Teil I: Hintergrund; wenn Sie sich langweilen,
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Von Misha Sawinov
Nigel Short in bester Gesellschaft?
Die Zukunft jeder Sportart hängt davon ab, wie
spektakulär sie im Fernsehen wirkt. Schach erscheint im Fernsehen äußerst
selten. Deshalb entspricht das Jahreseinkommen eines Spielers vom Kaliber
McShanes etwa dem eines Ersatztorwarts in Russlands 2. Liga, obwohl
Letzterer wohl nicht die geringsten Chancen haben dürfte, für den SV Werder
Bremen zu spielen. Ich habe Motylev nie gefragt, ob er es bedauert, seine
erfolgreiche Karriere als Jugendfußballer aufgegeben zu haben, weil dem
offensichtlich nicht so ist. Eine neue Generation von Schachspieler sieht
diese Dinge allerdings etwas pragmatischer. Die Frage ist, ob sie
pragmatisch genug sind, um Pflichten zu akzeptieren, die jedem
professionellen Sportler auferlegt werden.
Ich habe Marina Makarycheva, die zusammen mit ihrem
Mann GM Sergey Makarychev für die Schachsparte im NTV Plus
Sportsatellitensender zuständig ist (etwa 0,5 Millionen Abonnenten),
gefragt, ob ihre Schachberichte ausreichend gute Einschaltquoten hätten, um
zur Hauptsendezeit oder sogar im öffentlichen NTV-Kanal (allein in Russland
118 potenzielle Zuschauer) gezeigt zu werden. Ihre Antwort war: die
Einschaltquoten wären doppelt- und dreifach so gut. Die Tatsache, dass
Schach im Vergleich zu anderen Fernsehshows die Hundertzweite Geige spielt,
hat nichts mit den Einschaltquoten zu tun.
Ich habe über den Fernseherfolg der Show am letzten Tag
des Weltmeisterschaftskampfes zwischen Kasparov und Short gelesen. Ich
erinnere mich, dass Eurosport Schnellpartien übertragen hat. Ich habe
gehört, dass ESPN mit ihrer Schachshow ziemlich zufrieden war. Lag all das
nur an Kasparov, der immer noch der einzige allgemein bekannte Schachspieler
ist?
In Russland und in anderen Staaten der ehemaligen
Sowjetunion ist das Publikum besser vorbereitet. Wie allgemein bekannt,
spielen unsere Taxifahrer gegen die Nationalmannschaften, die sie vom
Flughafen Sheremetyevo abholen, Blindsimultan. Dieses Phänomen ist noch
nicht ausreichend untersucht, aber Forscher haben festgestellt, dass ein
perfektes Gedächtnis, gute Rechenfähigkeiten und die schnelle Reaktion eines
Jedi-Ritters Eigenschaften darstellen, die sowohl für Taxifahrer als auch
für Schachspieler nicht ohne Bedeutung sind. Das russische Publikum kann
Schach im Fernsehen sehen und verstehen. Aber heutzutage will es auch
unterhalten werden.
Vor etwa 40 oder 50 Jahren kommentierte Kortschnoi
einen seiner Züge wie folgt: "Vielleicht nicht der stärkste Zug, aber ganz
sicher der Zug, bei dem man Spaß hat". Diese Worte wurden von einem Zensor
beanstandet: Schach ist kein Spaß. Für manche Leute hat sich die Lage nicht
verändert; ein paar Schachpilotsendungen (wagen Sie es nicht, sie Show zu
nennen) erschienen auf mehr oder weniger beliebten Kanälen, gemacht im
typisch einheitlichen Sowjetstil: sprechende Köpfe, langweilige Stimmen, ein
altertümliches Demobrett und ein beschränktes Repertoire an angestaubten
Witzen.
Ist dies der Grund, warum die nationalen
Fernsehanstalten dem Schach so skeptisch gegenüber stehen? Oder gibt es
andere Gründe? Schließlich leistet NTV Plus mit Berichten über die großen
Ereignisse gute Arbeit und ihre Einschaltquoten sind gut. Ich habe das
Gefühl, dass wir für den hohen offiziellen Status, den das Schach in der
UdSSR genossen hat, zahlen müssen. Unsere Erfolge im Schach werden nicht nur
im Geist des Publikums sondern auch im Geist der Bosse der Fernsehsender
stark mit dem totalitären Staat assoziiert. Schach muss noch Sport werden,
muss noch in einen Bereich kommen, in dem Einschaltquoten das Einzige ist,
was zählt.
