Rückkehr aus Wijk
Von André Schulz
Aufmerksame Leser dieser Webseite erinnern sich möglicherweise an
die Beschreibung eines gescheiterten Rückreisunterfangens eines
ChessBase-Reporters, der am vergangenen Donnerstag - zeitgleich mit Orkan Kyrill
- seine Rückreise anzutreten beschlossen hatte. Viele Leser wollten wissen: Was
ist aus ihm geworden? Nach dem ersten gescheiterten Versuch, aus Wijk
wegzukommen, fand der Reporter zu seinem Glück erneute Aufnahme im
gastfreundlichen Hotel Zeeduin. "Ja für eine Nacht, das kann gehen," hieß
es. Die Betonung liegt auf dem Wort "eine".
Hotel Zeduin nach dem Sturm
Während in den vorherigen Nächten der Kühlschrank im Zimmer durch beständiges
lautes Brummen besonders nachts auf seine beschwerliche Tätigkeit aufmerksam
gemacht hatte, war diesmal nichts von ihm zu hören. Seine Geräusche wurden
vollständig vom Pfeifen des Sturmes verdeckt, der in der Nacht immer noch über
das Land fegte, wenn auch mit etwas verminderter Geschwindigkeit.
Sand kam selbst durch das geschlossene Fenster
Das Hotel selbst hatte auch mit
Schwierigkeiten zu kämpfen. Am Morgen schon war vorübergehend das Internet
ausgefallen, was einige Spieler, die aufgeregt an der Rezeption erschienen, in
ihrer Partievorbereitung zurück warf. Die Decke des Wintergartens, der als Restaurant und
Frühstücksraum genutzt wurde, war außerdem nach tagelangem Regen ziemlich durchgeweicht. Das Personal hatte einige der
Deckenplatten abnehmen müssen, da diese zerbröselten und stückweise in den
Frühstücks-Kaffee zu tropfen drohten. Überraschendes kam am Freitag früh
dahinter dort zum Vorschein.
Huch: Ein Kabel in der Decke
Nach dem Frühstück war für unseren
Berichterstatter die Zeit gekommen, erneut eine Abreise zu wagen. Zwar wehten
noch einige Böen, aber Kyrill war inzwischen vorbei gezogen. Selbst die Deutsche
Bahn ("Alle reden vom Wetter, wir nicht!"), die am Donnerstag bundesweit ihren
Betrieb eingestellt hatte, sollte wohl inzwischen ihr Reisesystem auch neu gebootet
haben, konnte man denken. Die im Frühstücksraum Sitzenden quittierten die
erneute Verabschiedung mit einem pragmatischen "Kannst du bitte eine Zeitung
mitbringen, wenn du wieder zurück kommst" und fröhlichem Kichern.
Nun, diesmal gab es kein Zurück. Was unser Schachreporter jedoch nicht wusste:
Seine Reise sollte zwei Tage dauern und zehn verschiedene Fahrzeuge benötigen.
Zunächst lief noch alles nach Plan. Ein Taxi brachte unseren Mann nach Beverwijk.
Dort traf gerade ein niederländischer Regionalzug ein, den unsere Nachbarn "Stoptrein"
nennen. Was ein Glück - Wartezeit gespart.
Der erfahrene
Holland-Bahnreisende weiß außerdem, dass in Amsterdam die Bahnsteige in "a" und
"b" unterschieden werden. Wer auf 14a wartet, weil er dem kleinen Buchstaben im
Anhang keine Bedeutung geschenkt hat, wird seinen Zug auf 14b niemals erreichen.
Doch wer schon einmal in Amsterdam umgestiegen ist, kennt diese Falle. Dort angekommen, war schnell klar, dass das niederländische
Bahnnetz vollkommen intakt und fahrplanmäßig arbeitete. Na prima. Am Bahnsteig
fuhr dann auch wie erwartet der IC nach Ammersfort ein.
Wer in Deutschland einen IC
kennen gelernt hat, muss sich von der Vorstellung trennen, ein IC in den
Niederlanden sei vielleicht das gleiche. Der IC von Amsterdam nach Ammersfort
glich mehr einem rollenden Industriedenkmal auf Schienen. Das Abteil hatte den Plaste-Charme der 60 Jahre.
Hereinspaziert
Immerhin war der Zug recht leer und er fuhr.
Der freundliche niederländische Bahnbedienstete in Ammersort schüttelte bedenklich mit dem
Kopf, sein Gesicht war ein einziges Bedauern. "Gerrmany? Osnabrück? No Way. The
whole train system in Germany is currently a mess! The only chance is, to go
over Groningen and then to Leer."
