Bundesliga und Prag: Wie sind die Kandidaten in Form?

von ChessBase
05.03.2024 – Nur noch wenige Wochen bis zum Kandidatenturnier, hoffentlich in Toronto. Thorsten Cmiel wirft einen Blick auf die Form der Kandidaten, soweit sie aktiv sind. Nakamura und Abasov spielten in der Bundesliga. Praggnanandhaa, Gukesh, Vidit und auch Vaishali sind beim Prager Schachfestival unterwegs. | Fotos: Prager Schachfestival (Petr Vasac)

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Die Form der Kandidaten 2024

Neben vier indischen Kandidaten in Prag waren zuletzt mit Hikaru Nakamura und Nijat Abasov zwei Kandidaten in der Schachbundesliga aktiv. Hinter Toronto als Turnierort für das Kandidatenturnier gibt es jüngst einige Fragezeichen.

Mit einem eher hilflos wirkenden Aufruf vom 1. März 2024 via X, vormals Twitter, versucht der Weltschachbund FIDE die kanadische Regierung zu einer endgültigen Klärung der Visavergabe für Spieler Coaches und Angehörige zu bewegen. Bekannt war bisher, dass indische, russische Spieler und Offizielle möglicherweise Probleme bei der Einreiseerlaubnis bekommen könnten. Die kanadische Regierung und die Sportgremien hatten sich beispielsweise immer sehr strikt gegen die Teilnahme russischer Sportler in Paris bei den olympischen Spielen ausgesprochen und die reguläre Visumvergabe dauert bei Russen inzwischen ein halbes Jahr. Zudem waren mehre russische Funktionäre von den Kanadiern auf Sanktionslisten gesetzt worden. Darunter unter anderem solche aus dem russischen Schachverband und Sponsoren.

Dennoch sollte man annehmen, dass die Organisatoren solche rechtlichen Hindernisse im Vorfeld der Veröffentlichung des Spielortes in Toronto und der Veranstaltungshomepage am 1. Februar geklärt hatten. Das war aber offensichtlich nicht der Fall. Inzwischen informierte der CEO Emil Sutovsky seit dem 2. März via dreier weiterer X-Nachrichten, dass Spieler von vier Nationen von fehlenden Visa betroffen seien. Hinzu kommen Sekundanten und andere Personen, die Zahl Vierzig wurde aufgerufen. Die Veranstalter haben bei einem engen Kalender der Spieler sicherlich keine Möglichkeit das Turnier zu verschieben und später an einen anderen Turnierort zu vergeben. Offenbar wollen die Verantwortlichen der FIDE innerhalb einer Woche eine Entscheidung herbeiführen. Ob es zielführend ist, die kanadische Regierung unter öffentlichen Druck zu setzen, wird man sehen. Scheinbar gab es keinen anderen Sprachkanal mehr und das Einschalten der Öffentlichkeit ist die letzte Chance den Turnierort Toronto zu retten. Sutovsky spricht in seiner Kommunikation davon, einen Plan B für einen anderen Ausrichter zu haben. Dabei soll es sich um Spanien handeln. Toronto könnte also kurzfristig durch einen anderen Turnierort, vermutlich Madrid, ersetzt werden. Mein Take: Die FIDE wäre dann in ihrem Jubiläumsjahr blamiert und nicht Kanada wie Sutovsky behauptet. Ärgerlich wäre es allemal.

      

     

    

Visa snafu risks scuttling top chess tournament in Toronto (thestar.com)

Der Formtest Toronto geht weiter

Sämtliche Kandidaten in der offenen Kategorie sind mehr oder weniger regelmäßig im Einsatz bis zum Kandidatenturnier im April. Die Kandidaten Nijat Abasov und Hikaru Nakamura waren in der letzten Februarwoche für ihre Teams in der Schachbundesliga am Start. Die Saisonauslosung wollte es, dass wir ein Duell zweier Kandidaten beobachten konnten. Von Fabiano Caruana ist bekannt, dass er im März den America Cup mitspielt.

