Schachkönige zu Kaisers Zeiten - Streifzüge durch die Mega 2018

von ChessBase
14.12.2017 – Mitte des 19.Jhs. erlebte das Schach in Mitteleuropa, insbesondere in Wien, einen rasanten Aufstieg, der mehrere Jahrzehnte anhalten sollte. Die großen Turniere jener Zeit mit Spielern wie Steinitz, Reti, Tartakower, Schlechter, Spielmann u.v.m. finden Sie natürlich alle in der Mega Database 2018. Wie aber kam es zu dieser großartigen Blüte? Welche Persönlichkeiten sorgten damals dafür, dass in den Wiener Schachcafés die besten Spieler der Welt regelmäßig die Klingen kreuzten? Gisbert Jacoby, der Begründer der "Mega", beleuchtet in seinem Artikel die Hintergründe.

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Die Deutsche und Wiener Phase der Schachgeschichte (1873-1918)

von Gisbert Jacoby

Als im Jahre 1849 der Budapester Spitzenspieler Jakob Löwenthal mit 39 Jahren seine politisch unruhige Heimat verließ, suchte er zunächst vergeblich in Deutschland nach Möglichkeiten mit Schach seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Daraufhin schiffte er sich nach Amerika ein und fand in Kentucky eine Gruppe von hilfsbereiten Farmern, die ihm beim Aufbau eines Schachcafés behilflich sein wollten. Diese soliden Farmer sandten ihn dann im Jahre 1851 als ihren Vertreter zum ersten internationalen Turnier nach London. Johann Jacob Löwenthal entschied sich, nicht nach Amerika zurückzukehren, sondern für den Rest seines Lebens bis 1876 in England zu bleiben, wo er als Schachspieler, Organisator und Autor eine wichtige Stütze des britischen Schachs wurde.

England mit seinem Zentrum London blieb bis in die 1870er Jahre ein Magnet für die stärksten europäischen Spieler. 1862 wurde von der Wiener Schachgesellschaft zum zweiten großen Turnier Wilhelm Steinitz nach London gesandt. Er blieb in England, bis er 1882 nach Amerika ging, um dort 1886 im Kampf gegen Zukertort der erste Schach-Weltmeister zu werden. Johannes Hermann Zukertort (1842-1888) wurde im Jahre 1872 von Berlin nach London gelockt, um die Dominanz von Steinitz in der Londoner Szene zu brechen.

Aber langsam blühten in Wien die Schachcafés und Schachklubs auf, unterstützt von sehr potenten Förderern wie dem reichsten Mann der Welt, dem Freiherrn Albert Salomon Anselm von Rothschild (1844-1911), dem Weltklasse-Schachspieler Ignaz Kolisch (1837-1889), seit 1881 Baron von Kolisch, und dem Seide Fabrikanten Leopold Trebitsch (1842-1906).

Baron Albert von Rothschild (1844-1911) fotografiert im Jahre 1886 von Emil Rabending.

Albert von Rothschild war ein begeisterter Schachspieler, wurde 1868 Mitglied der Wiener Schachgesellschaft, war von 1872-1883 ihr Präsident und seit 1885 ihr Ehrenpräsident. In der MegaBase finden sich drei Partien von ihm. Als Mäzen unterstütze er alle in Wien zwischen 1868 und 1910 gespielten Turniere. Er war es, der die Idee zum Gambit Turnier 1903 entwickelte, welches er vollständig finanzierte. Nach seinem Tode richteten seine Söhne eine „Freiherr von Rothschild-Stiftung“ in Höhe von 20.000 Kronen ein, über deren Jahreserträge der Wiener Schachklub frei verfügen konnte.

Baron Ignaz von Kolisch (1837-1889)

Der in Pressburg (heute Bratislava) geborene Ignaz Kolisch kam 1868 als anerkannter Spitzen-Schachspieler nach Wien, der im Jahre 1861 gegen Adolf Anderssen einen Wettkampf nur knapp mit -4+3=2 verloren hatte und gegen Louis Paulsen beim Stande von +6-7=18 durch Abbruch remisierte. Das Turnier von Paris 1867 gewann er souverän vor S.Winawer und W.Steinitz. In Wien traf er Albert von Rothschild und einer Anekdote zufolge unterstütze der Baron den Neuankömmling durch die Herausforderung zu einem Wettkampf unter der Vorgabe von Bauer und Zug. Kolisch nahm die Herausforderung an, gewann den Wettkampf und die ausgesetzten 1.000 Gulden. Versorgt mit Rothschilds Ratschlägen ging Kolisch an die Börse, eröffnete im Jahre 1871 in Wien eine eigene Bank und wurde Millionär. Als Mäzän unterstützte er Die Turniere Baden-Baden 1870, Wien 1873 und 1882, Paris 1878 und London 1883.

