Als es am Polarkreis hitzig wurde
Island erinnert sich an sein größtes Sportereignis
Von Eric van Reem
Gebannt blickte die Welt 1972 auf dem Kalten Krieg am Polarkreis. Die
Supermächte USA und die UdSSR schickten ihre Superhirne nach Island. In diesem
Sommer kämpften Bobby Fischer und Boris Spassky in Reykjavik am Schachbrett
einen intellektuellen Stellvertreterkrieg um die Vorherrschaft der Systeme aus.
30 Jahre nach dem Jahrhundertmatch gedenkt der Isländische Schachverband diesem
einmaligen Ereignis mit einen Themenjahr. Island, die nach Großbritannien
zweitgrößte europäische Insel mit nur 280.000 Einwohnern, hat heute die meisten
Schachgroßmeister pro Kopf der Bevölkerung. Das Land hat sogar mehr Großmeister
als Internationale Meister. Der stärkste Spieler des Landes, Hannes Hlifar
Stefansson, spielte zum Auftakt des Jubiläumsjahres vom 8.-13. Januar ein Match
gegen den Engländer Nigel Short. Im Rathaus von Reykjavik verlor der Isländer
allerdings klar mit 1,5:4,5 gegen den ehemaligen WM-Herausforderer Garry
Kasparows. Während des Matches eröffnete dort eine Ausstellung mit Memorabilien
des Matches von 1972. Die Sammlung zog am 14. Juli ins Đjómenningarhúsiđ um, dem
Haus der Kultur im Stadtzentrum der isländischen Hauptstadt, nicht weit entfernt
vom Fremdenverkehrsamt. In der Hverfisgata 15 kann man zahlreiche Zeugnisse
isländischer Kulturgeschichte bewundern und bis Ende August gab es auch die
Ausstellung „Das Schacherbe Islands und das Jahrhundertmatch“.
Museum
Im ersten Stock des Museums richtete man drei Räume für die Ausstellung ein. In
einem kleinen Raum war eine Ausstellung von Schachfiguren zu besichtigen, u. a.
altertümliche Stücke aus dem 11. und 12. Jahrhundert, der Zeit der Wikinger. In
einem anderen Raum wurden einige wertvolle Bücher aus der Sammlung von Daniel
Willard Fiske (1831-1904) ausgestellt. Der amerikanische Autor und Bibliophile
war schon als Kind fasziniert von den Geschichten der Wikinger. Er sammelte mehr
als 10000 isländische Bücher und schrieb am Ende seines Lebens „Chess in Iceland
and Icelandic Literature“, das nach seinem Tod 1905 posthum in Florenz
veröffentlicht wurde. Er hat Island jedoch nur einmal 1879 besucht. Seine
Schachbücher vermachte er nach seinem Tod der isländischen Nationalbibliothek.
Im Haus der Kultur konnte man Bücher von Morphy, Greco, Philidor, Stamma und
Steinitz bewundern. Interessenten können die unschätzbar wertvolle
Fiske-Sammlung ab September wieder in der Nationalbibliothek sehen.
Der Tisch, an dem 1972 gespielt wurde.
Im Zentrum der Erinnerung stand aber der Rückblick auf 1972.
Mitten im größten Raum stand der Originalschachtisch, der extra für den WM-Kampf
angefertigt wurde. Das weiße Lederpolster vor dem Brett wurde von den Spielern
mit Autogrammen versehen. Fischer ließ damals seinen Ledersessel aus New York
einfliegen. Besucher konnten sich auf ein Duplikat des Sessels an das Brett
setzen und sich einen Moment drei Jahrzehnte zurück versetzen. Plexiglas
verhinderte allerdings die Versuchung, einige Züge mit den Originalfiguren
auszuführen. In Vitrinen befanden sich viele Matchbücher aus aller Welt. Nicht
weniger als 21 Bücher von hervorragenden Autoren wie Svetozar Gligoric, Rudolf
Teschner, Bent Larsen, Samuel Reshevsky und Bent Larsen hatte der isländische
Schachverband ausgestellt. Auch das „neueste“ Matchbuch, die englische
Übersetzung des niederländischen Klassikers von Max Euwe und Jan Timman,
„Fischer World Champion“ war bereits im Museum angekommen. Das alles
überragende, fast 400 Seiten dicke isländische Matchbuch vom späteren
FIDE-Präsidenten Friđrik Ólafsson und Freystein Jóhannsson ist ein echtes
Sammlerstück. Seit Jahren ist dieses Buch nur schwer erhältlich, auch in
isländischen Antiquariaten ist dieses Buch inzwischen vergriffen. Allerdings
wird in Island ernsthaft über eine Neuauflage nachgedacht. Ferner konnte man in
dem kleinen Museum ein großes Ölgemälde der beiden Spieler sehen, die
Originalfiguren, die Schachuhr, Ersttagsbriefe und viel Krimskrams, wie
Plastikteller und Kaffeetassen mit Matchlogo und ein großes Magnetschachbrett
mit den Abbildungen der Spieler und deren Autogrammen.
