Alle, die gut und wichtig in der digitalen Welt sind, haben sich dieser Tage in Hamburg versammelt. Anlaufstelle sind die Hamburger Messehallen, wo über zwei Tage (6. und 7. Mai) das Online Marketing Rockstars Festival (OMR) organisiert wird. Das Festival hat vor über zehn Jahren klein angefangen und ist dann von Jahr zu Jahr gewachsen. Inzwischen belegen die Aussteller und die Zuschauer vor den vier großen Bühnen nicht nur alle elf Hallen des Hamburger Messegeländes, sondern auch die Open Air Räume dazwischen und selbst einige Straßen im Messegelände und drumherum sind für die Durchfahrt gesperrt, weil die Straßen für die Anlieferung der Messestände genutzt werden oder Besucher zwischen den Hallen umherwandeln. Wer meint, er könne mit dem eigenen Fahrzeug zum Messegelände gelangen, muss Zeit mitbringen. Die Straßen um das Messegeländer herum sind an den zwei Messetagen größtenteils verstopft. Die Anfahrt per U-Bahn wird von den Veranstaltern wärmstens empfohlen.
Neben den vielen Hunderten oder Tausenden Menschen, die an der Messe oder an der begleitenden Konferenz (in den frühen Jahren des OMR nach 2011 war es noch anders herum) unmittelbar beteiligt sind, bevölkern an den zwei Tagen über 70.000 Besucher das Gelände. Das ist insofern eine erstaunlich hohe Zahl, weil der Festival-Pass mit über 630 Euro nicht gerade ein Schnäppchen ist. Es wird allerdings auch eine Menge geboten.
Die meisten der Besucher gehören der Sneaker-Generation an. Bevorzugt werden weiße oder zumindest helle Sneaker. Helle Laufschuhe gehen auch. Wenige Freigeister betreten mit bunten oder dunklen Sneakern das Gelände. Das junge Publikum ist durchaus international, sich aber in diesem Punkt des Dresscodes global weitgehend einig. Im Übrigen sind eher junge Frauen zumindest im digital Marketing in der Überzahl.

Anstehen vor dem Nespresso-Wagen
Auch die Organisation der Messe ist weitgehend digital. Alle Besucher akkreditieren sich und erhalten dann ein digitales Batch ums Armgelenk gebunden. Einen Umhängeausweis gibt es auch noch, für die schnelle optische Orientierung des Servicepersonals. Das Batch-Armband ist wichtiger. Es gewährleistet den Durchmarsch durch die digital gesteuerten Sperren und dient als digitales Wallet für die Ausgaben, die man an den Verzehrbuden oder sonst wo tätigen möchte. Bargeld war gestern. Zum Schluss wird abgerechnet.
Vor den vier Bühnen in den verschiedenen Hallen versammelt sich auf den vielen davor bereit gestellten Stühlen und Tischen das interessierte Publikum und schaut sich die thematischen Präsentationen und Erläuterungen der Speaker an.


Für Sport- und Schachfreunde ist die Halle B6 mit der Blue Stage der interessanteste Ort. Auf den Bühnen werden im Wechsel unterhaltsame Fachvorträge und Gesprächsrunden zu Digital-Themen angeboten. Am ersten Messevormittag gab auf der Blauen Bühne neben durchaus erhellenden Vorträgen zur richtigen Interpretation von Statistikkurven beim Userverhalten auf Videoplattformen oder dem Vergleich unterschiedlicher Plattformen für Audio-Podcasts drei Gesprächsrunden zur digitalen Präsentation von Sportthemen, darunter auch zum Thema Schach. Die Schachrunde war dabei eingebettet zwischen Frauen-Fußball (u.a mit dem Moderatorenpaar Claus Lufen und Almut Schult) und Formel Eins (u.a. mit Mikka Häkkinen) - nicht schlecht.

Frauen-Fußball wird immer populärer, auch dank solcher Sympathie-Träger wie Almuth Schult
Und die Schachrunde schlug sich im Wettbewerb mit Fußball und Formel Eins sehr gut. Die Moderation dieser Runde hatte Stefan Kastenmüller übernommen.

Er betreut mit seiner Firmen Nautilus Consulting Firmen in der Medien- und Sportbranche und berät auch Start-Ups in der Frühphase.
Als Gäste begrüßte Stefan Kastenmüller die drei Schach-Streamer und Digital-Unternehmer Daniel Rensch, einer der maßgeblichen Leute von Chess.com, den erfolgreichsten Schach-Streamer Levy Rozman alias Gotham Chess und die Streamerin Anna Cramling, Tochter der Schachgroßmeister Juan Bellon López und Pia Cramling.

Nachdem Stefan Kastenmüller das Publikum in seiner Eröffnungsmoderation über den aktuellen Schach Hype ins Bild gesetzt hatte, bat er seine Gäste einen nach dem anderen auf die Bühne und sprach mit ihnen über die rasante Entwicklung in der digitalen Schachwelt.