Viele Vertreter der sowjetischen Schachgeneration, die
in den 40er und 50er Jahren geboren wurden, zeigen oft einen schockierenden
Mangel an dem nötigen Professionalismus und scheinen das nicht zu begreifen.
Ein Spieler steigt ohne vernünftige Begründung einen Tag vor Beginn aus
einem Superturnier aus. Ein Trainer, der fest bei einem Team angestellt ist,
konzentriert den Großteil seiner Aufmerksamkeit auf das Einzeltraining eines
Spielers eines Konkurrenzteams. Ein anderer Trainer, übrigens Mitglied des
Trainerrats, weigert sich unter schönem Vorwand das Spiel der Mitglieder der
Nationalmannschaft in einem kürzlich gespielten Turnier zu diskutieren: "Ich
war nicht da, fragen Sie mich nicht". Er kannte die Partien, aber er will
sie nicht diskutieren, Punktum.
Sie begreifen nicht, dass ein offizielles Amt einem
nicht nur Privilegien bringt, sondern auch eine gewisse Offenheit in der
öffentlichen Diskussion erfordert. Sie begreifen nicht, dass das aufreizende
Enttäuschen eines Sponsors nicht nur ihren eigenen Ruf gefährdet, sondern
auch den Ruf anderer Spieler. Sie sind gewohnt zu tun, was immer sie wollen,
da die Partei sie schützt und alles andere egal ist.
Moses hat 40 Jahre gebraucht, aber das Leben im 21.
Jahrhundert gehorcht einem schnelleren Rhythmus und hoffentlich müssen wir
nicht so lange warten. "Verantwortung" ist hier ein Schlüsselwort, und –
Überraschung! – wir sehen, wie junge Spieler sehr viel mehr Verantwortung
zeigen als ihre Vorgänger.
Verzeihen Sie mir das lange Vorwort. Auf meiner Reise
nach Moskau begleiteten mich gemischte Gefühle. Ich habe ganz klar gesehen,
wie schwierig es ist, eine Show wie "Golden Blitz" zu machen und wie viel
von deren Erfolg abhängt. "Golden Blitz" ist eine Großveranstaltung mit
beträchtlichem Budget und zeigt die spektakulärste Form des Schachs – Blitz
ohne Inkrement. Sollte dies scheitern, wären wir in einer traurigen Lage: es
ist leichter als unerkanntes Genie in Armut zu leben als dies als
hoffnungsloser Loser zu tun. Ein Scheitern einer finanziell gut
ausgestatteten Blitz-Show würde bedeuten, dass Schach entweder von Natur aus
nicht telegen ist, oder dass die Aufgabe, daraus eine gute Show zu machen,
die Fähigkeiten normaler Leute übersteigt.
Ich kann nicht für alle NTV-Abonnenten sprechen, da ich
von ihnen kein Feedback erhalten habe, aber auf mich wirkte alles im Jazz
Town Casino-Club sehr viel versprechend. Es gab zwei kundige Kommentatoren,
Sergey Makarychev und Joel Lautier, die das Publikum unterhielten und die
Aufmerksamkeit auf die kritischen Momente der Partien lenkten.
Die Kommentatoren
Es gab ein professionelles TV-Team von NTV Plus, die die Show ohne sichtbare
Pannen aufgenommen haben. Vielleicht waren nur die Werbe- und die technisch
bedingten Pausen etwas zu lang, was die natürliche Dynamik des Blitzspiels
ein wenig gedämpft hat. Die Organisation war ausgezeichnet und die
Atmosphäre hätte kaum besser sein können. Und es gab junge und erfahrene
Spieler, Frauen und Männer, die hoch spannende Partien voll raffinierter
Ideen (und grober Patzer) spielten, und bei laufender Kamera offen sagten,
was sie sich so denken und gedacht hatten.
Ich muss ein paar Worte über die mutigen Leute
verlieren, die diese Veranstaltung organisiert haben. Bitte ignorieren sie
diese Worte nicht, da diese Männer eine Menge an Zeit, Geld und Energie in
etwas investiert haben, was ein Ticket zur Fernsehübertragung unseres Spiels
sein könnte. Das erste Lob geht an Valery S. Tsaturian – Internationaler
Meister, Trainer von Emil Sutovsky und Lilit Mkrtchian, Entwickler von
"Chess Music" und zahlreicher anderer ehrgeiziger Projekte. Dies war seine
Idee.
