seinen Aufgabe in der FIDE unterstützt. Sehr oft übernahmen russische Unternehmen oder staatlichliche Organisationen die Kosten für die Ausrichtung großer FIDE-Turniere. Wie wäre wohl die jüngere Schachgeschichte ohne die russischen Finanzmittel verlaufen? 2014 stand beispielsweise niemand zur Ausrichtung der WM zwischen Carlsen und Anand bereit, dann sprangen die russische Regierung ein. Gazprom zahlte.
2012 traf der erfolgreiche amerikanisch-russische Unternehmer Andrew Paulsen mit Ilyumzhinov zusammen. Er war nicht der erste, der die Idee einer "professionellen Vermarktung" des Schachs zur Diskussion stellte - schon vorher sind mehrer Versuche gescheitert -, aber er konnte die FIDE überzeugen, es mit ihm noch einmal zu versuchen. Auf Wunsch der FIDE gründet Paulsen die Firma Agon, schloss einen langjährigen Vertrag über die Rechte der Vermarktung an den Weltmeisterschaften und den Qualifikationsturnieren, aber nicht an allen Turnieren, wie im Filmbeitrag fälschlicherweise behauptet wird. Viele Turniere sind ja privat organisiert. 2014 verkaufte Paulson die Firma, offenbar schon sterbenskrank, für einen symbolischen Preis an Ilya Merenzon.
Was wollen die Russen?
Mit verschwörerischer Musik im Hintergrund suggeriert der Filmbeitrag zwielichtige Geschäfte im Hintergrund des Schachs - mit der russischen Staatsführung als dunkle Seite der Macht. Aber zu welchem Zweck? Schach ist völlig unbedeutend, von keinerlei wirtschaflichem oder politischem Interesse. Das Spitzenschach kostet weit mehr als es einbringt, ein Minusgeschäft. Mit Sicherheit gibt es bei der Organisation der Turniere durch Agon undurchsichtige Finanztransaktionen. Das Kandidatenturnier in Berlin wirkt bespielsweise unterorganisiert, vielleicht hat das auch finanzielle Gründe. Trotzdem wird die Organisation nicht eben billig sein. 420.000 Euro müssen allein als Preisgelder gezahlt werden, die FIDE erhält davon in der Tat 20%, wie die Autoren des Filmbeitrages - vielleicht durch Lesen der FIDE-Regulations - herausgefunden haben. Das war auch in "vorrussichen" Zeiten schon so. Hinzu kommen eine Menge Kosten für Unterkunft, Personal, Kommentierungen, Webcast, Gäste, die Eröffnungsfeier, Resiekosten, Infrastruktur etc. Nur das Gebäude war sicher umsonst.
Paulssons Idee war es, das Spitzen-Schach aus den nichtdigitalisierten Zonen in den russischen Provinzen herauszuholen und in den westlichen Metropolen auch für ein jüngeres und hipperes Publikum attraktiv zu machen. Das klappt zum Teil, bringt aber auch nicht mehr Geld. Und dann gab es noch die Idee, das Exklusiv-Recht an den Live-Notationen für sich zu reklamieren und mit einem kommentierten Video-Stream für zahlende Abonnenten Geld zu verdienen. Agon hatte jedoch Schwierigkeiten, diesen Anspruch juristisch durchzusetzten, führte und verlor mehrere Prozesse. Außerdem sollen die Zahlen der Abonnenten bei der WM in New York enttäuschend gewesen sein. Vor dem Kandidatenturnier hat Agon nun auf irgendeine von außen kaum erklärbare Weise seine Webseite "Worldchess" zerstört und kann dort nichts anbieten.
Es wäre interessant gewesen, wenn die Autoren des WDR-Beitrages etwas über die wirtschaftliche Grundlage von Agon heraus gefunden hätten. Haben sie aber nicht. Daran ändert auch die suggestive Verschwörungsmusik im Hintergrund des Beitrages nichts. Russland wird auch den Sieger des Turniers, selbts wenn es kein Russe sein sollte, nicht vergiften.
Bild: WDR
Videobeitrag beim WDR anschauen...