Vergessene Dörfer…
Von Alina L'Ami
Blau und weiß
Am 22. März bin ich in Tunis auf dem
Flughafen angekommen und wollte eigentlich ein Frauenschachturnier spielen. Doch
es war der Beginn eines Abenteuers…
Damit Sie die Dinge mit meinen Augen sehen
können, sage ich Ihnen, dass ich diese Zeilen gerade in meinem Hotelzimmer
schreibe, einem phantastischen/wunderbaren/unglaublichen 4-Sterne Ferienhotel.
Das Hotel, in dem ich wohne
Mein Zimmer liegt hinter dem rechten Balkon
Der wunderbare Ausblick von meinem Balkon
Eine Oase in der Oase – im Hotel
Afrika!
Innen- und ...
Außenansichten unseres Hotels, ...
... eine wunderbare Mischung und ein wunderbares
Design...
, das afrikanische, Mittelmeer- und Berbermotive
kombiniert.
Ein Strandspaziergang, immer noch auf Hotelgebiet
Tunesien, unweit von Sizilien und Sardinien
Al Haouaria, oben rechts
Am Kap Bon
Mit Kamel, dem Hauptsponsor
des Festivals und zwei einheimischen Journalisten
Das Hotel liegt mitten im Nichts, im
Nordosten von Tunesien und ist von Orangenhainen, Sandstränden und malerischen
kleinen Häusern umgeben, was mir einen Moment der Ruhe, des Friedens und der
Harmonie gibt, den ich so dringend brauche. Aber warum brauche ich ihn?!
Nun, das ist schwer zu erklären, aber ich
versuche mein Bestes.
Diese Häuser mit weißen Wänden und blauen Fenstern und Türen gefallen mir
großartig, es scheint, als reiche das Meer in die Stadt hinein.
Blau und Weiß!
Zurück zu dem, was mich in letzter Zeit fasziniert: die bunten Türen!
Die großzügige Einladung, in Tunesien ein
Frauengroßmeisterturnier zu spielen verdanke ich IM Njili Kamel, dem Organisator
des Schachfestivals ‘El Haouaria’.
Vom 16. März bis zum 4. April stehen hier unglaublich viele Turniere und
Veranstaltungen auf dem Programm: ein offenes Turnier (das gerade zu Ende
gegangen ist und von dem Serben Igor Miladinovic mit 7,5 Punkten aus 9 Partien
gewonnen wurde), ein Blitzturnier, ein internationales Open für Jugendspieler,
fünf Rundenturniere (zwei, um GM-Normen erzielen zu können, zwei, um IM-Normen
erzielen zu können und eins für Frauen – und da sollte ich dabei sein) und
außerdem noch etwas ganz Besonderes: ein Simultan mit keinem Geringeren als
Nigel Short zum Auftakt dieses Festivals, das sich viel vorgenommen hatte. Um
eine freundliche und familiäre Atmosphäre zu schaffen, wurden außerdem Ausflüge,
Partys, Ausstellungen und viele andere Dinge organisiert, die ich nicht mehr
erinnere – und das täglich!
Mit anderen Worten haben die Organisatoren
eine Menge Zeit, Geld und Energie investiert, um jeden einzelnen Teilnehmer
zufrieden zu stellen, und das ist ganz einfach unmöglich. Bei der ersten Auflage
des Turniers haben sie einfach zu viel von sich selbst verlangt, vor allem, wenn
man bedenkt, wie wenig Erfahrung sie mit der Organisation einer so großen
Veranstaltung hatten. Außerdem: es gab eigentlich nur EINE EINZIGE Person, die
dahinter stand, die alles geplant und arrangiert hat: der Hauptsponsor des
Turniers, Kamel. Einen Mensch mit einem so großen Herzen findet man nur selten;
sein Name taucht nirgends auf, nicht auf der Turnierseite im Internet, nicht auf
den Turnierplakaten, nicht in den Medien, einfach nirgends!
Turnierplakat
Die Organisatoren: links ist IM Njili Kamel und in der Mitte steht der
Hauptsponsor Kamel Meddeb.