Der Präsident der ACP, Joel Lautier, war eine treibende
Kraft hinter der Show, nachdem er sich mit Tsaturian getroffen und das
Projekt während des Aeroflot Opens besprochen hatte. Ein Interview mit Joel,
der interessante Pläne hat, erscheint in Kürze auf der Webseite der ACP.
Valery V. Tsaturian, ein Neffe von IM Tsaturian und
Generaldirektor von "V&V Profi", war Hauptorganisator der Veranstaltung.
Valery S. Tsaturian
Er war der Vermittler zwischen Spielern, den Leuten vom
Fernsehen, vom Casino, den Chefs des Hotels und des Restaurants, den Gästen
und den Journalisten. Er erledigte eine große Menge an organisatorischer
Arbeit und ich wüsste nicht, dass es irgendwelche Beschwerden gab.
Die Verantwortlichen bei NTV Plus Sport, die an die
Idee geglaubt haben und das Turnier live zwei Tage lang gesendet haben.
Später werden sie kurze Filme über jedes Match und eine gekürzte Version der
Show veröffentlichen. Ich freue mich schon darauf.
Damit ist Teil I beendet, Ihnen allen Danke für die
Aufmerksamkeit.
Teil II: Zwei Tage Golden Blitz
Ich bewundere die Person, die die Teilnehmer für die
Veranstaltung ausgesucht hat. Heutzutage bin ich ein eher häuslicher Typ und
komme nur selten zu einem Schachturnier, das nicht in Moskau oder St.
Petersburg stattfindet (das heißt nicht, dass ich gute Angebote ablehnen
würde!). Ich hätte kaum eine Chance gehabt, so bald mit Leuten wie Nigel
Short, Zhu Chen oder Irina Krush zu plaudern, wenn das Golden Blitz nicht
stattgefunden hätte.
Und die Leute, die ich bei Turnieren wie dem Aeroflot
Open mehr oder weniger regelmäßig sehe, waren offener und entspannter als
sonst. Die Situation war ideal – jeder gewinnt! Kein Elo-Verlust, kein
Verlust an Selbstvertrauen – Blitz ist Blitz! – fast überhaupt keine
negativen Gefühle. Ein bisschen natürlichen Ärger gibt es immer, wenn ein
Sportler bei einem K.O.-Turnier ausscheidet, vor allem wenn dies durch einen
groben Patzer geschieht, aber dieses Mal hatten sich solche Gefühle sehr
schnell wieder verflüchtigt. Schauen Sie sich einfach ein paar der Fotos an,
die am ersten Tag nach der Runde gemacht wurden!
v.l.: Vaiser, Tregubov, Makarycheva und Shipov
v.l.: Dvoretsky, Fressinet, Short
Die Spieler gewöhnten sich an die Kameras und fingen
an, Spaß zu haben. Die Persönlichkeit eines Spielers kann sich sowohl durch
kluge Züge als auch durch kluge Antworten enthüllen. Der ironische Evgeny
Bareev war einer der Stars, der einen kleinen giftigen Mann spielte, der
wenig sagt, aber dann stets scharfe Bemerkungen macht.
Ponomariov und Bareev nach dem Mannschaftskampf
Der selbstbewusst-schillernde Vlad Tkachiev zog als
geborener Schauspieler eine Menge Aufmerksamkeit auf sich. Manche Leute
waren sogar der Meinung, das Ergebnis sei ihm weniger wichtig gewesen, als
so lange wie möglich im Rampenlicht zu stehen.
Nigel Short und Vlad Tkachiev
Ruslan Ponomariov ist kein besonders guter
Schauspieler, aber wirkt durch seine Aufrichtigkeit.
Ruslan Ponomariov auf dem Weg zur Spitze
Und die Damen waren charmant, gut aufgelegt und
aggressiv; sie forderten Anteilnahme und Bewunderung. Ohne sie würde das
Turnier viel von seinem Reiz verlieren – dies war die allgemeine Meinung,
der ich mich ohne weiteres anschließe. Es ist nicht möglich, eine Heldin der
Veranstaltung auszuwählen – Alexandra Kosteniuk, Almira Skripchenko, Irina
Krush und Zhu Chen sind für einen solchen Eindruck gleichermaßen
verantwortlich.
