Anand gegen Kramnik: Kleine
Zwischenbilanz
Von André Schulz
Bilder: Wolfgang Rzychon, André Schulz
Eigentlich war folgendes Szenario erwartet
worden: Anand bestürmt mit Weiß nach 1.e4 Kramniks Festungen Russisch oder
"Berliner Mauer" und muss sich mit Schwarz Kramniks Katalanischem Bulldozer
erwehren oder sich über das Minenfeld der Anti-Moskauer Variante bewegen. Nichts
davon trat bisher ein. Die erste Partie des Wettkampfes sollte man dabei
vielleicht nicht zu sehr gewichten. Kramnik wählte gegen Anands Slawische
Verteidigung die Abtauschvariante, für die erste Matchpartie also einen
risikolosen ersten Aufschlag, der sicher im Feld landete, dem Titelverteidiger
aber auch keine großen Probleme bereitete.
In der zweiten Partie landete der Weltmeister mit 1.d4 einen Überraschungscoup.
Mit einigen wenigen Ausnahmen war bisher der Zug des Königsbauern Anands erste
Wahl für ernsthafte lange Partien. Nur gelegentlich experimentierte der Inder
mit 1.d4, meistens, wenn er er davon ausgehen konnte, dass sein Gegner die
Damenindische Verteidigung wählen würde. Ab was hat Anand gegen Königsindisch
oder Grünfeld vorbereitet? Was würde er gegen Benoni spielen. Wird Kramnik das
im Laufe des Wettkampfes noch in Erfahrung bringen wollen?
"Natürlich hatte ich die gespielte Variante heute Morgen nicht auf dem Brett",
meinte Kramnik nach der zweiten Partie. "Aber wirklich überrascht war ich nicht.

Es ist ja schließlich nicht das erste Mal,
dass jemand 1.d4 gegen mich spielt," und damit spielte der frühere Weltmeister
auch auf seinen Titel-Wettkampf gegen Peter Leko an, wo der ungarische
e4-Spieler ebenfalls zur Überraschungswaffe d-Bauer gegriffen hatte.
In der dritten Partie kam es zum ersten wirklichen theoretischen Duell der
beiden Weltmeisteraspiranten, das auf dem Gebiet der Meraner Variante geführt
wurde. Anand überraschte Kramnik in einer der Hauptvarianten mit einem
Bauernopfer in ohnehin scharfer Position. Varianten, die der Inder schon auf
seinem Analysebrett und mit Computerhilfe begutachtet hatte, musste Kramnik sich
nun am Brett erarbeiten. Das kostet vor allem viel Zeit und bald hatte Anand in
dieser Partie einen Zeitvorteil von fast 1 Stunde.
Doch mit seiner Idee 18.Lf4 fand Kramnik eine kreative Antwort und brachte nun
seinerseits Anand zum Nachdenken. "War 18.Lf4 der erste Zug, der nicht
vorbereitet war?", wollte Ian Rogers auf der Pressekonferenz von Anand wissen.
Der lachte: "Wenn du mich zu einem Bier einlädst, werd ich es dir erzählen. Aber
erst nach dem Wettkampf!"

Natürlich lässt sich Anand im WM-Kampf nicht
in die Karten gucken. Aber auch nach dem Match wird Ian nichts erfahren: Anand
ist Antialkoholiker."
"Ich habe mich gar nicht so schlecht
gefühlt", meine Kramnik. "Genau genommen, mochte ich meine Position und habe auf
Vorteil gespielt." Bei diesen Worten war Anands Gesicht allerdings für einen
kleinen Moment mit Skepsis durchzogen, als er seinem Wettkampfgegner lauschte.

"Die Position war natürlich außerordentlich
kompliziert und lud zu Fehlern ein. Mein Zug 32.f3 war sicher einer", schloss
Kramnik seine Kurzeinschätzung ab.
Ein Schwarzsieg in einem Wettkampf zweier gleich starker Gegner, ist doch ein
ziemlicher Vorteil. Besonders in einem kurzen Wettkampf wie diesem. In der
vierten Partie wählte Kramnik gegen Anands neuerlichem Eröffnungszug 1.d4 nun
das Orthodoxe Damengambit.






