Schach – Ein Kinderspiel: Zu Besuch bei Sebastian Siebrechts "Faszination Schach"

von Johannes Fischer
27.06.2024 – "Faszination Schach" heißt die Veranstaltungsreihe, mit der Großmeister und Schachorganisator Sebastian Siebrecht Tausenden von Kindern in ganz Deutschland Schach beibringt. Im Juni war Siebrecht in Hamburg-Norderstedt zu Gast. Johannes Fischer hat die Gelegenheit zu einem Besuch genutzt und viel Schachbegeisterung gesehen. | Fotos: Sebastian Siebrecht

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Sebastian Siebrecht verkörpert Schachbegeisterung. Als Organisator der Veranstaltungsreihe "Faszination Schach" zeigt Siebrecht Kindern und Jugendlichen in Einkaufszentren in ganz Deutschland die Regeln des Schachs und weckt Begeisterung für das Jahrhunderte alte Spiel. Siebrecht mag Kinder und hat während seines Jurastudiums unter anderem als Weihnachtsmann und Nikolaus auf Weihnachtsmärkten gearbeitet und in Familien Geschenke verteilt. Aus diesem Job wurde dann eine Event-Agentur und heute berät Siebrecht Schachsponsoren wie Wadim Rosenstein, den Organisator des Düsseldorfer WR Cups, und Jan Henric Buettner, Initiator des G.O.A.T Freestyle-Turniers und der Mann, der Magnus Carlsen in die Schachmannschaft des FC St. Pauli gelotst hat.

Sebastian Siebrecht

Siebrecht ist Großmeister und hat früher auf Turnieren in aller Welt bis zu 200 Partien pro Jahr gespielt und war in acht europäischen Ligen gemeldet, aber heute arbeitet er vor allem als Schachbotschafter und Organisator. Seine Schachbegeisterung ist jedoch immer noch spürbar und mit "Faszination Schach" hat er schon Tausende von Kindern zum Schach gebracht.

Mitte Juni war Siebrecht mit seinem mehrtägigen Programm im Herold-Center in Hamburg-Norderstedt zu Gast, und das schien mir eine gute Gelegenheit für einen Besuch zu sein. An den Vormittagen erklärt Siebrecht Schulklassen die Regeln die Schachs und erste grundlegende Strategien, nachmittags gibt es offene Wettbewerbe und Blitzturniere. Von morgens 10 bis Ladenschluss kümmert sich Siebrecht dabei um aufgeregte Kinder, gestresste Lehrkräfte und engagierte Eltern.

Blitzschach

Großmeister Sebastian Siebrecht gibt Anfängerunterricht

Am Anfang stehen die Regeln, die Siebrecht einer Schulklasse, die ein Brett umlagert, erklärt: Wie ziehen die Figuren: der Läufer, der Turm, der Springer, der König, die Dame und die Bauern? Warum steht der Springer im Zentrum gut und am Rand und in der Ecke schlecht? Auf welche Felder kann der Springer ziehen, wenn er auf e4 steht? Wie kommt der Turm von einem Ende des Brettes so schnell wie möglich auf die andere Seite? Und wie schafft das der Springer? Siebrecht erklärt schnell, aber einfach, klar und anschaulich: "Der König ist langsam und kann nur jeweils ein Feld in eine Richtung ziehen, denn er ist dick und hat die Taschen voller Gold."

Früher galt Schach als schweres Spiel, als ein Spiel für Erwachsene, mit komplizierten Regeln, die man langsam und mühsam lernen musste. Bei Siebrecht wird Schach zum Kinderspiel und nur eine knappe halbe Stunde später kennen die Kinder die Grundregeln. Und sind begeistert. Wenn Siebrecht Fragen stellt, melden sich stets vier, sechs oder mehr Kinder mit einer Lösung oder doch zumindest einer Antwort.

So geht das!

Während ich über den Enthusiasmus der Kinder staune, kommt mir ein Zitat des englischen Schriftstellers Martin Amis in den Sinn, über das ich vor kurzem in einem Bericht über den WM-Kampf zwischen Anatoly Karpov und Garry Kasparov 1986 gestolpert bin:

"Schach ist zweifellos ‚das schönste Spiel‘. Aber warum wird es dann am Ende immer hässlich?" (Martin Amis, "Chess: Kasparov v. Karpov, in Visiting Mrs Nabokov And Other Excursions, Vintage 2005, S. 83).