Bahnhof Ammersfort
Na gut. Auch der Zug von Groningen nach Leer war ebenso archaisch wie der von
Amsterdam nach Ammersfort. Aber auch er fuhr. Im Vergleich zu einem deutschen ICE 3
ist die Bahn in den Niederlanden etwa 40 Jahre zurück. Aber sie funktioniert,
vielleicht ja deshalb.
Bahncharme bei Frau Antje
In Jahren fortschreitenden Privatisierung und Optimierung hat die deutsche Bahn
nun ja bald alle unrentablen Strecken still gelegt und sich dabei um einige
Ausweichstrecken gebracht. Fällt nun irgendwo ein Baum auf die Schienen, fällt
gleich die ganze Strecke aus.
In Groningen fuhr
eine im Vergleich zu den vorherigen Vehikeln ziemlich modern anmutende S-Bahn nach Nieuweschans nahe der deutschen
Grenze. Man deutete an, dass wohl auch noch eine Bahn zu erwarten ist, die bis
nach Leer fahren solle. Am Rande des Bahnsteig wartete jedoch ein Fahrzeug der Weser-Ems-Bus, das nach Leer fuhr.
Mit diesem ging es über die Grenze, wo deutsche Zöllner sich freuten, endlich
einmal jemanden kontrollieren zu dürfen. Der Mann mit dem großen Koffer und der
PC-Tasche sah einfach zu lustig und zu ungewöhnlich auf dieser Strecke aus.
Leider fand sich selbst im CD-Laufwerk des mitgeführten PCs kein roter Libanese
und auch große Bargeldmengen konnten nicht festgestellt werden. In Leer wurde
unser Reisender von Freunden am Bahnhof abgeholt, die ihm auch Unterkunft
gewährten.
Am nächsten Tag ging es weiter mit einem Regionalzug von Leer nach Bremen. Ohne
Probleme und fahrplanmäßig. Damit war dann aber in Bremen schon wieder Schluss.
Der Anschluss-IC wurde mit einer Verspätung von "45 Minuten" ausgewiesen. "45
Minuten Verspätung" bedeutet in Bahn-Deutsch: "Wir wissen nicht wann er kommt,
wie wissen nicht ob er kommt". Oder um im Bahner-Werbedeutsch zu bleiben:
"Die Bahn kommt - nicht"
Stattdessen wurde die Bremen-Hamburg
Regionalzug-Verbindung "Metronom" angeboten. Dieser fuhr vermutlich
nur deshalb, weil er nicht von der Bahn, sondern von der Metronom-Gesellschaft
betrieben wird. Zahlreiche Bahnkunden machten
von dem Angebot dankend Gebrauch, weit mehr als der Zug Sitzplätze hatte. Unser Schachreisender
hatte Glück und ergatterte einen Notsitzplatz im Durchgang vor dem WC.
Eigentlich hätte ihm sein Ticket sogar einen Platz in der Ersten Klasse erlaubt. Doch
diese war am anderen Ende des Zuges untergebracht und der Weg dorthin von
Hunderten Fußball-Fans verstellt, die auf dem Weg in die Hamburger AOL-Arena zu einem Testspiel zwischen dem HSV und Bayern München waren. Unser Schlachtenbummler verbrachte gesellige anderthalb
Stunden zusammen mit einer Gruppe von HSV-Fans. Außer am Trikot erkannt man diese an
der Dose Astra in der Hand. Werder-Fans bevorzugen stattdessen Becks. Die Fußballfans mit den Astra-Dosen erwiesen sich als
fröhliche Burschen mit viel Humor. Zahlreiche Kalauer, z.B. über das WC und seine
Besucher, wurden den staunenden Mitreisenden zum Besten gegeben. Die Zeit verging wie im
Flug.
Nach zwei Tagen endete die Reise am Hamburger Hauptbahnhof.
Dieser stammt noch aus der guten alten Zeit, ist nur zwei Stockwerke hoch und so
stabil gebaut, dass die Reisenden sich nicht nach umher fliegenden Stahlträgern
umsehen müssen, wie in Berlin. Die FAZ schlug vor, den
Berliner Bahnhof still zu legen und nur noch als Kunstwerk zu verwenden, zu dem
es kürzlich erklärt wurde. Bald würde er ohnehin in sich zusammenfalle und könne
dann als industrielles Denkmal endlich voll zur Geltung kommen.
Einstürzende Neubauten
"Timber!"