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Im Zweiten Weltkrieg waren eine Reihe von britischen Schachspielern maßgeblich mit daran beteiligt, die geheimen Schlüssel der Deutschen Wehrmacht zu entschlüsseln. Wieso hat man ausgerechnet Schachspieler für diese Aufgabe ausgewählt?
Schachspieler wurden deshalb ausgewählt, weil sie große Fähigkeiten der Mustererkennung haben. Starke Schachspieler haben zig-tausend Figurenmuster im Gedächtnis gespeichert – wie zum Beispiel die Zugfolge zum erstickten Matt - und sie erkennen oft sofort, welches Muster in einer Schachposition in der Tiefe der Stellung verborgen ist, selbst wenn es stark verschleiert auftritt. Und die Worte eines verschlüsselten Textes sind ebenfalls verschleierte Muster – in dem Fall Buchstabenmuster - die erkannt werden sollen.
In gewisser Weise hat jeder Mensch Mustererkennungsfähigkeiten. Es gibt zum Beispiel Studien darüber, dass die meisten Menschen einen Text ohne weiteres noch verstehen können, wenn jedes Wort so verändert wurde, dass zwar Anfangs- und Endbuchstabe in ihren Positionen bleiben, aber alle Buchstaben im Inneren nach dem Zufallsprinzip durcheinandergebracht sind, wie etwa:
„Afrugnud enier Sudtie an eienr Uvirsnäiett“
was sich verstehen lässt als „Aufgrund einer Studie an einer Universität“.
Schachspieler sind allerdings extrem gut beim Aufspüren von Mustern. Wie übrigens auch Mathematiker.
Nach einer möglichen Definition ist Mathematik sogar die Wissenschaft von den Mustern. Die Zahlentheorie etwa ist die Lehre von den Mustern innerhalb der ganzen Zahlen. Die Stochastik versucht Muster im Zufallsgeschehen aufzudecken. Denn auch der Zufall ist nicht regellos und musterfrei, sondern befolgt Gesetze, wie etwa das Gesetz der Großen Zahlen.
Die berühmteste Verschlüsselungsmaschine der Deutschen war die Enigma. Können Sie kurz skizzieren, wie diese funktioniert hat?
Eine Enigma gleicht äußerlich einer Schreibmaschine. Sie hat ein Tastenfeld und ein Lampenfeld, jeweils mit 26 Buchstaben. Wenn eine Buchstaben-Taste gedrückt wird, leuchtet eine andere Buchstaben-Lampe im Lampenfeld auf. Das ist dann die Verschlüsselung des gedrückten Buchstabens. Bis er die Buchstaben-Lampe zum Aufleuchten bringt fließt der Strom auf komplizierte Weise innerhalb der Maschine hin und her über 5 Kodierwalzen und durch eine Matrix von Steckkontakten, die Buchstabenvertauschungen vornehmen. Soll die Enigma eingesetzt werden, ist ein „Schlüssel“ nötig. Mit ihm wird festgelegt, welche Steckkontakte vorgenommen und wie die Walzen eingestellt werden. Eine der Walzen dreht sich nach jedem Tastendruck weiter, die anderen Walzen mehr oder weniger stark versetzt, wie bei einem Kilometerzähler. Insgesamt gibt es rund 200 Trilliarden verschiedene „Schlüssel“. Und jeden Tag wurde ein anderer gewählt.
Daraus ergibt sich die Aufgabe, der sich ein Entschlüsseler gegenübersah: Herauszufinden, welcher Schlüssel aus diesem ganzen Universum von Schlüsseln als Tagesschlüssel verwendet wurde.
Christian Hesse im Gespräch mit Vladimir Kramnik
In ihrem Buch: "Das kleine Einmaleins des Klaren Denkens" (Beck, 2010) haben Sie der Geschichte um die Enigma und ihrer Entschlüsselung ein Kapitel gewidmet. Was ist so faszinierend an dieser Geschichte?
Was ich persönlich faszinierend finde an dieser Geschichte - dem Geheimprojekt mit dem Namen Ultra - ist, dass die britischen Kryptologen unter Leitung von Alan Turing einen unschätzbaren Anteil daran haben, dass Hitler besiegt werden konnte. Auch die Menschen, die es sehr gut einschätzen können, haben das so gesehen. Dwight D. Eisenhower, im Krieg der Oberkommandierende der alliierten Streitkräfte und später US-Präsident, hat die Enschlüsselung der Enigma als „entscheidend“ für den Sieg bezeichnet.
