Schach mit Elefanten und Kanonen

von Martin Schaffeld
20.02.2017 – Schon oft haben „Experten“ dem klassischen Schach voreilig den Tod durch die Computer-Engines vorausgesagt. Auch deshalb erlebten frische Spielarten wie das Fischer-Schach Chess960 eine Blüte. Daneben gibt es noch eine weitere interessante Abwandlung des Spiels der Könige: das Chinesische Schach Xiangqi (象棋 = Elefantenschach). Ob sich die Computer an dieser Variation mit weiteren Figurenarten wie Kanone und Elefant die Zähne ausbeißen?

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Seinen Ursprung hat das Chinesische Schach der verbreiteten Meinung nach in Indien. Von dort gelangte das Spiel, das die Mehrheit der Asiaten für die Mutter aller Schacharten hält, auf Handelswegen nach China – und später auch nach Europa. Xiangqi ist in China – insbesondere im bevölkerungsreichsten südlichen Teil – populärer als „unser" Schach in Russland. China-Schach spielen etwas ein halbe Milliarde Menschen. Es hat viele Gemeinsamkeiten mit der europäischen Version, wenngleich es eigene Merkmale aufweist. Auch beim Xiangqi geht es darum, den Gegner mattzusetzen. Das Spiel verfügt dabei jedoch über keinen König, sondern über einen „General“, den es zu stürzen gilt.

Als einer der stärksten deutschen Xiangqi-Spieler gilt nach wie vor GM Robert Hübner. Die deutsche Schach-Legende nahm 1993 an der Xiangqi-WM in Peking teil und lenkte mit seinem 36. Rang unter 76 Teilnehmern die Aufmerksamkeit der chinesischen Medien auf sich. Mehr als WM-Platz 34 gelang noch keinem Deutschen. Nationaler Rekordmeister ist Michael Nägler aus Lingen. Nägler gewann den DM-Titel sechsmal zwischen 1996 und 2007 und gibt die Taktik vor: „Attackieren, unbedingt attackieren!“

„Genauso gnadenlos wie bei unserem Schach“

Bereits 1988 veranstaltete China sein erstes internationales Xiangqi-Open. Die deutschen Teilnehmer Ralf Lau, Eric Lobron und Jörg Hickl wurden damals durch die chinesische Damen-Nationalmannschaft betreut und trainiert. Eine stets lächelnde junge Dame namens Xie Jun, damals nur bekannt als eine der besten China-Schachspielerinnen, traf das Los, Hickl dieses Spiel beizubringen. Trotzdem holte sich dieser anschließend im Open-Turnier die ganzen Schmerzen ab.

„Es läuft dort genauso gnadenlos wie bei unserem Schach – nach dem Motto: Am Ende kriegen wir den unerfahrenen Gegner doch“, erklärte Großmeister Jörg Hickl in seinem Schachwelt-Blog. „Mit dem Verlassen des Landes endete mein Kontakt zu diesem Spiel.“ Drei Jahre später wurde seine „Trainerin“ Xie Jun überraschend Damen-Weltmeisterin und trug wesentlich zum Beginn des chinesischen Schach-Booms bei.

Eigene Identität

Die Spielsteine in China haben eine fixe Rangordnung. Hat ein Spieler seine Soldaten (Bauern) auf der gegnerischen Seite positioniert, kann er diese nicht in andere Steine umwandeln, wie es im europäischen Schach der Fall ist: Ein Soldat bleibt bis zuletzt ein Soldat. Weitere Merkmale sind in der Wertigkeit der verschiedenen Spielsteine zu sehen. Niedrigere Steine müssen den höherwertigen Steinen dienen – als Analogie zur chinesischen Gesellschaft.
Das Spielbrett setzt sich beim Xiangqi aus Linien zusammen, die in zwei Hälften unterteil sind und jeweils neunmal fünf Schnittpunkte haben. Chinesisches Schach weist damit nicht das vom westlichen Schach bekannte Karo-Muster auf: Die Figuren ziehen auf den Schnittpunkten der Linien. Dadurch verliert das Spiel beinahe komplett die in unserem Schach so wichtige Dimension der Diagonalen.