Die Plattform Chess.com verzeichnete beispielsweise nach Beginn der weltweiten Covid-19-Pandemie einen gewaltigen Zuwachs an Mitgliedern. Nachdem seinerzeit die Hamburger Online-Plattform Chess24 mit der norwegischen Internet-Firma Magnus Chess fusioniert hatte, wurde die neue Firma von Chess.com aufgekauft, was die US-Amerikaner zum größten Schachanbieter machte. Daniel Rensch berichtete, was Chess.com alles unternommen hatte, um ständig zu wachsen.


Daniel Rensch
Auch der New Yorker Levy Rozman arbeitet mit Chess.com zusammen. Rozman erzählte, wie er vor der Pandemie als Internationaler Meister als Schachlehrer Schachunterricht gab. Er eröffnete auch Kanäle auf den Video-Plattformen Youtube und Twitch, die anfangs so lala liefen. Durch einen Zufall wurde 2020 seine Video-Lektion "Wie spielt man Damengambit" im Zusammenhang mit der Netflix-Serie "The Queen's Gambit" beworben und die Zugriffszahlen explodierten.

Levy Rozman
Das war der Anfang des Erfolgs der Marke "Gotham Chess." Levy Rozman präsentiert seine Lektionen auf leichte und witzige und damit gut konsumierbare Weise.
Die dritte Gesprächspartnerin war dann Anna Cramling. Nicht jeder hat gleich zwei Schachgroßmeister als Eltern. "Ich habe schon Schach gelernt, da konnte ich noch gar nicht sprechen", erzählte die 23-Jährige. Den Großmeistertitel hat Anna Cramling bisher nicht erreicht, aber die spielte schon zusammen mit ihrer Mutter bei der Schacholympiade in der Schwedischen Nationalmannschaft. Auch für Anna Cramling war der Beginn der Covid-Pandemie der Ausgangspunkt für die Streamer-Karriere. Jetzt hat sie auf den Video-Plattformen Youtube und Twitch fast zwei Millionen Follower. 2024 wurde sie bei den Streamer Awards als beste Streamerin für Strategiespiele ausgezeichnet.


Superprofessionell und freundlich. Anna Cramling machte mit Dutzenden Fans ein Selfie
Stefan Kastenmüller betreut mit seiner zweiten Agentur Apollo Masters nun auch Levy Rozman. Die beiden hatten sich bei einem Simultan beim Sportkongress Gameplan in Köln kenngelernt. Und Kastenmüllers Sohn ist ein begeisterter Fan der Gotham Chess Lektionen. Auf seinen Video-Kanälen auf Youtube und Twitch hat Levy Rozman inzwischen zusammen 7,5 Millionen Abonnenten und ist damit der erfolgreichste Schachstreamer.

Katharina Reinecke, Levy Rozman und Stefan Kastenmüller freuen sich auf die Tour
Nun unternimmt Levy Rozman eine Europatournee durch einige europäische Metropolen (Brüssel 8.5, London 9.5, Wien 11.5, Prag 13.5, Berlin 15.5, München 16.5, Warschau 17.5, Karten kosten knapp 60 Euro.). So viele Zuschauer wie bei seinen Online-Lektionen werden bei den Live-Auftritten nicht kommen.

Daniel Rensch und Levy Rozman am Merch-Stand - den gibt es natürlich auch
Wer aber da ist, kann Levy Rozman aber live und wahrhaftig und dreidimensional erleben. Ein paar Gäste werden Rozman unterstützen. In London ist Daniel Rensch mit dabei. In Berlin ist es Judit Polgar. In München spricht Levy Rozman mit Frederik und Rasmus Svane.

Kastenmüller sieht die Live-Auftritte von Gotham Chess als einen Baustein des Gesamtkonzepts zur Popularisierung der Marke. Die digitale Schachwelt soll die althergebrachte analoge Schachszene keineswegs verdrängen. "Alles hat seine Berechtigung", sagt Kastenmüller, "und fördert sich gegenseitig! Auch Kooperationen sind wichtig."


Mit Magnus Carlsen, mit Events wie dem Freestyle Grand Slam und mit den Streamern und deren gewaltigen Abonnentenzahlen hat das Schach die große Bühne erreicht und buhlt hier um die Kooperation mit Marken. Das war auch die Idee dieser Präsentation auf der Blue Stage der OMR. Die großen "Brands" sollen die neue digitale Popularität und riesige Reichweite als Vehikel für ihre Zwecke nutzen - es geht natürlich um Werbung. Mal sehen, wie das klappt. Erste Erfolge gibt es ja schon zu verzeichnen, wenn der Werbepartner der letzten Schachweltmeisterschaft beispielsweise Google ist. Und Schach wird mehr und mehr in die Esports-Gemeinde integriert.
Nicht jeder wird dieser Entwicklung mit Begeisterung folgen. Robert Hübner zum Beispiel wollte einfach immer nur in Ruhe eine Partie Schach spielen, ohne Gedöns. Aber das eine schließt das andere ja nicht aus.
Bericht zur OMR im Hamburg Journal...