1972 war eine aufregende Zeit für Redakteure von Schachspalten. Schach eroberte
zudem die Titelseiten. Im Vorfeld der WM erschienen lange Artikel im Spiegel, in
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt, der New York Herald Tribune, dem
Time Magazine, der New York Times und allen anderen wichtigen Zeitungen. Eine
richtige Fischermanie brach aus - man fand Bilder von Fischer beim Schwimmen,
beim Essen und in der Sauna. Von Spasski existieren Bilder beim Tennis und beim
Billiardspielen. Für das „Life“ Magazine berichtete Norman Mailer vom „Duell der
Giganten“. Viele der Titelseiten lagern nun im Museum, außerdem zahlreiche
Karikaturen der Protagonisten und die Tagesberichte, die in der isländischen
Tageszeitung „Morgunblađiđ“ erschienen waren.
Der isländische Schachverband organisierte am 10. August im Đjómenningarhúsiđ
eine Gedenkveranstaltung, zu der viele der Beteiligten von damals angereist
waren, darunter auch Hauptschiedsrichter Lothar Schmid, der viele bedeutende
Schachereignisse leitete. Schmid war seit dem Match in der Laugersdallhöll vor
30 Jahren nicht mehr nach Island zurückgekommen. Am Vorabend der Feierlichkeiten
übergab er dem Museum noch einige wertvolle Dokumente. Der Deutsche brachte die
Partieformulare mit, auf denen Fischer und Spasski ihre Züge notierten. Die
Originale behielten die Spieler, die Durchschläge gingen an die Fide. Deren
damaliger Präsident Max Euwe überließ sie nach dem Match Lothar Schmid, der sie
zu Hause in Bamberg 30 Jahre lang sorgfaltig aufbewahrte. Hrannar Björn
Arnarsson, der Präsidenten des isländischen Schachverbandes, und Großmeister
Helgi Ólafsson drücken gegenüber Schmid ihre Zufriedenheit aus, dass die
Partieformulare nun ihre Heimat gefunden haben. „Dort gehören sie hin und nicht
zu einem alten Mann, wie mir“, meinte der Bamberger bescheiden. „Ihr dürft sie
für die nächsten hundert Jahre oder mehr behalten, in Erinnerung an ein
gelungenes Match“, sagte der gut gelaunte Hauptschiedsrichter am Ende der
Zeremonie am Originalschachtisch im Haus der Kultur. Einen Tag später war er –
ebenso wie Boris Spasski, der mit seiner Frau Marina gekommen war, dem
isländischen Staatspräsidenten Ragnar Grimsson, Hrannar Björn Arnarsson und
Fridrik Ólafsson - Ehrengast beim feierlichen Symposium. Nur einer fehlte: Bobby
Fischer.
Nachdem der isländische Präsident das Symposium eröffnet hatte, und erzählte wie
oft er selbst bei internationalen Reisen immer wieder auf das Match von 1972
angesprochen wird, war Boris Spasski der nächste Redner. „Ich fühle mich immer
wohl, wenn ich nach Island komme. Island zu besuchen gefällt mir“. Er zog eine
Fotokopie einer Karikatur hervor, die der isländische Karikaturist Sigmund
während des Duells gezeichnet hatte. „Dies war die beste Karikatur“, sagte
Spasski, „und der Text ist der Beste. Dort bittet Bobby mich zum Spielen zu
kommen und ich sage ich könne nicht spielen, da ich verschnupft sei“. Spasski,
der einen entspannten Eindruck machte, lachte laut und zeigte den Anwesenden das
Bild. Als Spasski gefragt wurde, wie er über das Duell gegen Fischer denkt,
sagte er: „Ich versuche, nicht daran zu denken“. Er fügte noch hinzu, dass er
trotzdem nicht so sentimental ist wie vor 30 Jahren. „Damals war ich sehr
empfindlich. Jetzt bin ich sogar ein guter Freund Bobbys. Ich habe keinerlei
negative Gefühle ihm gegenüber.“
Boris Spasski am Originaltisch von 1972
Als das Duell zwischen Spasski und Fischer stattfand, war der
Kalte Krieg in aller Munde. Der gebürtige Russe betrachtet sich nicht als
Repräsentant des Sowjet-Systems: „Ich sah mich selbst als Weltmeister und habe
ausschließlich an meine persönlichen Interessen gedacht. Ich habe mich als König
des Schachs verstanden. Diese sind immer allein, keiner hilft ihnen. Es ist
wichtig zu bedenken, dass die schlimmsten Jahre meines Lebens die waren, in
denen ich Weltmeister war. Ich trug sehr viel Verantwortung als
Schachweltmeister, aber niemand half mir.“ Er hob hervor, dass er nie