Zhu Chen mit der Moskauer Kulisse im Hintergrund
Nach dem Finale: Warten auf die Preisverleihung
Irina Krush ist gerade angekommen, Valery V. Tsaturian zeigt ihr die
Örtlichkeiten.
Ich möchte die Partien hier nicht im Detail besprechen
– Blitz ist eine Sache der Form, der Wachheit und zu einem gewissen Grad
auch des Glücks. Das gilt besonders für Wettkämpfe über zwei Partien. Man
könnte sagen, Ruslan Ponomariov hatte bei dieser Veranstaltung extrem viel
Glück, aber extrem viel Glück gegen Grischuk, Tkachiev und Bareev zu haben,
ist nichts Anderes als ein Beweis des Könnens. Alexandra Kosteniuks Sieg
wirkte überzeugender – sie brachte sogar eine brillante Neuerung in einer
kritischen Variante der Russischen Verteidigung (und verbesserte so eine
Partie zwischen niemand Geringerem als Kasparov und Kramnik), um die zweite
Partie des Wettkampfs zu gewinnen.
Die Damen sind bereit zum Kampf
Die Teampartie
Seltsamerweise waren die Höhepunkte der Show nicht im
Voraus geplant, sondern entstanden aus der ausgezeichneten Stimmung der
Teilnehmer heraus. Skripchenko und Kosteniuk forderten die Gewinner des
Männerturniers, Ponomariov und Bareev, zu einer Partie 2 gegen 2 heraus. Die
wackeren Männer nahmen die Herausforderung an und die packende Partie, in
der Bauerndurchbrüche an gegenüberliegenden Flügeln und ein spektakuläres
Figurenopfer zu bewundern war, endete mit einem Remis durch Dauerschach.
Weiß wird bald remis erzwingen
Kosteniuk und Skripchenko nach der Teampartie
Allerdings betrug die Elo-Differenz zwischen den beiden
Paaren gewaltige 439 Punkte; aber Almira Skrichenko verriet, dass sie und
Alexandra schon oft als Team gespielt hätten und dabei über sehr viel
Erfahrung verfügen. Ihre jüngsten Opfer, Joel Lautier und Laurent Fressinet,
verloren einen Wettkampf mit 3-5; so gesehen schrammten Ruslan und Evgeny an
einer ziemlichen Blamage vorbei. Bareev brachte es auf den Punkt: das
nächste Mal sind sie gewarnt!
Also, wenn Sie die Show sehen wollen, schreiben Sie
ihrem Abgeordneten oder warten Sie, bis NTV eine DVD herausbringt. Bis dahin
hoffe ich, Ihnen gefällt eine kleine Auswahl an Fotos, die im Jazz Town
Casino-Club und im Moskauer Stadtzentrum aufgenommen wurden.
Fotos:
Vor der "Jazz Town"
Das "Jazz Town"
Dekoration im Club
Kosteniuk beim Schminken
Zhu Chen, Igor Bolotinsky, und Alexandra Kosteniuk vor dem Semifinale
Skripchenko gratuliert Kostiuk zum Sieg
Das Finale der Frauen: Skripchenko und Kosteniuk mit Schiedsrichter Igor
Bolotinsky
Almira Skripchenko: "Wir fühlen uns hier wie Schauspielerinnen!"
Die Sieger im Frauenturnier mit Valery V. Tsaturian
Die entscheidende Partie auf dem Bildschirm
Die Schlacht ist geschlagen
Ruslan Ponomariov mit Pokal
Die Pokalsieger: neidisch auf den Pokal des anderes´n
Die Sieger im Golden Blitz
Mark Dvoretsky und Alexander Motylev: Schach auch beim Essen
Der erste Tag: Halbfinale zwischen Irina Krush und Almira Skripchenko
Beim Abendessen. Irina Krush und Nigel Short.
Yannick Pelletier und Zhu Chen (und Shorts hand)
Yannick Pelletier
Gruppenbild mit Katze
Nachst an der Moskwa
Konstantin Kosteniuk und Igor Bolotinsky testen die Übertragungstechnik
Joel Lautier und Kirill Kiknadze, Leiter von NTV Plus Sport
Bareev gegen Short am ersten Tag
Motylev, Bolotinsky, Tkachiev
Tkachiev kommentiert seine Partie
Alexander Motylev
Alexander Grischuk kommt im Kasino an
Die Favoriten
Konstantin Kosteniuk organisierte die Übertragung der Partien