Regeln & Grundlagen

Das Spielfeld hat zehn waagerechte und neun senkrechte Linien. Insgesamt gibt es 90 unterschiedliche Positionen, auf denen die Spielsteine gesetzt werden können. Die beiden Spielhälften werden durch einen breiten „Fluss“ geteilt, der die beiden Herrschaftsgebiete der zwei Regenten horizontal teilt. Der „Fluss“ kann nur von den offensiven Spielsteinen (Soldat, Pferd, Wagen und Kanonen) überschritten werden. Zu den defensiven Spielsteinen zählen der Minister, die zwei Elefanten und die beiden Leibwächter. Sie dürfen den „Fluss“ nicht überqueren und sollen primär den General beschützen.

„Schach ist Manndeckung, Xiangqi ist Raumdeckung“, so lautet ein plakativer Vergleich in Internetforen zum Thema. Fest steht: Die roten Steine eröffnen die Partie. Die Spieler können auf insgesamt sieben Arten von Figuren zurückgreifen:

Figuren im Überblick

- Der General/Feldherr ist die zentrale Figur im Spiel. Er hat nur einen begrenzten Bewegungsbereich und darf unter keinen Umständen seinen Palast verlassen. Der Feldherr und der gegnerische General dürfen sich niemals „in die Augen schauen“, das heißt, es muss immer ein anderer Spielstein zwischen den Hauptsteinen liegen.

- Die Leibwächter (oder Beamte) haben kein Äquivalent. Sie dürfen den „Fluss“ nicht überqueren oder den Palast verlassen. Er kann nur schrittweise diagonal ziehen. Anders als der General/Feldherr kann er nicht alle Räume des Palastes betreten.

- Eine weitere Defensivfigur ist der Minister bzw. der Elefant. Er ist in etwa mit dem europäischen Läufer zu vergleichen. Diese Spielsteine dürfen den Palast betreten.

- Im chinesischen Schach kennt man ebenfalls die „Springer“. Das Pferd läuft entweder einen Schritt vertikal oder horizontal, anschließend einen diagonalen Schritt.

- Das Pendant zum europäischen Turm ist im chinesischen Schach der Wagen. Man kann mit dem Wagen beliebig weit waagerecht oder senkrecht ziehen.

- Eine interessante chinesische Erfindung ist die Kanone. Sie hat ein ähnliches Bewegungsmuster wie der Wagen: Mit der Kanone kann man über andere Spielsteine springen bzw. den gegnerischen Spielstein abschießen.

- Die Soldaten sind mit dem europäischen Spielstein des Bauern vergleichbar.

Computer im China-Schach

Auch Computer-Engines versuchen sich schon lange in dieser etwas abseitigen Disziplin. Bereits seit 1989 findet jährlich die Computerspiel-Olympiade statt, wobei sich Engines nicht nur im klassischen Schach miteinander messen, sondern in bis zu 20 verschiedenen Denkspielen: neben Xiangqi auch Backgammon, Bridge, verschiedene Dame-Varianten und japanisches Schach und das komplexe Go. Das China-Computerschach dominierten zuletzt Engines aus Taiwan (Shiga, Chimo) und den Niederlanden (HaQiKi D).

Beim Go (361 Felder!) ist im März 2016 der stärkste Spieler Lee Sedol von einem Google-Computer klar besiegt worden, obwohl Experten dies erst für viel später prognostiziert hatten. Eine solche Computer-Dominanz ist beim China-Schach hingegen noch nicht bekannt. Vielleicht beißen sich die Engines hieran ja tatsächlich die Zähne aus.
Spielen, spielen, spielen – aber wie und wo?

Den Menschen bleibt der Trost, dass Strategie (und Fantasie?) ihre größten Stärken sind und bleiben. Lange Rede, kurzer Sinn – wie in jedem Spiel gilt, um es richtig zu erlernen: spielen, spielen und nochmals spielen!
„In einem deutschen Spielwarengeschäft ist es fast unmöglich, ein Set zu erhalten“, betont Jörg Hickl. „Und noch schwieriger fällt es, dafür einen Spielpartner zu finden.“

Die Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft Düsseldorf e.V. bietet aber für Interessierte eine China-Schach-AG an. Wer diese regionale Möglichkeit nicht hat und und diese Spielart online einmal ausprobieren möchte, kann dies hier tun: http://www.springfrog.com/games/chess/chinese/


 

 


Martin Schaffeld (Jahrgang 1971, verheiratet/zwei Töchter) lebt in Langenfeld bei Düsseldorf und arbeitet seit seinem Sportpublizistik-Studium als freier Journalist und Online-Redakteur.

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