ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Doch wie überzeugt man Schulen, neue Wege zu gehen und auf eine
Unterrichtsstunde in einem traditionell für wichtig erachteten Fach zu
verzichten, zugunsten eines Stoffes, der nicht einmal im Lehrplan steht? Wie
überzeugt man in Zeiten vielbeklagten Unterrichtsausfalls Eltern davon, dass
eine Stunde Mathematik weniger mehr ist? Und überhaupt: Warum sollten sich
Schulen gerade auf Schach einlassen und nicht etwa auf Musik? Gilt nicht auch
die Musik als sehr förderlich für die Kindesentwicklung?
Keine Frage: Es bestehen genügend konträre Interessen und Konkurrenzen, genügend
Potential für Bedenken und Bequemlichkeiten, die den berühmten Strich durch die
Rechnung machen können. Unter den gegebenen Umständen, in denen sich die Grund-
und Gemeinschaftsschule (GuGS) Pinneberg seinerzeit befand, galt dies umso mehr.
Denn sie stand eher noch am Anfang denn am Ende eines außerordentlichen
Veränderungsprozesses. Sie war eben erst, zu Beginn des Schuljahres 2008/2009,
als Folge der schleswig-holsteinischen Schulreform, die insbesondere das
dreigliedrige Schulsystem zum Auslaufmodell erklärte, entstanden. Sie ging
hervor aus der Fusion zweier benachbarter, nun abgeschaffter Schulen
unterschiedlichen Typs: einer Grund- und Hauptschule und einer Realschule. Nun
hieß es, den öffentlich gewollten Reformprozess praktisch um- und fortzusetzen.
Dies verlangte nicht weniger, als die infolge der schulartabhängigen
Sozialisationen unterschiedlichen Gepflogenheiten und Verfahrensweisen,
Handlungsmuster und Positionen der Kollegien unter einen Hut zu bringen, sie auf
die neuen Anforderungen einer Gemeinschaftsschule einzustimmen und den vielen
Auflagen des Schulgesetzes nachzukommen. Es hieß nicht weniger, als – neben den
eigentlichen Aufgaben des Unterrichtens – die Strukturen und die Organisation
umzugestalten, Konzepte zu erneuern oder zu ergänzen und Profile für den
Sekundarbereich zu entwickeln. Zudem gab es den Willen, die Chancen, die die
Schulreform eröffnete, zu nutzen, Schule neu zu denken und zu modernisieren.
Gebrochen wurde mit Traditionen, Noten wurden abgeschafft bzw. auf das vom
Gesetz vorgeschriebene Maß beschränkt, die Unterrichtsstunden wurden von 45 auf
40 Minuten verkürzt. Dies alles war nicht bloß mit einem Federstrich zu
bewerkstelligen, sondern verlangte umfassende Planungen und intensive
Überzeugungsarbeit in alle Richtungen. Kurzum: Der Veränderungen und der Arbeit
gab es reichlich in diesen Tagen für Schulleitung und Kollegium, und das
Ansinnen, sich in dieser Situation nicht noch mehr Innovation und (mithin) mehr
Arbeit aufzubürden – wer hätte es kritisieren wollen?
„Wir machen das!“
Vor diesem Hintergrund schien eine Strategie erforderlich, mit der erfolgreich
für die Einführung von Schach als Fach geworben werden sollte. Doch bevor diese
ausbaldowert war und zum Einsatz gelangen konnte, nahm die Entwicklung, von der
Dynamik des Veränderungsprozesses erfasst, ihren Lauf. Nicht die angedachte groß
angelegte Überzeugungskampagne stellte Weichen, sondern eine ausgeprägte
Modernisierungs- und Innovationsbereitschaft der Schule, ein Telefonat und eine
lose Kopiensammlung.
Eva von Tiesenhausen, Klassenlehrerin der
1b, reagierte interessiert und resolut („Wir machen das!“) und fungierte fortan
als Multiplikatorin und Motor der Idee, Schach in ihrer Klasse probeweise zu
unterrichten. Die Schulleitung gab dafür ohne Zögern grünes Licht. Auch
Mathematiklehrerin Heike Pries, in deren Stunden der Schachunterricht erteilt
werden sollte, stimme dem Vorhaben zu. Schließlich wurde auch auf einem
Elternabend für den Modellversuch geworben. Umfassend wurden die Mütter und
Väter der auserwählten Klasse über Schach und seinen Wert für die
Kindesentwicklung, die Trierer Schulschachstudie, die jüngsten Entwicklungen im
deutschen Schulschach sowie über die Chancen und Modalitäten der Erprobung
informiert. Einvernehmlich und ohne Einschränkungen gaben die Eltern ihre
Zustimmung.
