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Warum haben 2018 beim Open im spanischen Montcada mehr Inder als Spanier teilgenommen? Und warum waren unter den 2000 Teilnehmern beim Delhi-Open gerade mal ein Dutzend Europäer? Hier ein paar Informationen zum Schachboom in Indien und ein paar Gedanken zu den Elo-Zahlen und ihrer Vergleichbarkeit über Länder hinweg.
Aus deutscher Sicht hat man vielleicht eine verstellte Sicht auf die weltweite Schachentwicklung, haben wir doch neben einigen bemerkenswerten Einzelresultaten bei Jugendmeisterschaften auch einen beachtlichen Nachwuchs. Ein Blick auf unsere Nachbarländer lässt aber erkennen, dass da in den letzten Jahren noch mehr ging. Bis hin zum Schach als Unterrichtsfach. Während sich bei der Mitgliederzahl im DSB seit 1990 nicht mehr viel getan hat, gibt es Länder, in denen man geradezu von einem Schachboom sprechen kann. Als Deutscher freut man sich über einen Vincent Keymer. Wer weiß aber schon dass es in dem kleinen Land Usbekistan mit Abdusattorov und Sindarov gleich zwei so ungewöhnliche Jugendliche gibt. Bei der Jugend-WM fällt zudem auf, dass Jugendliche aus Westeuropa im Schnitt ihre Elo-Zahl verschlechtern, während Spieler aus Asien oftmals Ihre Elo-Erwartungen übertreffen.
Es ist normal dass die Spielstärke von Jugendlichen ihrer Elo-Zahl vorauseilt. Zuweilen werden Turniere ohne Elo-Auswertung als Grund für die Unterbewertung genannt. Die gewerteten Turniere junger Chinesen lassen vermuten, dass dies in China noch eine Rolle spielt. Wegen der Sprache ist es schwer, da an Informationen ranzukommen. Ansonsten wird dies wohl überschätzt, Schach-Training hat ja auch den Effekt der Spielstärkeverbesserung und gleichzeitig gibt es eine viel größere Möglichkeit als früher Turniere zu spielen. Eine lückenlose FIDE-Auswertung aller Turnier würde aber sicher zu aussagekräftigeren Elo-Zahlen führen.
In Indien wiederum ist die hohe Anzahl von Elo-Auswertungen bei Jugendlichen eher auffällig. Hier scheint die Altersstruktur infolge des schnell wachsenden Anteils von Jugendlichen ein wesentlicher Grund für die Unterbewertung zu sein. Die Jugendlichen spielen in Indien sehr oft untereinander, da kann das Niveau nicht steigen. Dazu müssen Sie den etablierten Spielern Punkte abnehmen um ihr Niveau zu steigern, was auf das ganze Land einen deflatorischen Effekt haben dürfte (trotz des höheren K-Faktors der Jugendlichen).
Indien – ein Land voller Überraschungen
Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, alle Inder seien Genies. Wer das Land bereist stimmt vielleicht dem Ausspruch eines früheren Reisenden zu „zuerst verliert man in Indien die Geduld, dann den Verstand“. Zweifellos aber hat Vishy Anand einen starken Einfluss auf den indischen Schachboom, dessen Verehrung erinnert schon fast an das Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer in der spirituellen Welt Indiens.
Vishy Anand gilt als eines der größten Schachtalente aller Zeiten. Er ist der 15. Weltmeister der Schachgeschichte und war auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn auch im Schnell- und Blitzschach kaum zu besiegen. Auf dieser DVD spricht er über seine Laufbahn und präsentiert und analysiert die besten Partien seiner Schachkarriere bis zum Gewinn des Weltmeistertitels 2007 (in englischer Sprache).
Vishy Anand gilt als eines der größten Schachtalente aller Zeiten. Er ist der 15. Weltmeister der Schachgeschichte und war auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn auch im Schnell- und Blitzschach kaum zu besiegen. Auf dieser DVD spricht er über seine Laufbahn und präsentiert und analysiert die besten Partien seiner Schachkarriere nach dem Gewinn der Schachweltmeisterschaft 2007.