Er zieht es vor, hinter den Kulissen im
Hintergrund zu bleiben und sich am Glück anderer zu erfreuen. Dafür hat er alles
getan, was er konnte; seine Verlobte Imen erzählte mir, dass sein Traum nur drei
Wochen vor Turnierbeginn allmählich Gestalt annahm. Man muss zugeben, dass das
eigentlich viel zu wenig Zeit ist und doch wurde sein Traum, Spieler aus
unterschiedlichsten Nationen unter dem tunesischen Himmel zu versammeln,
schließlich doch Wirklichkeit!
Es sieht vielleicht so aus, als ob es hier
viele Leute gibt, die helfen (und es sieht nicht nur so aus!), aber tatsächlich
ist er der Einzige, der sich um jedes kleine Detail kümmert, um dafür zu sorgen,
dass nichts schief geht. Und deshalb … sind die Dinge natürlich ein wenig aus
dem Ruder gelaufen.
Mehr als 100 Spieler waren gekommen, um im
Open zu spielen, 40 Länder, 40 unterschiedliche Mentalitäten und Kulturen,
Amateure und Profis, alle mit anderen Ansprüchen und Erwartungen. Man kann sich
vorstellen, dass dies in den Griff zu kriegen kein Zuckerschlecken ist, vor
allem nicht für jemanden, der nicht weiß, wie die Schachwelt aussieht und welche
Bedürfnisse wir Profis haben. Für uns Profis sieht das alles so einfach aus,
aber ich muss einräumen, dass wir Schach spielen und keine Turniere
organisieren. Wahrscheinlich hätten wir dann ebenfalls schlaflose Nächte, jede
Menge Probleme, aufgebrachte Spieler und viel Stress.
Bei diesem Festival kam es zu einer Reihe
von Pannen: das mit Nigel Short geplante Simultan fand nicht statt, aber er ließ
sich mit seinen Fans fotografieren, er verteilte Autogramme und erzählte
Anekdoten, so dass sein Besuch alles in allem ein Erfolg war. Von großer
Bedeutung war auch der Turniersaal: hier improvisierte man und verlegte ihn in
ein Zelt, das am Meer stand, und das erwies sich als keine gute Idee, denn innen
war es ziemlich windig und kalt. (Ja, richtig: ein afrikanisches Land kann Ende
März unvorstellbar kalt sein!)
Der andere Turniersaal, der für die unteren Bretter – das Zelt...
Nur die ‘Glücklicheren’, die Spieler, die
stark genug waren, um an den ersten Brettern zu spielen, kämpften in einem
angrenzenden Raum zwischen dem Zelt und dem Restaurant, wo alle und jeder essen
ging. Das Problem für diese Spieler war jedoch der Lärm, der aus dem Restaurant
kam, was mich zum nächsten Problem führt: die Entfernung zwischen Spielsaal und
Unterkunft.
Dreh- und Angelpunkt des Turniers: das
Restaurant: "Le Pecheur"
Der Turniersaal für die
vorderen Bretter
Bruno Fabio gegen die Nummer eins der Setzliste: Hichem Hamdouchi, 2617 in Runde 8
Alfonso Romero Holmes gegen Georgy Timoshenko
Mikhail Ulibin gegen Dimitrov Mladenov Plamen
Igor Miladinovic gegen Miroljub Lazic
Nino Maisuradze
Evgeny Gleizerov analysiert mit seiner Gegnerin Vijayalakshmi Subbaraman
Endstand Open: 17.-24. März 2012
.. 120 Spieler
Wie Sie wahrscheinlich wissen, hat jeder
Profi seine eigenen Rituale und Gewohnheiten, kleine Dinge, die ihm das Leben
leichter machen. Deshalb sieht das beste Szenario wie folgt aus: ein Hotel, in
dem man schläft, isst und Schach spielt, denn so hat man die Möglichkeit, sich
jederzeit, wenn einem danach ist, in sein Zimmer zurückzuziehen, und man kann
sich entscheiden, ob man in Gesellschaft sein will oder nicht.
Doch in El Haouaria fingen die Runden jeden Tag zu anderen Zeiten an und man
musste mehr oder weniger die ganze Zeit in der Nähe des Restaurants oder der
Spielsäle sein, denn dort aß und spielte man, aber musste auch auf alle anderen
Spieler warten.
Nino Maisuradze, re, und Begleitung, warten aufs Essen
Eines Abends stattete der
irakische Botschafter uns einen Besuch ab! Er sitzt links am Tisch, neben ihm
steht der Kellner, rechts neben dem Botschafter sitzt der Bürgermeister der
Region.