Und so ging es noch kurz vor den Sommerferien 2009 mit einem auf Paketpapier
gemalten überdimensionalen Schachbrett los. Die 12 Jungen und 7 Mädchen der 1b
lernten Reihen, Linien, Felder und ganz neue Farbgesetze kennen: Weiß ist gar
nicht immer weiß, Schwarz nicht immer schwarz. Die Kinder waren begeistert und
freuten sich auf die folgenden Stunden, die sie oft mit Tischgetrommel und
Stadion tauglichen Rufen „Schach, Schach, Schach ...“ eröffneten.
Der Anfang war geschafft: In dem Modellprojekt Schach statt Mathe wurde Schach
als Fach erprobt. Den Unterricht erteilten der Autor, der parallele eine
Trainerausbildung absolvierte, und die Mathematiklehrerin, die sich rasch mehr
und mehr in die Thematik reinfuchste. Gelehrt wird nach der Stappenmethode.
Das Ziel, bis zum Halbjahresende sämtliche Zug- und Schlagregeln aller Figuren und der Bauern, Angreifen und Verteidigen sowie Schach und ansatzweise auch das Matt zu vermitteln, wurde beinahe erreicht. Die Rochade wurde vorgezogen, um für den ersten Praxis-Test gewappnet zu sein: die Teilnahme am legendären Hamburger Schulschachturnier Linkes gegen Rechtes Alsterufer. Mit zwei Teams trat die Schachklasse im Hamburger CCH an und erzielte in den jeweils zwei Begegnungen drei Mannschaftssiege und ein Unentschieden. Besser und motivierender kann eine Premiere kaum verlaufen.
Kindern wird eine Stunde Mathematik gestrichen und dafür sollen sie eine Stunde
lang spielen? Für diese Nachricht interessierte sich auch die Regionalpresse.
Das Pinneberger Tageblatt und das Hamburger Abendblatt kamen im Herbst in die
Schule, um sich vor Ort zu informieren, gut ein Jahr später sollte die Welle
Nord des Norddeutschen Rundfunks folgen, die einen Beitrag im Radio sendete. Das
Hamburger Abendblatt berichtete in einem großem Aufmacher des Regionalteils sehr
ausführlich über das Projekt und den Nutzen schulischen Schachunterrichts. In
einem Kommentar wurde der Modellversuch als „genial“ begrüßt und zur Nachahmung
empfohlen.
Das Geschehen an der GuGS sprach sich schnell herum und ließ das Interesse an
Schach steigen. Andere Schulen der Umgebung beeilten sich bei der Einrichtung
eigener Schachangebote. Schulintern ging Anfang 2010 eine weitere Klasse,
nämlich die 3b von Heike Pries, an die Bretter, und zwar im vierzehntägigen
Rhythmus in Abwechslung zum Schwimmunterricht.
Aufgrund der sehr breiten Unterstützung, den ersten guten Erfahrungen – die
Lehrerinnen der Schachklasse diagnostizierten bald positive Auswirkungen auf die
Kinder – und aufgrund der Nachfrage beschloss die Grundschulkonferenz im
Frühsommer 2010, den Schachunterricht ab dem folgenden Schuljahr (2010/2011)
aufwachsend in allen zweiten, dritten und vierten Klassen durchzuführen. Sechs
Lehrerinnen nahmen an einer internen Fortbildung teil, um die Grundzüge des
Schachs zu erlernen bzw. vorhandenes Wissen aufzufrischen und zu vertiefen.
Schachunterricht ist das eine, Schachpraxis
das andere. Es ist wichtig, den Kindern nicht nur Schachunterricht zu erteilen,
sondern sie – auch im Rahmen von Wettkämpfen – Schach spielen zu lassen. Nur so
erhalten sie die Möglichkeit, das Gelernte in der Praxis anzuwenden. Sie lernen
mit Erfolg und Misserfolg umzugehen, den fairen Umgang mit Gegnern und das
eigene Handeln und die eigenen Entscheidungen kritisch zu reflektieren. Deshalb
ist es der Grund- und Gemeinschaftsschule ein großes Anliegen, den Schülerinnen
und Schülern immer wieder die Gelegenheit zu verschaffen, an Wettkämpfen
teilzunehmen. Neben Hinweisen auf Einzelturniere geschieht dies durch die
Teilnahme an Mannschaftsturnieren und die Ausrichtung eigener
Wettkampfveranstaltungen.
„Halten die das überhaupt durch?“
Im Juni 2010 lud die GuGS daher Schülerinnen und Schüler bis 12 Jahre aus
Pinneberg und Umgebung zu ihrem ersten offenen Schulschachturnier ein. Eine
wichtige Frage, die entschieden werden musste, war die, ob mit oder ohne Uhr
gespielt werden sollte. Rückfragen bei erfahrenen Funktionären des Hamburger
Jugendschachs erbrachten keine einheitlichen Einschätzungen. Schließlich fiel
die Entscheidung pro Uhr. Fast dreißig Kinder spielten 7 Runden nach Schweizer
System bei 20minütiger Bedenkzeit. Nennenswerte Schwierigkeiten im Umgang mit
der Uhr traten nicht auf.