Leopold Trebitsch (1842-1906)

Leopold Trebitsch Seidenfabrikant, 1842 – 1906
Zentralfriedhof, Tor 1, Gruppe 20 , Reihe 1, Nr. 14

Mit 32 Jahren erlernte Leopold Trebitsch das Schachspiel, wurde ein begeisterter Schachspieler und 1876 Mitglied der Wiener Schachgesellschaft, von 1886 bis 1892 ihr Vizepräsident und ab 1895-1897 ihr Präsident. Unter seiner Leitung vereinigten sich die alte Schachgesellschaft und der Neue Wiener Schachklub im Jahre 1897 zum berühmten Wiener Schach Klub, deren Vizepräsident er bis zu seinem Tode blieb.

Durch seine finanzielle Unterstützung ermöglichte er starke Klubturniere. Viel Arbeit und Geld investierte er in das Kaiserjubiläumsturnier von 1898. Das Wiener Meisterturnier von 1907, das am 10.Januar begann, konzipierte er und bereitete es organisatorisch vor. Erleben konnte er es aber nicht mehr, weil er am 12.Dezember 1906 64jährig starb. Der Wiener Schachklub benannte das Turnier um in „Leopold Trebitsch Gedenkturnier“.

In seinem Testament hinterließ Leopold Trebitsch 100.000. Kronen für eine Stiftung, mit deren Zinsertrag regelmäßig Schachturniere durchgeführt werden sollten. Mit den ersten Zinsen wurde 1909 das zweite Gedenkturnier gespielt. Die Trebitsch-Memorials gehörten zu den wichtigsten fast alljährlichen Turnieren auf österreichischem Boden bis 1938. Der Wiener Schachklub hatte einen großen Teil des Geldes in Kriegsanleihen angelegt und nach dem Krieg verloren. Nach einer Übergangsphase ermöglichte Oscar Trebitsch ab 1926 die Wiederaufnahme der Turnierserie. Als die Familie Trebitsch in den 1930iger Jahren dem finanziellen Bankrott entgegenging, rettete der Schachklub Hietzing mit seinem Mäzen Felix Klein die Turnierserie bis zum letzten Turnier 1937/8.

Alle 21 Trebitsch Gedenkturnier von 1907 bis 1938

Aus den östlichen Gebieten strömten viele starke Schachspieler nach Wien: Die Spieler mit den größten Namen waren Wilhelm Steinitz, der schon im Jahre 1859 aus dem Prager Ghetto kam; Richard Reti (1889-1929) kam 1904 aus dem ungarischen (heute slowakischen) Ort Bösing (Pezinok) und Savielly Tartakower aus Rostov am Don, Russland (1887-1956) studierte von 1904-1909 in Wien. Sie maßen sich mit den in Wien heranwachsenden Spitzenspielern, an deren Spitze Carl Schlechter (1874-1918) und Rudolf Spielmann standen. Freie Partien in den Cafés und Klubs und harte Partien in den zahlreichen Turnieren boten dazu gute Gelegenheit.

Carl Schlechter (1874-1918)

Rudolf Spielmann (1883-1942)

In der MegaBase sind vollständig erhalten alle großen Wiener Turniere von 1873 bis 1938. Das erste Internationale Meisterturnier fand im Jahr 1873 statt, ein Jahr nachdem Baron von Rothschild Präsident der Wiener Schachgesellschaft geworden war. Steinitz gewann den ersten Preis im Stichkampf gegen Blackburne. Das zweite Internationale Meisterturnier aus Anlass des 25jährigen Bestehens der Wiener Schachgesellschaft fand im vorletzten Jahr der Präsidentschaft von Rothschilds statt. Diesmal endete der Stichkampf um den ersten Preis unentschieden zwischen Steinitz und Winawer.

Im Jahre 1898 fand das Kaiser-Jubiläums-Turnier in Wien statt. Es wurden 36 Runden gespielt. Das Turnier dauerte vom 1.Juni bis 25.Juli. Der Preisfond war sensationell hoch: Siegbert Tarrasch gewann als Sieger 6.000 Kronen ( Das entspricht mehr als 100.000 EUR heutiger Währung). Spieler wie Tarrasch, Lasker und Schlechter waren durch das Schachspiel reiche Leute geworden. Es ist eine gern erzählte Legende nach bekanntem Muster (vgl.Mozart), dass Carl Schlechter im Jahre 1918 zu Ende des Krieges in Armut an Hunger starb. Richtig ist, dass er als wohlhabender Mann an einer verschleppten Lungenentzündung kurz nach einem Turnier in Budapest zu Tode kam.

Deutschland hatte schon seit London 1851 mit Adolf Anderssen (1818-1879) aus Breslau einen Spieler an der Weltspitze, dem der Titel Welmeister verwehrt blieb, weil dieser erst 1886 in Gebrauch kam. Der ebenfalls in Breslau geborene Siegbert Tarrasch (1862-1934) bezeichnete sich selbst als „Turnierweltmeister“. Erwähnen möchte ich seinen großen Sieg über die englische Elite mit drei Punkten Vorsprung vor Blackburne beim 6.Kongress der Britischen Chess Association in Manchester 1890. Mit Emanuel Lasker (1868-1941) stellte Deutschland den zweiten Schachweltmeister, der vor seinem Sieg gegen Steinitz im Jahre 1894 schon im Jahre 1892 in England bei zwei Turniersiegen in London und einem 5-0 Wettkampfsieg gegen Bird gezeigt hatte, dass man auch in Berlin gut Schach lernen konnte.

