Philidor im Schachcafé
Von Susanna Poldauf
Fotos: Harry Schaack
Als mich Georg Schweiger, der Gründer der Schach- und Kulturstiftung G. H. S.
vor einigen Monaten fragte, ob ich im Rahmenprogramm der Ausstellung „Von der
Krone zum Bürger“ – Schach in der höfischen und bürgerlichen Kultur von 1750 -
1850“ einen Vortrag über den französischen Schachspieler Philidor halten könnte,
schlug ich ihm vor, diesmal eine andere Präsentationsform auszuprobieren.
Ich fragte den Münchener Schachgroßmeister Stefan Kindermann, ob er sich
vorstellen könnte, den Philidor zu geben. Ich wusste, dass er ein großer
Philidor-Verehrer ist. Zu meiner Freude zögerte er keine Minute, auch nicht, als
er hörte, dass er für die perfekte Illusion ein barockes Kostüm und eine Perücke
anlegen müsste.
Am vergangenen Sonntag konnten die Besucher unserer Seance in der Grafinger
Stadthalle erleben, mit welcher Spielfreude und schauspielerischem Talent Stefan
in die Rolle des genialen Franzosen schlüpfte. So wie Philidor in den
Schachcafés des 18. Jahrhunderts, spielte Stefan gegen drei Gegner blind
simultan.
Susanna Poldauf legt „Philidor“ alias Stefan Kindermann die Augenbinde an.
Die drei Herausforderer waren im Publikum schnell gefunden. Allesamt
Vereinsspieler, wie sich herausstellte.
Am
1. Brett: Karl Heinz Neubauer, SK Zornedingen
2. Brett: Thomas Hümmler, Schachunion Ebersberg-Grafing
3. Brett: Ingo Schwab, Schachunion Ebersberg-Grafing
„Philidor“ und seine Gegner
Georg Schweiger, Veranstalter und Vorsitzender der Schachunion Ebersberg-Grafing,
übernahm die Rolle des Philidorschen Sekundanten, übermittelte die Züge und
überwachte den Spielablauf.
Georg Schweiger und „Philidor“
„Philidor“ alias Stefan Kindermann
FIDE-Meisterin Dijana Dengler übertrug, unterstützt von GM Gerald Hertneck
(beide Münchener Schachakademie), den Spielverlauf auf die 3 Demobretter und
hatte viel Spaß dabei, die Partien zu kommentieren.
FIDE-Meisterin Dijana Dengler
Während der Partien verkürzte ich dem Publikum die Zeit mit Anekdoten aus
Philidors Leben und mit Einspielungen aus seinen Opernwerken. „Philidor“ störte
das nicht. Er schien mit den Partien nicht ausgelastet, machte, wie sein
historisches Vorbild, Späßchen und wippte zu „seiner“ Musik mit dem Fuß. Fasst
wie nebenbei beendete er die 1. Partie an Brett 1 mit einem furiosen Matt! nach
nur 18 Zügen.
Blick in das „Grafinger Schachcafé“
„Philidor“ / Kindermann beim simultanen Schachspielen und Musikhören
Auch der zweite Spieler konnte dem Meister nicht mehr lange Stand halten und gab
auf.
Thomas Hümmler an Brett 2 ließ sich noch eine Weile „tranchieren“, wie er es
später selber nannte, und musste sich nach 22 Zügen ebenfalls geschlagen geben.
Applaus für den gut gelaunten Meister, …
… der sich, seiner Augenbinde entledigt, erst kurz an das Scheinwerferlicht und
die Blitzlichter der Fotographen gewöhnen musste.
Auch die abschließende Partieanalyse bestritt Kindermann kostümiert und ohne
eine Spur von Erschöpfung. Es schien ein Kinderspiel für ihn gewesen zu sein und
es war ein Vergnügen für mich…
Hier die Partie von Brett 2:
Philidor / Kindermann (blind) – Thomas Hümmler
1. e4 c6
2. d4 d5
3. e5 Lf5
4. Sd2 e6
5. Sb3 Lb4+
6. c3 Le7
7. Sf3 Sh6
8. L x h6 g xh6
9. Ld3 Lg6
10. 0-0 Sd7
11. Se1 Db6
12. f4 Tg8
13. Kh1 h5
14. f5 e x f5
15. L x f5 0-0-0
16. Sd3 Kb8
17. L x g6 f x g6
18. Tf7 Tde8
19. e6 Sf6
20. Sbc5 L x c5
21. S xc5 Tgf8
22. T x f6
Schwarz gibt auf
Zum Nachspielen:
Fotos: Harry Schaack/Schachmagazin KARL
http://www.karlonline.org/home.htm
Link zur Schach- und Kulturstiftung G. H. S. und zur Ausstellung (noch bis
Februar 2012) http://ghs-schachundkulturstiftung.de/
Link zur Münchener Schachakademie
http://www.mucschach.de/
Susanna Poldauf (Foto: Hanna Lippmann)
Link zur website von Susanna Poldauf
http://www.susannapoldauf.de/
Buch von Susanna Poldauf: „Philidor – Eine einzigartige Verbindung von Schach
und Musik“ (Berlin 2001/2009)
über den Buchhandel ISBN: 978-3-935800-02-0, EUR
18,-
oder den Exzelsior Verlag
http://www.zeitschriftschach.de/buecher/philidor.htm