Die Hamdouchi-Familie: Hichem und Adina. Adina ist ebenfalls Rumänin und so
konnten wir uns in meiner Muttersprache unterhalten.
Von links nach rechts: Ulibin, Gleizerov, Timoshenko – nicht mehr lang und man
kann essen.
Ein kurzer Internet-Check zwischen Runde und Abendessen
Das gleiche Motiv wie in den vorherigen Bildern: man wartet aufs Essen
Essenszeit!
Ich liebe das tunesische
Brot, es schmeckt einfach köstlich, vor allem zusammen mit Olivenöl und
'Harissa' – einer scharfen tunesischen Chilipaste.
So fand man nur schwer zu seinem eigenen
Rhythmus. Nach dem Abendessen brachten Busse und Autos die Spieler wieder zu
ihrer Unterkunft zurück: entweder in das wunderschöne Hotel, in dem ich gerade
wohne (und einen phantastischen Blick aufs Meer genieße!), und das mehr als eine
Stunde vom Turniersaal entfernt liegt, oder zu den Villen, die zwar näher an
Restaurant und Turniersaal lagen, aber weniger komfortabel als das Hotel waren.
Ehrlich gesagt war ich von all diesen
Unannehmlichkeiten kaum betroffen, denn ich spiele gar nicht und werde dennoch
vorbildlich behandelt. Doch was die Spieler angeht, die von diesen
Unannehmlichkeiten betroffen waren, so improvisierte man stets, um die
auftauchenden Probleme mit Geduld, Verständnis und Entgegenkommen zu lösen. Doch
das ging nicht ohne Stress, Frustration und so mancher Überraschung über die
Bühne. Ein Beispiel: ich brauchte ein Auto, um zum Turniersaal zu kommen, der
Wagen war für 10 Uhr bestellt, aber lange Zeit war nichts und niemand zu sehen.
Gegen 12.30 Uhr kamen zu meiner Überraschung dann drei Wagen, um mich abzuholen!
Das gab mir Gelegenheit zu entscheiden, welcher dieser Wagen mir der liebste war
– am Ende entschied ich mich für den Mercedes:)
Für die Amateure war das gesamte Turnier
allerdings ein einzigartiges Erlebnis! Sie haben sich gefreut, getanzt und
gesungen, sie hatten keine Sorgenfalten auf der Stirn. Ihre Haltung steckte an
und ich bin sicher, am Ende des Opens konnten auch die Profis jede Menge
lustiger Geschichten zum Besten geben.
Diese landestypischen Hüte
hatte man uns geschenkt und darüber waren wir sehr froh; sie waren ein
unerwartetes und sehr nützliches Geschenk, denn es wurde richtig kalt.
Ein wunderbare Trophäe: ein
Olivenbaum aus Silber und Bernstein. Auch ich erhielt einen überreicht, was
zeigt, wie nett diese Leute sind.
Zweiter Platz für Hichem
Hamdouchi
Erster Platz für Igor
Miladinovic
Jedes Land ist auf seine Weise schön, aber
was jedes Land besonders macht sind seine Menschen. Ich bin überzeugt, wenn wir
uns an dieses Festival erinnern, wenn wir an ‘El Haouaria’ denken, dann haben
wir sofort die Großzügigkeit, die Wärme und Offenheit dieser wunderbaren Leute
vor Augen.
Und junge Leute; rechts an der Wand sieht man die Turnierplakate.
Kinder, natürlich voller Energie
Akrobatik am Wasser – er wusste, ich würde ihn fotografieren :)
Und hier sieht man, wie das köstliche tunesische
Brot gebacken wird!
Die tunesischen Frauen waren einfach wunderbar,
sehr lustig und freundlich.
Wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt und das hat funktioniert!
Auf dem Markt
Der Markt in El Haouaria:
dort gibt es die besten Orangen, die ich je gegessen habe! Das ist keine
Übertreibung, sie waren wunderbar süß und lecker.