Bei den Frauen sieht es eher dünn aus: Anna Muzychuk spielte 2024 bisher eine Partie in einem Team-Wettbewerb und verlor. Die Russinnen und die Chinesinnen weisen bisher in 2024 keine gewertete Partie aus genau wie die Bulgarin Nurgyul Salimova. Nur die Inderinnen Humpy Koneru und Vaishali spielen sich offenbar ein. Humpy, nach Rating an zweiter Stelle gesetzt, spielte erstmals seit Jahren wieder ein Open mit. In Graz gewann sie vier Partien und remisierte fünfmal – die Partien sind nicht bekannt. Vaishali sollte eigentlich in Tunesien (Djerba) dabei sein, verzichtete aber zugunsten von Divya Deshmukh. Jetzt ist sie zusammen mit ihrem Bruder in Prag am Start.

Kandidaten in der Schachbundesliga

Beginnen wir unsere Betrachtungen zur Form der Kandidaten mit einem Rückblick auf die Bundesligabegegnungen. Der 28-jährige Azeri Nijat Abasov ist in der Februarliste weltweit auf Rang 96 und musste zunächst am Freitag für sein Team SC Ötigheim gegen den fünfmaligen Weltmeister Anand antreten. Die Partie ähnelte der Niederlage gegen Liviu-Dieter Nisipeanu einige Wochen zuvor: Nijat stand nach der Eröffnung positionell etwas schlechter in einem damenlosen Mittelspiel und verlor letztlich ohne erkennbare Gegenwehr.

Für den Ausgang des Spitzenkampfes zwischen dem SC Viernheim und der OSG Baden-Baden war die Partie von Hikaru Nakamuara gegen „Vishy“ Anand wichtig. Der Inder verteidigte ein schwieriges Turmendspiel mit einem Bauern weniger präzise und sicherte seinem Team einen halben Punkt. Das reichte letztlich zwar nicht für sein Team, ist aber eine andere Geschichte.

Für Abasov folgte am Samstag ein sehr kurzes und wenig aussagekräftiges Remis gegen Matthias Bluebaum. Am Sonntag dann spielte sein Team gegen den Favoriten aus Viernheim. Am ersten Brett kam es zum Kandidatenduell mit Hikaru Nakamura. Dieser scheint in der Eröffnung eine Variante verwechselt zu haben und stand bereits nach wenigen Zügen sehr schlecht. Allerdings gelang es Hikaru später mit Hilfe seines Gegners auszugleichen und dann entschied sich Nakamura ein Stellung mit starkem Springer gegen schlechten Läufer anzustreben. Das zahlte sich aus. Am Ende verlor Nijat überraschend sein anfangs so aussichtsreiche Partie sogar noch. Inzwischen ist er aus den Top100 gefallen und dürfte im Kandidatenturnier der ausgesuchte Punktelieferant aller anderen Teilnehmer sein. Vielleicht ist es seine beste Chance, dass seine Gegner ihre Partien gegen ihn schärfer anlegen und überziehen könnten. Allerdings haben insbesondere die Partie gegen Ananad und Nisipeanu eine größere Baustelle aufgezeigt.

Inder in Prag

Seit Dezember bestritt Vaishali keine Turnierpartie mehr.

Das merkte man in den ersten zwei Runden, wobei sie mit Doppelschwarz gegen den Favoriten Anton Korobov und die jüngste türkische Hoffnung Ediz Gürel, die gemeinsam nach fünf Runden das Turnier mit vier Punkten anführen. Kein einfacher Start ins Turnier. Beide Partien gingen fast chancenlos verloren.

Danach folgten zwei Siege gegen lokale Talente (beide IM) im Alter ihres Bruders. Gegen Stepan Hrbek hatte Vaishali aus der Eröffnung heraus eine vorteilhafte Stellung und nach einer erneuten Schwächung der eigenen Stellung durch ihren Gegner stand die Inderin  bereits früh auf Gewinn. So einfach war die Angelegenheit jedoch nicht.