Noch direkter sagte es Winston Churchill: „Es war Ultra zu verdanken, dass wir den Krieg gewonnen haben.“ An anderer Stelle bezeichnete er Turing als den Menschen, der den größten Beitrag zum Kriegsgewinn der Alliierten geleistet habe. Und Schachspieler wie C.H.O.D (genannt „Hugh“) Alexander (zweimaliger britischer Schachmeister), Donald Michie, der später Schachcomputer entwickelte und Irving J. (genannt „Jack“) Good (Schachchampion von Cambridge, später Professor für Mathematik in den USA) haben ihn dabei unterstützt.
Jack Good habe ich 1988 einmal an der Universität von Berkeley (USA)) bei einem Vortrag zu diesem Thema getroffen, als er schon über 70 war. Einige Details sind mir in guter Erinnerung geblieben. Er berichtete damals von der großen Intensität der Arbeit am Projekt Ultra. Er sagte, es war ungefähr so intensiv, wie jeden Tag zwei oder drei Turnierpartien Schach zu spielen. Und das Tag für Tag über mehrere Jahre. In den wenigen freien Stunden spielte er mit Turing Go, wobei er der bessere war und Turing eine Vorgabe von 6 Steinen geben konnte. Er sagte, Turing sei ein extrem tiefer, aber nicht ganz so schneller Denker gewesen.
Das kleine Einmaleins des klaren Denkens, Beck, 14,95
Mit Alan Turing spielte ein Mathematiker bei der Entschlüsselung eine sehr wichtige Rolle. Ist das Zufall, oder ist der mathematische Ansatz der logischste Versuch der Entschlüsselung?
Jeder Code ist letztendlich eine Verwürfelung der Buchstaben des Alphabets. Mathematiker nennen das eine Permutation. Und die Permutations-Theorie ist ein sehr detailliert ausgearbeitetes Teilgebiet der Mathematik. Aufgrund der Konstruktionsweise der Enigma lässt sich die Gesamt-Permutation, die sie herbeiführt, in einzelne Teil-Permutationen zerlegen, teils variable und teils feste, die im Zusammenwirken bestimmte mathematische Eigenschaften haben. Insofern ist es nicht überraschend, dass Mathematiker eine entscheidende Rolle gespielt haben, bei der Analyse der Eigenschaften der Enigma und deren Entschlüsselung.
In ihrem Buch beschreiben Sie im Detail, wie die Entschlüsselung aus mathematischer Sicht erreicht wurde. Können Sie den Weg hier noch einmal kurz beschreiben?
Die Enigma hat einige kryptographische Schwächen. Zum Beispiel kann kein Buchstabe durch sich selbst verschlüsselt werden, da der Strom innerhalb der Maschine nicht auf demselben Weg zurückfließen kann, den er gekommen ist. Das schränkt die Anzahl der möglichen Schlüssel stark ein und öffnet einen Spalt für einen kryptografischen Angriff.
Turings Entschlüsselungsverfahren basierte auf der sogenannten Methode der wahrscheinlichen Worte, der cribs. Turing hatte unter anderem festgestellt, dass die Deutschen immer morgens kurz nach 6 Uhr einen Wetterbericht verschickten, eingeleitet mit WETTERNULLSECHS.
Ein jedes crib lässt Rückschlüsse auf den Schlüssel zu, mit dem jenes crib verschlüsselt worden ist. Man kann nämlich feststellen an welcher Textstelle im verschlüsselten Text sich das crib nicht befindet. Dazu muss man für jede mögliche Platzierung des crib prüfen, ob ein Buchstabe durch sich selbst verschlüsselt wäre, was die Enigma ja in keiner ihrer Einstellungen kann. Jeder derartige Fall erlaubt es dann, die zugehörigen Einstellungen als möglichen Schlüssel auszuschließen.
Dies ist, stark vergröbert, das Grundprinzip, das ich in meinem Buch viel detaillierter beschrieben und an einem Beispiel verdeutlicht habe. Aber die Details würden den Rahmen hier sprengen.
Turing ließ eine große Maschine bauen, die diese Überlegungen umsetzte: die Turing-Bombe. Sie konnte Ende 1940 den jeweiligen Tagesschlüssel der deutschen Streitkräfte innerhalb einer Stunde erarbeiten.
Welche Auswirkungen hatte die Entschlüsselung der deutschen Codes für den Verlauf des Zweiten Weltkrieges? Wäre der Ausgang sonst anders gewesen?
Ich glaube, man kann es ganz deutlich und ohne Übertreibung so sagen: Der Mathematiker Alan Mathison Turing hat den zweiten Weltkrieg entschieden.
Kann man sagen, dass die Enigma selber eine Art Frühform des Computers war, wenn auch mit eingeschränktem Programm?
