BAUER WIRFT LÄUFER AUS DEM RENNEN - WENN SICH SCHACH UND
COMPUTERSPIEL ZUSAMMENTUN
Von Dr. René Gralla
Ein Spiel, bei
dem die Kinder gebannt vor dem Computer sitzen und einen gegnerischen Feldherrn
samt dessen Spießgesellen jagen? Durch Wüsten und durch Dschungel, mit
wachsender Begeisterung - und besorgte Eltern dürfen ruhig schlafen? Weil sich
der Nachwuchs an keiner primitiven Ballerei ergötzt, sondern per Mausklick auch
noch schlauer wird?
Das klingt ein
bisschen nach der endlos strapazierten armen Wollmilchsau, die nun auch noch in
der digitalen Dimension pädagogisch wertvolle Eier legen soll. Tatsächlich aber
ist die Rede von einem realen Produkt, das ab September 2010 im einschlägigen
Fachhandel zu haben sein wird: "Battle vs. Chess", das ewige Duell der Könige
als spannende Animationen in 3D.
Schon Anfang der
90-er hatte es Versuche gegeben, das ehrwürdige Schach in ein Computerspiel zu
verwandeln. Diese frühen Versionen und weitere Nachfolgeeditionen krankten aber
daran, dass die elektronischen Schachknirpse entweder bloß im Kriechgang über
den Bildschirm schlichen - die Technik war eben noch nicht weit genug - oder
dass die Programme viel zu schwach waren und selbst von Anfängern leicht besiegt
werden konnten. Ganz anders jedoch jetzt "Battle vs. Chess", an dem die Tüftler
von der Heidelberger Softwareschmiede Topware Interactive anderthalb Jahre
gebastelt haben: eine Kombination aus eindrucksvoller und detailverliebter
Optik, an der auch verwöhnte E-Gamer nichts zu mäkeln haben, und einer
Rechnerleistung, die selbst ligaerprobte Semiprofis ins Schwitzen bringt.
Denn Partner des
besagten Projekts für PC und Konsole sind die Hamburger Experten von ChessBase,
deren starke FRITZ-Engine diese "Battle vs. Chess" steuert. "Interessante Ideen,
die neue Zielgruppen für eines der ältesten und schönsten Spiele der Welt
gewinnen, unterstützen wir immer", begründet ChessBase-Geschäftsführer Rainer
Woisin im ND-Gespräch das Engagement seines Hauses.
Das Ergebnis
sieht im virtuellen Raum dann so aus: Die bekannten Schachfiguren verwandeln
sich in Phantasiegestalten, die Dame ist eine verführerisch gefährliche Amazone
und der Turm eine Art Golem, und dieser bunte Haufen misst seine Kräfte auf
gepflasterten Plätzen irgendwo in verwunschenen Märchenreichen. Sechs
verschiedene Szenarien stehen zur Auswahl, und dank HDR und bombastischer
Partikeleffekte schauen im Vergleich dazu die "Battle Chess"-Prototypen aus dem
vergangenen Jahrhundert, von denen manche Nostalgiker bis heute schwärmen, wie
Pixelrohlinge aus.
Zugleich aber
kann der Anwender auch in die bewährte Schachoptik umschalten, falls er ohne
Ablenkung eine konkrete Position analysieren möchte. Denn "wir möchten ein Spiel
für die ganze Familie kreieren", umreißt Jörg Schindler vom Entwicklerteam
Topware Interactive seine Vision. Fortgeschrittene würden vielleicht intensiver
mit dem Programm FRITZ arbeiten und ihr Schach verbessern, während sie die
kleinen Filme, die aus ihren Partien entstünden, als spaßiges Beiwerk mitnähmen.
Die Anderen dagegen könnten sich auch an verschiedenen Zusatzfunktionen
versuchen.
Und dabei wird
die vertraute Schachwelt gelegentlich auf den Kopf gestellt. Soll nämlich ein
feindlicher Ritter oder Troll geschlagen werden, muss das nicht stumpf nach
dem Kanon der FIDE exekutiert werden. Ein spezieller Modus gibt die Chance, das
betreffende Scharmützel regelrecht auszufechten. Die Kamera zoomt auf den
Quadranten, wo zum Beispiel der Läufer einen Bauern antrifft, und plötzlich
sieht sich der Spieler der Figur, die er vom Feld jagen möchte, via Screen
buchstäblich Aug' in Auge gegenüber. Ist diese Variante gewählt worden,
entscheiden eingesetzte Waffen und Geschicklichkeit darüber, ob der Läufer
tatsächlich den Bauern niederringen kann, und folgerichtig triumphiert manchmal
der nominell Schwächere. Mit der Konsequenz, dass die Attacke scheitert und der
Angreifer auf den Ausgangspunkt zurückkehren muss.
Eine witzige
Alternative zum eingefahrenen Klipp-Klapp-Schema im Schach. Für Puristen
freilich ein Graus, aber ChessBase-Mann Rainer Woisin hat mit derartigen
Abschweifungen kein Problem: "Schachfreunde, die das nicht mögen, sollen sich
weiter an den Schachprogrammklassiker FRITZ halten, der Standard unter Profis
und Amateuren. Wenn aber Kids, die von anderen E-Games tolle Grafiken und Tempo
gewohnt sind, über Optik und Action zum Schach finden, wer im Ernst sollte etwas
dagegen haben?!"
Womit sie quasi
amtlich ist: die moderne Ehe zwischen Schach und Computerspiel.
---------------------------
"Battle vs. Chess"
von Topware Interactive: ab September 2010 im Handel, Preis zwischen ca. 40 und
50 Euro, Näheres unter:
www.battlevschess.com ;