Gegen Erwin L’Ami sollte Vaishali ebenfalls gewinnen, aber einem erfahrenem Großmeister darf man die eingesammelte Vorteile in der Regel nicht zurückgeben: Der Niederländer hatte zunächst etwas unaufmerksam agiert und ignorierte eine offensichtliche Drohung seiner Gegnerin. Die Inderin musste nicht zweimal gebeten werden, um im 24. Zug auf f6 den gegnerischen Springer zu schlagen und die Qualität zu opfern. In der Folge setzte die Inderin im 30. Zug nicht richtig fort, um mit ihrem Angriff siegreich zu sein. Fortan war ihr Vorteil dahin und sie war eher gefährdet. Im 36. Zug fand Vaishali nicht die schwierig zu entdeckende, richtige Fortsetzung und sollte eigentlich verlieren. Dass die Dinge selbst für Großmeister gegen Vaishali nicht so einfach sind, zeigte sich in dem Endspiel mehrfach; die Inderin bekam drei Chancen die Stellung zu halten, verpasste diese jedoch oder gab den Vorteil zurück.

Bei der Beurteilung des Spiels von Vaishali sollte man berücksichtigen, dass das Feld im Challengers in Prag insgesamt größere Herausforderungen stellt als das Turnier der weiblichen Kandidaten. Viel wird darauf ankommen mit welchem Selbstbewusstsein die junge Frau aus Chennai aus dem Turnier geht. Sie könnte eine Überraschung schaffen.

Die Leiden des jungen Praggnanandhaa

In Wijk aan Zee hatte Pragg viele gute Stellungen herausgespielt, aber zu wenige Punkte geholt. Diesmal waren die Stellungen nicht weniger hoffnungsvoll, aber seine Punkteausbeute war zu schlecht.

Es begann mit einem Vorbereitungssieg gegen Vincent Keymer, der seine Eröffnungsvorbereitung nicht rekonstruieren konnte, und nach einer leicht ungenauen Verwertungsphase durch Pragg in Zeitnot seine Chance nicht ergreifen konnte. In der zweiten Partie gegen den Iraner Parham Maghsoodloo hatte der Inder seinen Gegner praktisch mit Schwarz überspielt, ließ dann jedoch bei heraufziehender Zeitarmut etwas nach. Letztlich entschied ein grober Fehler die Partie. Das ist eher untypisch und eine unnötige Niederlage nach langer Zeit. Auffällig ist, dass der Inder überhaupt wieder in Zeitnot kam, eine frühere Schwäche, die überwunden schien.

Der negative Höhepunkt für den Inder kam dann in der nächsten Partie gegen Richard Rapport. Dieser hatte eine sehr passive Aufstellung im Königsinder gewählt und war von seinem Gegner in der Eröffnung schlicht überspielt worden. Was danach folgte war schockierend. Statt einen klaren Weg zum Ausbau seines Vorteils zu suchen legte der Inder immer neue Briketts nach und fand sich erneut in hoher Zeitnot. Insbesondere der 23. Zug von Pragg erscheint insofern völlig unnötig. Dem Inder unterliefen zwei grobe Fehler und er verlor die Partie.

In der folgenden Runde war Nguyen mit Weiß darauf bedacht, die Stellung früh zu vereinfachen und der Inder versuchte diesmal wenig. Konsolidierung. Es folgte eine mit Prestige geladene Partie gegen seinen Landsmann Vidit. Dieser hielt in den ersten vier Runden an seinem gewohnt sicheren Spiel fest und kam mit vier Remis ans Brett. Als man dachte, dass Vidit die etwa gleichstehende Partie leicht zu seinen Gunsten gestalten konnte, gelang es dem jüngeren Inder mit einem Bauernopfer seinen Turm energisch ins Spiel einzubinden. In der Folge musste Vidit im 44.Zug einen schwer zu entdeckenden Verteidigungszug finden, das gelang ihm jedoch nicht.