Leider fällt einem sofort ein, woran Amis bei dieser Frage gedacht haben könnte: Bobby Fischers Abgleiten in den Wahn, seine Paranoia und sein Antisemitismus. Oder die WM-Kämpfe zwischen Viktor Kortschnoi und Anatoly Karpov 1978 in Baguio und 1981 in Meran, die zu erbitterten Psychokriegen wurden, in denen beide Seiten keine gute Figur gemacht haben. Oder die Carlsen-Niemann Affäre oder der Verfolgungswahn und Dünkel von Ex-Weltmeister Vladimir Kramnik, einem der besten Spieler aller Zeiten, der jetzt aber so ziemlich jeden, gegen den er im Online-Blitz verliert, des Cheatings bezichtigt, ohne für diese Behauptungen überzeugende Beweise vorlegen zu können. Oder die traurigen Schachprofis, die von Open zu Open ziehen, und wirken, als würden sie all ihr Hab und Gut in einer alten Plastiktüte mit sich führen und sich tage- und wochenlang nicht waschen.

Von dieser hässlichen Seite des Spiels wissen die Schüler und Schülerinnen, denen Siebrecht die Grundregeln des Schachs zeigt, jedoch nichts. Sie finden Schach klasse und ihr Enthusiasmus lässt auch nicht nach, als ihnen Siebrecht eine für Anfänger wirklich schwere Aufgabe präsentiert.

1.g5–g6! Mit einem doppelten Bauernopfer erzwingt Weiß einen Durchbruch und schickt einen seiner Bauern zur Grundreihe: 1…h7–g6 Nach 1...f7–g6 folgt der entscheidende Vorstoß auf der anderen Seite: 2.h5–h6! g7–h6 3.f5–f6 und der f-Bauer wird zur Dame. 2.f5–f6 g7–f6 3.h5–h6 und der h-Bauer erreicht das Umwandlungsfeld.

Diese Aufgabe ist eine gute Vorbereitung für das Spiel, das die Schachneulinge jetzt ausprobieren: "Bärenthaler Bauernkloppe", eine der Schachvarianten, mit denen das Schachprogramm Fritz & Fertig Anfängern und Anfängerinnen die Grundzüge des Schachs nahebringt. Acht weiße und acht schwarze Bauern stehen sich auf der zweiten und der siebten Reihe gegenüber, Figuren gibt es nicht. Es gelten die normalen Schachregeln und gewonnen hat, wer es schafft, als Erster mit einem Bauern die gegnerische Grundreihe zu erreichen.

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Wer schlau ist, denkt einen Zug voraus! Holen Sie sich gleich die preiswerte Fritz&Fertig Sonderedition mit den Folgen 1 und 2! In Folge 1 lernen Kinder (und Erwachsene) in einem phantasievollen Schach-Abenteuer die Grundlagen des Schachspiels. Folge 2 knüpft mit interaktiven Spielmodulen zu Eröffnung, Taktik, Strategie und Endspiel an.

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Während die Kinder darüber nachdenken, was sie mit ihren Bauern machen, spreche ich mit Siebrecht über das Amis-Zitat.

Der Autor Johannes Fischer zu Besuch bei "Faszination Schach"

Siebrecht kontert mit einem Zitat des norwegischen Autors Atle Grønn, Internationaler Meister im Schach, Professor für Slawistik an der Universität Oslo und Autor einer kürzlich erschienenen Biographie über Simen Agdestein. Grønn schreibt über den Ansatz der "Norwegischen Schachschule":

"Lernen und Spielen, weil man das will und weil es einem Spaß macht. Gesunde Faulheit statt demotivierender Struktur. Körperliches Training und Schlaf statt Variantenpauken. Siegeswille - Schach als Sport und Zweikampf und weniger als Kunst und Wissenschaft." (Atle Grønn, Games and Goals: The Fascinating Chess and Football Careers of Simen Agdestein, New in Chess 2024, S. 209)

Der bekannteste Vertreter der norwegischen Schachschule ist natürlich Magnus Carlsen, seit Juli 2011 ununterbrochen die Nummer 1 der Welt und für viele der beste Schachspieler aller Zeiten. Carlsen hat immer wieder betont, wie wichtig es ist, Spaß am Schach zu haben und seine Erfolge geben ihm Recht.

Ob einer der Jungen oder eines der Mädchen, denen Siebrecht im Einkaufszentrum in Norderstedt Schach beibringt, ein neuer Carlsen, ein neuer Keymer oder eine zweite Judit Polgar wird, weiß man natürlich nicht. Aber das ist eigentlich auch unwichtig. Denn egal, ob man 2800, 2200, 1500 Elo oder keine Elo-Zahl hat, so kann man sich doch von der Faszination des Schachs in den Bann ziehen lassen, zum ersten Mal oder immer wieder. Ob man die Regeln gerade lernt oder vor einem halben Jahrhundert gelernt hat.

Ein junges Talent

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".
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