Verbindungen zu den politischen Machthabern in der Sowjetunion stand. „Ich war
kein Kommunist. Aber selbstverständlich hatte ich großes Interesse das Match
gegen Bobby zu spielen. Es spielte auch eine Rolle, dass das Preisgeld sehr hoch
war.“
Der zehnte Weltmeister erzählte ferner, dass er sich Monate lang auf das Match
mit Fischer vorbereitet hatte und in guter körperlicher Verfassung war, als es
zum Zweikampf kam. „Ich war optimistisch, aber wenn man beim Sport kein starkes
Nervenkostüm hat, verliert man. Die Begegnungen mit Fischer in den Tagen vor dem
Match haben großen Einfluss auch mich gehabt. Es hat mich besonders beeinflusst,
dass Fischer nicht zur Eröffnungszeremonie vor dem Match erschienen ist, obwohl
viele wichtige Leute anwesend waren, darunter der damalige isländische
Präsident. Es war alles gut vorbereitet, aber Bobby schlief irgendwo“. Auf
Nachfragen, welchen Einfluss das Match auf ihn persönlich gehabt hat, antwortete
Spasski: “Ich war innerlich völlig leer“, und fügte hinzu, dass der Ausgang
natürlich seinen positiven und negativen Seiten gehabt habe. „Ich war eine Weile
sehr depressiv. Nach dem Match haben mir die Machthaber in Moskau neun Monate
lang verboten an internationalen Turnieren teilzunehmen. Diese neun Monate waren
eine schwere Zeit“. Ob Spasski noch Kontakt zu Fischer habe, wollten
selbstverständlich alle Anwesenden wissen. „Ja, ich stehe in E-Mail Kontakt zu
ihm“, resümierte er abschließend.
Auch Lothar Schmid hielt einen Vortag über das Match. Der Schiedsrichter war
sichtlich zufrieden wieder nach Island gekommen zu sein. „Hier kommen
Erinnerungen wieder hoch. Das waren großartige Zeiten vor 30 Jahren, nicht nur
in der Schachwelt, sondern allgemein. Der Kalte Krieg war in aller Munde und
dort trafen sich am Schachbrett Vertreter von Ost und West, wenn man das so
sagen darf. Das Duell war meiner Meinung nach das Wichtigste in der gesamten
Schachgeschichte, nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Weltpolitik in der
Zeit. Das Match war nicht nur ein wichtiges Ereignis für die Isländer, sondern
für die ganze Welt. Wir dürfen den Isländern sehr dankbar sein, dieses Match
organisiert und dies sehr gut gemacht zu haben.“ Seiner Meinung nach markiert
das Match den Beginn besseren Umgangs zwischen den Großmächten. Trotz gewisser
Schwierigkeiten wurden Streitpunkte besprochen und gelöst. „Die Aufgabe für die
Schiedsrichter war ganz schwierig. Das Gefolge Spasskis waren schwierige
Gesprächspartner, genau wie Bobby Fischer und seine Leute. Das Match war extrem
spannungsgeladen. Fischers Anwalt kam zu mir und forderte, dass die dritte
Partie in einem Nebensaal der Laugarsdallshöll stattfinden sollte. Wenn nicht,
würde er einen großen Hammer nehmen und das Schachbrett zertrümmern. Ich fand
dieses Benehmen unglaublich und unmöglich, fragte aber Spasski ob er in einem
anderen Saal spielen würde. Er zeigte viel Sportsgeist in dem er dem zustimmte
und brachte somit ein Opfer. Er verlor die dritte Partie und hatte danach
Schwierigkeiten.“ Schmid freute sich Spasski in Island zu treffen, aber leider
war Fischer nicht anwesend, und nur wenige wissen, wo er sich niedergelassen
hat. Auch Schmid hat keine Kenntnis, wo Fischer sich aufhält: „ Spasski habe ich
einige Male nach dem Match 1992 getroffen, aber Bobby habe ich seit dem Match in
Jugoslawien vor zehn Jahren nicht mehr gesehen.“
Alle Zeitungen in Island berichteten ausführlich über das Jubiläum. Sämtliche
Fernsehkanäle Islands hatten das Ereignis in ihren Programmen. Für jeden
Isländer ist dies selbstverständlich, da Schach spätestens seit dem
Jahrhundertmatch ein sehr populärer Sport ist. Für die isländische Nation war
der Wettkampf eines der bedeutendsten sportlich-kulturellen Ereignisse ihrer
jüngeren Geschichte und mit der Ausstellung der Memorabilien und dem Symposium
im August wurde das Match nachdrücklich in Erinnerung gebracht. Nur der König
von damals fehlte. Der elfte Weltmeister musste allein auf seinen größten Erfolg
zurückblicken.