In Prag wird mit der gleichen Bedenkzeit wie im Kandidatenturnier der Frauen gespielt: 90 Minuten für die ersten 40 Züge plus 30 Minuten für den Rest nach der Zeitkontrolle. Ab dem ersten Zug gibt es ein Inkrement von 30 Sekunden pro Zug. In der offenen Kategorie spielen die Kandidaten mit etwas anderer, langsamerer Kadenz. Für die ersten 40 Züge erhalten die Spieler zwei Stunden Bedenkzeit, aber ohne Inkrement. Das kommt erst danach zu den 30 Minuten Zeitaufschlag für den Rest der Partie hinzu.

In den Niederlanden hatte Gukesh den besten Eindruck der Kandidaten hinterlassen. In Prag sah es zunächst ähnlich aus.

Gegen den für Rumänien antretenden Ungarn Richard Rapport konnte Gukesh mit einem Ausrufezeichen starten, er verpasste jedoch im 30. Zug seine Chance mit einem prophylaktischen Zug eine klar vorteilhafte Stellung herbeizuführen. Das wird ihn ärgern. Sein Mentor Vishy Anand fand die Idee via Ausschlussprinzip bei der Liveübertragung, die von Sagar Shah und Amruta Mokal in Prag in Kooperation mit Chessbase India moderiert wird.

Gegen Nguyen gewann Gukesh eine überzeugende Partie, die eine schicke Schlusspointe bereit hielt.

Es folgten zwei Remis gegen Vidit mit etwas Vorteil im Verlauf und gegen Nodirbek Abdusattorov mit etwas schlechterem Verlauf. In der Partie gegen David Navara passierte dann nach einer schwerblütigen Partie ein doppelter Unfall. Zunächst hatte der Inder seinen Vorteil verspielt und dann gelang es ihm vermutlich nicht seinen Willen zum Gewinn in jeder Partie zu zügeln. Das ist keine ungewöhnliche Niederlage für Gukesh, dessen Spiel sich durch Kampfgeist auszeichnet.

Keiner der drei Kandidaten in Prag liegt derzeit über 50 Prozent.

Vidit bleibt seinem Spielstil aus dem Januar treu und geht bisher nur geringe Risiken ein, ob vorsichtige Offensive für das Kandidatenturnier genügt, scheint meines Erachtens zweifelhaft zu sein. Aber eine höhere Risikobereitschaft kann in Toronto durch eine etwas aktivere Eröffnungswahl nachgesteuert werden. Die Coaches von Pragg und Gukesh können dem bisherigen Turnierverlauf durchaus Positives abgewinnen. Pragg hat mit eher schwachem Spiel in Zeitnot eine erkennbare und altbekannte Schwäche, die seine Trainer angehen können. Positiv ist sicherlich, dass es dem jungen Inder regelmäßig gelingt, Gewinnchancen mit beiden Farben zu kreieren. Zudem konnte Pragg trotz zweier grober Niederlagen mit seinem Sieg gegen Vidit wieder ins Turnier zurück kommen. Seine Schwester sogar nach zwei Niederlagen. Für Gukesh fällt die Bilanz ähnlich wie für Pragg aus: Es gelingt ihm immer wieder Gewinnchancen herauszuspielen und sein Kampfgeist ist ein weiteres gewichtiges Argument, das für die junge Generation spricht. Gegen David Navara ging dieses kompromisslose Spielen allerdings nach hinten los. Auf Dauer dürfte dies Eigenschaft ihm eher zugute kommen.

Ein kleiner Hinweis zu den weltweit größten Talenten sei zum Schluss gestattet:

Am besten in Form ist in diesem Frühjahr einer, der gar nicht in Toronto oder Madrid dabei ist. Nodirbek Abdusattorov. Zusammen mit Alireza, Pragg und Gukesh ist der Usbeke in diesem Jahr fester Teilnehmer bei der Grand Chess Tour und kann sich dort weiter bewähren. Nicht vergessen sollten Fans allerdings Arjun Erigaisi und Vincent Keymer, die bei Rundenturnieren in diesem Jahr nicht an den Top-Runden-Turnieren teilnehmen können.

Partien


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