Anand spielte die Variante mit 5.Lf4 und
Kramnik wich mit 5.Sbd7 etwaiger Vorbereitung zur Sicherheit aus. In der Folge
verwaltete der lange Mann aus Tuapse zwar einen Isolani, dies aber recht
mühelos. Kurz vor Ende der Partie hätte der Russe auch noch etwas Druck machen
können. Doch gemäß der goldenen Wettkampfregel, wonach man nach einer Niederlage
stets ein Remis anzustreben hat, um wieder in den Wettkampf zu kommen, forcierte
Kramnik erwartungsgemäß die Punkteteilung.
Nein, der kleine Rückstand sei nicht entscheidend, erläuterte Kramnik auf der
Pressekonferenz. Ärgerlich, natürlich, aber er kenne das Gefühl, wenn man in
einem WM-Kampf hinten liege, womit der Herausforderer erneut auf sein Match 2004
gegen Leko anspielte, als er erst in der letzten Partie den notwendigen
Ausgleich erziele.
"Im modernen durch Computeranalysen geprägten Spitzenschach werde es für Weiß
immer schwerer, Vorteil nachzuweisen, während Schwarz in vielen Eröffnungen
leichter zum Ausgleich käme, analysierte Kramnik weiter etwas allgemeiner.
"Allerdings", beeilte er sich hinzuzufügen, "werde ich am Montag zu zeigen
versuchen, dass es doch möglich ist."
Die Pressekonferenzen, im Kommentatorenraum abgehalten, ist übrigens genauso
durchformalisiert, wie der ganze Wettkampf. UEP-Präsident Josef Resch begrüßt am
Anfang des Wettkampftages, kurz vor 15 Uhr, die Zuschauer und ruft dann die
Spieler auf. Der Weißspieler erscheint von links und sitzt während der Partie
auch auf der von Zuschauerraum aus gesehen linken Seite des Tisches, der
Schwarzspieler rechts.




Über den Köpfen der Spieler ist die dekorative Brettgrafik der DGT-Übertragungs-
und Präsentationssoftware zu sehen. Die Zuschauer, von der Bühne durch eine nur
zum Teil lichtdurchlässige Gaze getrennt, verhalten sich sehr diszipliniert. Am
Eingang werden die Mobiltelefone ausgeschaltet und anders als z.B. noch an
gleicher Stelle vor zwei Jahren beim Wettkampf Kramnik gegen Deep Fritz gibt es
keine Kopfhörer, mit deren Hilfe man die Kommentatoren hören kann. Wer
Kommentare hören will, geht in den Kommentatorraum, wo im Wechsel Helmut
Pfleger, Artur Jussupov und Klaus Bischoff zusammen mit den Zuschauern die
Partie analysieren.
Die Kommentare, die Partie und Interviews
werden mit dem neuen Foidos-System in Videostreams ins Internet übertragen, so
dass man sogar zu Hause sehr viel von der Atmosphäre vor Ort mitbekommen kann.

Bei der Pressekonferenz sitzt Kramnik stets rechts von Moderator Klaus Bischoff,
Anand links. Vor den Spielern erscheinen aber erst noch die vier Hostessen, die
in Bonn stets die beiden Hauptsponsoren Gazprom und Evonik ins Bild setzten -
das war ein wirklich hübscher Einfall der Organisation.

FIDE-Ehrenpräsident Campomanes

Anand und sein Schatten

Kramnik gibt noch ein Autogramm

Zuerst sind immer die Hostessen da

DSB-Präsident Robert von Weizsäcker im Gespräch mit Artur
Jussupov

Die Presse

Noch mehr Presse...
Die Pressekonferenz wird in englisch
gehalten, woran sich besonders die Russen vor Ort am ersten Tag noch gewöhnen
mussten. Als erstes fragt Klaus Bischoff den Weißspieler nach seiner
Einschätzung. Anand redet bei seiner Einschätzung nur über Schach, zählt ein
paar Varianten und Züge auf und überlässt dann Kramnik das Wort.

Anand kalkuliert eine Variante
Der Herausforderer ist eher bereit, über
eigene Gefühle und Befindlichkeiten oder psychologische Begleitumstände zu
reden, wobei man den Eindruck hat, dass er manches in seiner Darstellung
abschwächen möchte.
Besonders am ersten Tag und beim Festakt im Rathaus wirkten beide Spieler sehr
angespannt. Kramnik zeigte sich zwar ostentativ gelöst und zu Scherzen
aufgelegt. aber man merkte ihm doch seine Anspannung an. Anand versuchte nicht
einmal zu schauspielern, verständlich: hier geht es um die
Schachweltmeisterschaft.

Seitenblick auf die Bühne
Die dritte Partie schlug alle Zuschauer in ihren Bann. Selbst die, die von
Schach keinerlei Ahnung hatten, ließen sich von der Spannung anstecken und waren
bis zum dramatischen Schluss gefesselt. Hier in Bonn kann man erleben, dass auch
Schach ein Actionsport ist. Zwei anscheinend unbeweglich an einem Tisch sitzende
Schachspieler lassen ihre Gedanken fliegen. Und so wie der WM-Kampf in der
Bundeskunsthalle von der UEP inszeniert ist, spüren die Zuschauer die Intensität
des Kopfduells und versuchen mit ihren eigenen Gedanken, den Spielern bei deren
Überlegungen zu folgen - wenigstens ein bisschen.