Betrachtet man noch die Fähigkeiten der Inder im IT-Sektor, so sind das weitere günstige Voraussetzungen für das Schach. Bei Mannschaftsturnieren sind Ihre Erfolge bisher eher bescheiden, die Welt-Jugendranglisten zeigen aber eine starke Präsenz der Inder.
Auffällig ist die starke Förderung der indischen Jugend. So haben 2018 an der U7-Meisterschaft des Landes 214 Jungen und 148 Mädchen teilgenommen, zusammen mit etwa 600 Eltern wurden 11 Runden in 9 Tagen gespielt! Ob eine frühe starke Fixierung auf das Schach den Jugendlichen immer gut tut, scheint in Indien kein Thema zu sein. Im Gegenteil werden den Jugendlichen gegenüber oft hohe Erwartungen ausgesprochen - „du wirst das Turnier gewinnen“, so endet dann schon mal ein Interview. Es gibt aber auch Stimmen wie die von Parimarjan Negi, der 2006 mit 13 Jahren damals Indiens jüngster GM wurde und heute kaum noch Schach spielt. Er rät dem indischen Schachnachwuchs besonders in jungen Jahren auch die Welt außerhalb des Schachs zu erkunden. Die Artikel auf Chessbase India, die sich mit der Frage beschäftigten „kann Praggi Karjakin’s Altersrekord bei Erreichen des Großmeistertitels unterbieten?“, erzeugten aus Negi‘s Sicht einen enormen Erfolgsdruck auf diesen Jugendlichen.
Diese Erwartungshaltung kann man vielleicht auch als eine Ausprägung des indischen Positivismus ansehen „du brauchst keine Flügel um zu fliegen, du brauchst nur zu glauben dass du fliegen kannst“. Mit dieser Einstellung bereitete schon so mancher 12-jährige Inder einem Nigel Short am Brett nur schwer zu lösende Probleme. In einem Interview wurde eine Jugendliche mal gefragt, ob Sie die Schule zurückstellen wird um nur Schach zu spielen. Das geht scheinbar, die indischen Nachwuchshoffnungen Nihal Sarin(14), R. Praggnanandhaa(13) und D.Gukesh(12) ziehen von Turnier zu Turnier, da bleibt nur wenig Zeit für Schulbesuche.
Lakshana Subramanian ist die indische U7-Landesmeisterin 2018
Divya Deshmuk U12-Weltmeisterin von 2017 3.Platz 2018 bei der U14-WM
Der AICF (All India Chess Federation) veröffentlicht seit 2017 monatlich eine Liste der bei der FIDE registrierten Spieler. Laut dieser hat sich die Anzahl der Verbandsmitglieder vom Februar 2017 bis November 2018 von 62200 auf 81100 erhöht, davon haben 29850 eine Elo-Zahl.
Schach wird von der Mittelschicht und den Reichen gespielt. Nur ca. 1% der AICF-Mitglieder gehören zu den Armen, die vielleicht 30% der Bevölkerung ausmachen. Ein Erfolg im Schach findet in der indischen Gesellschaft Anerkennung. Es dient wohl auch zur Emanzipation gegenüber dem Westen. Bei den olympischen Spielen sind die Inder ja erstaunlich schwach vertreten. Man sucht dem entgegen zu steuern - ein indischer 100m-Olympiasieger wäre der Star in Indien. Dort wo die Inder erfolgreich sind, wie im Cricket und Schach, erfolgt deshalb auch eine großzügige staatliche Förderung vom Ministerium für Jugend und Sport.
Eine wichtige Rolle im indischen Schachboom spielt dabei das im Staatsbesitz befindliche Unternehmen Indian Railways. Erfolge im Schach garantierten dort schon in der Vergangenheit einen Arbeitsplatz. Auch heute sind viele der indischen GM und IM bei der Indian Railways angestellt. Sie bekommen ein Gehalt, können aber bei entsprechender Spielstärke weiterhin Schach spielen und haben einen gesicherten Arbeitsplatz.