„Halten die das überhaupt durch?“ Bedenken mancher Eltern und Lehrkräfte im
Vorwege, die Turnierdauer könne zu lang sein, erwiesen sich als unbegründet. So
manche Erwachsene staunten über das Durchhaltevermögen der Kids, manch
Elternteil über die selten erlebte Ruhe und Konzentriertheit ihres Sprösslings.
Alle Kinder freuten sich im Anschluss auf eine Urkunde und einen Sachpreis.
Schulleiter Thomas Gerdes, zu jener Zeit erst anderthalb Jahre in diesem Amt und
daher noch immer im Besitz einer besonders langen To-do-Liste, hatte es sich
nicht nehmen lassen, die Urkunden ebenso wie die Ausschreibungen selbst grafisch
zu gestalten.
Es folgten Starts beim Springer-Pokal der Wichernschule 2011 und bei der
schleswig-holsteinischen Schulschachmeisterschaft in Bad Segeberg im selben
Jahr. Hier startete die GuGS mit 5 Mannschaften – so viele wie keine andere
Schule – in der Wettkampfklasse V. GuGS III fehlte für die Qualifizierung zur
Deutschen Schulschachmeisterschaft am Ende ein Mannschaftspunkt. Beim
diesjährigen Alsteruferturnier gingen sogar 10 Mannschaften der GuGS an den
Start – eine Anzahl, die vielleicht schon zu anspruchsvoll ist, denn es ist
schwierig aber wichtig, jedem Kind die nötige Aufmerksamkeit zuteil werden zu
lassen, insbesondere nach einer Niederlage, von denen es dieses Jahr reichlich
gab. Aber nicht nur die Schülerinnen und Schüler müssen ihre Erfahrungen machen.
Im April 2011 fand das zweite Schulschachturnier der GuGS statt. Diesmal nahmen mit 47 Kindern gut die Hälfte mehr als im Vorjahr teil. Die Sparkasse Südholstein unterstützte die Veranstaltung finanziell, die Chessbase GmbH stellte diverse Sachpreise zur Verfügung, darunter mehrere begehrte Fritz & Fertig-DVDs. Das schachliche Niveau war gegenüber dem Vorjahr bereits gestiegen: Es wurde mehr überlegt, an dem einen oder anderen Brett kämpften sich sogar beide Kontrahenten bis in die Blitzphase.
Dieser Tage gehen nun zwei weitere Klassen – der neue zweite Jahrgang – an die
Bretter. Damit erhalten rund 100 Kinder wöchentlich eine Stunde
Schachunterricht. Schulschach ist im Begriff, an der Grund- und
Gemeinschaftsschule heimisch zu werden. Nun gilt es, das Erreichte zu festigen,
auszuwerten und fortzuentwickeln, die Bandbreite der Methoden zu erweitern und
zu optimieren, das Angebot an Schachveranstaltungen zu bereichern und eine
Verbesserung der Ausstattung zu besorgen. Neben Uhren und weiterem Spiel- und
Lehrmaterial wird vor allem eine technische Ausstattung benötigt, die den
Einsatz moderner Lern- und Trainingssoftware in größerem Rahmen ermöglicht bzw.
erleichtert.
Für die Weiterentwicklung werden auch die Ergebnisse der Studie Schachzug des
Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der TU Dortmund von Bedeutung
sein. Die Grund- und Gemeinschaftsschule ist eine der Schulen, an der die
Untersuchung, die nach den Auswirkungen des regelmäßigen Schachunterrichts auf
die kognitiven und sozialen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler fragt,
durchgeführt wird. Über die zentralen Fragestellungen hinaus evaluiert das IFS
auch die Durchführung des Pinneberger Schachunterrichts selbst.
Die Grund- und Gemeinschaftsschule ist zum Fortschritt bereit und in der Lage,
was sie übrigens nicht erst im Falle Schach gezeigt hat. Dass die Einführung von
Schach an Schulen noch immer keineswegs selbstverständlich ist, zeigt der Fall
des Schachfreunds von Union Eimsbüttel. Wie dieser ausgegangen ist, ist nicht
überliefert. Bleibt vor allem für die Kinder zu hoffen, dass er sein
Schachtraining fortsetzen konnte. Denn Schach liefert einen wertvollen Beitrag
für die Kompetenzentwicklung von Kindern.
„Man soll Denken lehren, nicht Gedachtes“ lautet ein bekanntes, dem
Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt zugeschriebenes Zitat, das den Schulflyer der
Gugs ziert. Diesem Gebot dient – nach dem derzeitigen, verdichteten Wissen –
Schachunterricht in vorzüglicher Weise. Schulschach ist daher vor allem als
Beitrag zur Erfüllung des schulischen Auftrags zu betrachten. Sein Boom in
Deutschland wird daher und nicht zuletzt auch aufgrund der Vorbilder u. a. aus
Trier, Raesfeld, Hamburg und nun auch Pinneberg noch einige Zeit anhalten.
Homepage der Schule:
http://www.gugs-pinneberg.de
Und das sagen die Schüler:
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