Die deutschen Sprache war in der Schachwelt bis 1939 die dominierende Sprache, so wie es heute die englische ist. Zur Dominanz trugen die deutschsprachigen Schachzeitungen bei: Die Deutsche Schachzeitung (1848-1988), das Deutsche Wochenschach (1885-1925), die Wiener Schachzeitung unter Georg Marco und später Albert Becker (1898-1937) und die Deutschen Schachblätter (1909-1991).

Siegbert Tarrasch erwies sich in seinen Artikeln und Bücher nicht nur als „praeceptor Germaniae“, sondern er avancierte zum Lehrer fast der gesamten Schachwelt. Als der Este Paul Keres oder der Amerikaner Reuben Fine in den 1930iger Jahren sich per Brief an den Redakteur der sowjetrussischen Schachzeitung „64“ Rudolf Goltz wendeten, benutzten sie die deutsche Sprache und das sogar in perfekter Weise.
Es gab eine heute kaum glaubliche große Zahl von Schachspalten in der deutschsprachigen Presse (in Berlin verdienten Siegbert Tarrasch und Fritz Sämisch gutes Geld). Das führende Eröffnungswerk war der Große Bilguer, der vom Berliner Kreis im Jahre 1843 in erster Auflage und von Carl Schlechter im Jahre 1918 in 8.Auflage herausgebracht wurde.

Hingewiesen sei auf ein neues Buch von Michael Ehn: Geniales Schach im Wiener Kaffeehaus 1750-1918. Edition Steinbauer, Wien 2017. Beim Schreiben dieses Artikels habe ich dankbar dieses 360 Seiten starke Buch benutzt. Es bietet in 13 Kapiteln eine Fülle an Stoff zu unserem Thema. Die Stärken des Buches liegen in den zahlreichen konkreten Recherchen und Information des Wiener Autors. An keiner anderen Stelle kann man sich über die vielen Klein- und Großmeister oder die wichtigen und weniger wichtigen Personen, die Wien je beherbergte, so gut informieren wie in diesem Buch. Diese zahlreichen konkreten Informationen haben mir weit besser gefallen als die Versuche, historische Linien mit soziologischen oder philosophischen Begriffen zu ziehen.

 

Das Café Central in Wien - eröffnet 1876

1) Ehn,Michael: Ernst Franz Gruenfeld. Band 1. Der Variantenkoffer 1911-1920. S.115-124.
2) Vidmar,Milan: Goldene Schachzeiten.1961. S.45.
3) Kmoch,Hans: Wahre Centralgeschichten. in WSZ 1931, S.60-62.
4) Blumenfeld, Benjamin: Das visuelle Vorstellungsvermögen und die Variantenberechnung. in Dworetzki,Mark/ Jussupow,Artur: Angriff und Verteidigung.1999. OLMS. S.38-43.

Treffen sich ein Revoluzzer (Leo Trotzki), ein Psychiater (Sigmund Freud), ein Dichter (Alfred Polgar, Stefan Zweig, Peter Altenberg) und ein Architekt (Adolf Loos). Was wie der Beginn eines Witzes klingt, war einst im 1876 eröffneten Café Central friedlicher Alltag. Bei Kaffee, Kuchen und der einen oder anderen Zigarre waren hier die größten Dichter, Denker und – ja – auch Fabulierer in der wohligen Atmosphäre von Wiens schönstem Kaffeehaus vereint. (So stellt sich das Café Central heute selbst im Internet vor).

Von 1907 bis 1914 hielt sich Lew Bronstein unter dem Pseudonym Leo Trotzki in Wien auf. Er besuchte die Cafés sehr intensiv und war ein leidenschaftlicher Schachspieler. Anekdote. Ein Beamter des Außenministeriums meldet seinem Minister aufgeregt: "Exzellenz, in Russland ist Revolution!" Der Minister lächelt ungläubig: "Gehen‘s, wer soll denn in Russland Revolution machen? Vielleicht der Herr Trotzki aus dem Café Central?"

Lajos Asztalos hielt sich im Jahre 1918 in den Monaten April und Mai in Wien auf und spielte mit Ernst Grünfeld eine größere Zahl von Schachpartien im Central. Im Jahre 1920 verschlug es den Russen jüdischer Herkunft Benjamin M. Blumenfeld nach Wien. Er wurde mehr als Autor denn als Spieler bekannt, das Blumenfeld-Gambit trägt seinen Namen. Interessant bis heute sind seine Arbeiten zur Schachpsychologie. Er verfasste eine Dissertation zum Thema Psychologie des schachlichen Denkens.

Der ungarische Spitzenspieler Geza Maroczy verließ seine Heimat in den Revolutionswirren des Jahres 1919 und kam 1920 nach Wien, wo er einige Partien mit Ernst Grünfeld spielte. Bis 1928 wechselte er häufig seinen Wohnsitz in Europa, um schließlich 1928 in seine Heimat zurückzukehren. 1936 gewann er mit Ungarn die Goldmedaille bei der Schacholympiade in München.

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