Auch Turnier-Teilnahmen werden gefördert: „Wir wollten ein Team zum Open nach Gibraltar schicken. Der Organisator von Gibraltar war jedoch nicht so begeistert, dass so viele Inder zu seiner Veranstaltung kommen, und deshalb entschieden wir uns für das Aeroflot Open“ …ist auf der Verbands-Homepage zu lesen. Die 39 indische Teilnehmer in Moskau bekamen das Turnier „fully payed by government“, das schien das Highlight im diesjährigen Turnier-Sponsoring gewesen zu sein, mit dem Auslandseinsätze der indischen Schachtalente gefördert werden. In Deutschland dagegen fließen viele der Sponsorengelder in die Kämpfe von Vereinsmannschaften, Bundesliga etc.
Schach-Jugend am Brett W.Wolf (2128) – B.Harshini (1509) gleich gibt’s eins auf den Deckel ... 0-1
Auf Chessbase India wurde dafür geworben, auf privater Basis als Gruppe nach Barcelona zu reisen, dort eine gemeinsame Unterkunft zu mieten, um dann von diesem fixen Standort aus an der Turnierserie in Barcelona und Umgebung teilzunehmen. Die Gruppe nennt sich die „Chessbase India Power Group“ und ist aus den Erfahrungen eines indischen Ehepaars entstanden, das 2014 an der katalanischen Turnierserie teilnahm.
Wie schon im Vorjahr fand dies wieder regen Zuspruch, mit 20 Teilnehmer ging es nach Barcelona. In zwei Monaten wurden in der katalonischen Turnierserie fünf Turniere gespielt. Der Werbeeffekt dieser Aktion hat wohl mit dazu beigetragen, dass beim Open im spanischen Montcada unter den 91 Teilnehmern nicht die Spanier (31 Spieler) sondern die Inder (41!) die meisten Teilnehmer stellten!
Die jungen Spieler selber sehen dabei nicht nur etwas von Spanien, sondern kommen meist mit einer deutlichen Verbesserung der Elo-Zahl nach Hause. Wie man auf Chessbase India nachlesen kann, haben sich diese 20 Teilnehmer in der Summe um 4359 Punkte verbessert! Diese Steigerung dürfte weitere Jugendliche motivieren nach Europa zu kommen. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim diesjährigen starken Open in Abu Dhabi, unter den 150 Teilnehmer waren etwa 90 Inder. Aber auch die 44 Inder beim Open im tschechischen Pardubice sind beachtlich, diese Liste lässt sich wohl lange fortsetzen.
GM Rajaram Laxman (2434) war der Überraschungssieger beim Chennai-Open 2018. Er gewann knapp vor Rozum Ivan(2595) und Timur Gareyev(2605)
Zu den jährlich vier großen Open in Bhopal, Mumbai, Delhi und Chennai gab es auf Chessbase India eine ausführliche Ankündigung dieser Turnierserie. Inklusive der Sonderkonditionen für ausländische Titelträger um Schach in Indien für Ausländer attraktiver zu machen. Über das Open in Delhi wurde auch bei uns ausführlich berichtet, nicht zuletzt wegen des Preisfonds von 100 000 Euro. Gespielt wurde hier in einer Gruppe A (260 Teilnehmer), B (761) und C (1226), also insgesamt über 2000 Teilnehmer. Das Turnier wurde überzeugend von Arkadij Naiditsch gewonnen.
Meine eingangs gestellte Frage, warum dort nur zehn Europäer teilgenommen haben, dürfte auch in der Entfernung und dem aufwendigen Visum-Verfahren begründet sein. Eine Reise durch Indien entschädigt aber mit so mancher Überraschung.
Neben diesen großen Open gibt es eine Menge kleinerer Turniere, in denen man es meist mit recht jungen Spielern zu tun hat. Der Altersdurchschnitt der Bevölkerung in Indien liegt generell etwa 18 Jahre niedriger als in Deutschland! Siehe hierzu den indischen Schachkalender.
Das, was mir die Mutter meiner Gegnerin sagte, macht deutlich was einen als Europäer erwartet: „Meine Tochter hat sich so gefreut, als Sie hörte, dass Sie gegen einen Ausländer spielen darf“.