Die berühmten tunesischen
Datteln
Bohnen und Kartoffeln, die Tomaten sind fast alle schon weg
Körner und Gewürze
Ehrlich gesagt habe ich kaum je so viel Engagement, so viel Einsatz
und Anstrengung erlebt, damit man sich wohl fühlt. Und diese Menschen haben mir
das Beste gegeben: ihre aufrichtige Freundschaft. Ganz gewiss werde ich das
Gefühl nicht vergessen, das mich jedes Mal überkommt (und das ich nicht wirklich
beschreiben kann), wenn ich ihre Augen lächeln sehe, weil sie sich freuen, dass
es mir gut geht. Das ist eine Lektion fürs Leben, die ich am Ende meines
Aufenthalts hier hoffentlich gelernt habe…
Wo wir schon dabei sind, die Rundenturniere
werden gerade gespielt und die erste Runde hat soeben angefangen. Allerdings bin
ich nicht dabei, sondern in meinem Hotelzimmer, weil…nun ja, es gibt kein
Frauenturnier. Immerhin kann ich Sie so auf dem Laufenden halten :)
Aber im Ernst: ich weiß und die
Organisatoren wissen es auch, dass manches aus dem Ruder gelaufen ist und in
Anbetracht der Umstände nicht mehr zu kontrollieren war. Aber ich bin sicher,
dass man sich bei der Neuauflage des Turniers, die für Anfang Mai 2013 geplant
ist, um alles kümmern wird. Damit möchte ich meinen Kurzroman auch beenden, da
ich sonst endlos weitermachen könnte. Doch keine Sorge: ich melde mich so bald
wie möglich mit weiteren Informationen und Neuigkeiten zurück!
In den Tagen unseres tunesischen Abenteuers
boten die Veranstalter ihren Gästen reichlich Gelegenheit, die
Sehenswürdigkeiten und Bräuche ihrer Haiemat kennen zu lernen. Die folgenden
Bilder bieten einen kleinen Eindruck von den einzigartigen Momenten.
Falknerei
Die Tunesier im Allgemeinen und die Bewohnern in Al Haouaria im
Besonderen pflegen die Kunst der Falknerei. In Al Haouaria gibt es einen
Falkner-Klub und der Vogel ist sogar das Wappentier des Ortes.
Das Symbol El Haouarias: Der Falke. Er ist auch auf den Turnierplakaten zu sehen
Der lokale Falknerverein von
El Haouaria, wo das Turnier ursprünglich stattfinden sollte. Diese Idee wurde
fallengelassen, denn auf dem Hügel war es zu windig und zu kalt.
Der Falke; die Augen dieser
Tiere haben mich immer fasziniert.
Das Weibchen, natürlich größer :)
Zum weiteren Unterhaltungsprogramm gehörte ein Jagdausflug (mit den Falken) und
Schießen.
Mit Falken auf der Pirsch
Bogenschießen
Unterhaltungsprogramm für
die Spieler: ein Besuch im Falknerklub, ein Jagdausflug, Bogenschießen und dann
wurde es ernst: man griff zum Gewehr :)
Die punischen Ruinen von
Kerkouane
Das antike Kerkouan wurde vermutlich schon im Ersten
Punischen Krieges in der sog enannten Regulusexpedition ( 256 v.Chr.) zerstört
und danach nie wieder aufgebaut. Die Expedition des Atilius Regilus war
insgesamt allerdings ein Fiasko, zum Schluss sank die römische Flotte mit den
Überlebenden während eines Strums vor Sizilien. Erste Ausgrabungen wurden hier
1953 unternommen. Vor der punischen Ansiedlung im 6.Jh. v. Chr. gab es hier
vermutlich schon eine Berbersiedlung.
Bei den Ausgrabungen fand man viele Handelsobjekte aus dem
Mittelmeer und sogar Glas.
Gruß aus der Nähe von Kathargo
Das Grab von Sidi Brahem, der viel Gutes getan hat, weshalb die Menschen seiner
gedenken. Es ist natürlich viel, viel jünger als die Phöniziersiedlung.
Die römischen Höhlen von El Haouaria (Ghar
el-Kebir)
Bei den "römischen Höhlen" handelt es sich um Steinbrüche, die
schon von den Phöniziern angelegt worden sind. Hier wurde Stein zum Bau von
Kathargo gebrochen. Später nutzten die Römer die höhlenartigen Steinbrüche
weiter.
Die römischen Höhlen von El Haouaria, für die die Stadt berühmt ist
Ich habe den 'Fehler'
gemacht, hineinzugehen... innen litt ich unter der klaustrophobischen Enge, aber
trotzdem war das Erlebnis einzigartig.
Und noch einmal der Ausblick aufs Meer.