Ein Computer ist ein System, das nach dem englischen Grundwort „Berechnungen“ durchführen kann. Im Jahr 1946 wurde dieser Begriff zum ersten Mal in Zusammenhang mit einer Maschine verwendet. Und auch die maschinelle Zuordnung eines Geheimtextbuchstabens zu einem Klartextbuchstaben ist eine Art von Berechnung. Insofern kann man die Enigma, die im Jahre 1918 vom deutschen Elektroingenieur Arthur Scherbius entwickelt wurde, durchaus als Frühform des Computers bezeichnen. Eine noch viel ältere Frühform des Computers ist auch der Abakus, dessen Gebrauch sich bis circa 1000 vor Christus zurückverfolgen lässt.
Außer Mathematikern waren auch viele Schachspieler an der Entschlüsselung beteiligt. Sind Schachspieler mathematisch begabt oder habe Sie andere Fähigkeiten, die hier nützlich waren?
Meine Erfahrung ist eigentlich, dass die mathematische Begabung und die Begabung für das Schach zwei verschiedene Formen von Begabung sind. Zwar interessieren sich überdurchschnittlich viele Mathematiker auch für Schach und viele Schachspieler haben umgekehrt eine gewisse Mathematik-affinität. Aber wer sehr gut in Mathematik ist, muss nicht unbedingt auch ein sehr starker Schachspieler sein. Und umgekehrt auch nicht.
Wie funktionieren denn heutige Verschlüsselungen und wie kann man sie knacken?
Primzahlen haben die Verschlüsselungsmethoden revolutioniert. Die allermeisten derzeitigen Verschlüsselungen basieren darauf, dass es für moderne Hochleistungsrechner ein leichtes Spiel ist, sehr große, z.B. 300-stellige, Primzahlen miteinander zu multiplizieren. Aber umgekehrt, wenn nur das Produkt der beiden Primzahlen gegeben ist, dann würde es selbst für die schnellsten heutigen Computer Jahrzehnte dauern, bis sie die beiden Primzahl-Faktoren errechnet haben.
Die Verschlüsselungs-Verfahren arbeiten nun so, dass der zu verschlüsselnde Klartext zunächst in eine Zahl umgewandelt wird. Für die Verschlüsselung dieser Zahl wird dann grob gesagt das Produkt zweier vorabbestimmter großer Primzahlen verwendet. Ein Code-Knacker müsste zwecks Entschlüsselung, dieses Produkt in Faktoren zerlegen. In überschaubarer Zeit ist das aber hoffnungslos.
Sie haben schon eine Reihe von Büchern zur Mathematik, aber auch zum Schach veröffentlicht. Welches wird ihr nächstes Buch sein?
Gegenwärtig arbeite ich an einem Buch mit dem ARD-Meteorologen und Moderator Karsten Schwanke. Es soll Anfang 2020 Im Verlag Droemer erscheinen. Der Titel lautet: „Von Glückszahl bis Geheimzahl: Mit Mathe die Rätsel des Alltags lösen“. Wir betrachten darin den ganz normalen Alltag mit der Mathematik-Brille und schauen, wo Zahlen vorkommen und welche Bedeutung sie haben: Dabei lassen sich ganz faszinierende Beobachtungen machen.
Es zeigt sich, das Zahlen und auf Zahlen aufbauende Methoden an allen Ecken und Enden nützlich sind und unser Leben besser, interessanter und teils auch kurioser machen.
Ein Kapitel befasst sich mit den Lebensrisiken durch verschiedene Aktivitäten, von Zigarettenrauchen bis Motorradfahren. Ein anderes mit den Gefahren des Klimawandels. Aber wir sprechen nicht nur von den Risiken des Lebens, sondern auch von den Chancen, wie etwa beim Lottospielen. Oder den verschiedenen Möglichkeiten der Verschlüsselung, die teils Jahrtausende alt sind. Selbst im indischen Kultbuch Kamasutra wird eine Methode des Verschlüsselns von Liebesbriefen erwähnt.
Oder ein kurioses Thema: Man kann durch systematisches Treppensteigen im Turm des Kölner Doms hinterher angeben, dass er genau 533 Stufen hat, ohne die Stufen abgezählt zu haben. Das geht mit einem Theorem der alten Chinesen.
Noch ein anderes Beispiel, dass aus einer der Sherlock Holmes Geschichten stammt: Wie kann man den Spuren, die ein Fahrrad im Matsch hinterlassen hat, mit ein bisschen Geometrie sofort entnehmen, ob das Fahrrad von links nach rechts oder von rechts nach links fuhr. Genau vor dieser Frage, stand einmal Conan Doyles Meisterdetektiv, um einen Fall zu lösen. Doch er nutzte für die Antwort eine mathematisch unzureichende Methode.
Man sieht, dass das Buch neben ernsten und amüsanten auch spielerische Elemente enthält.
Herzlichen Dank!
Die Fragen stellte André Schulz
Christian Hesse ist einer der bekanntesten Mathematiker Deutschlands. Eingeschult im sauerländischen 1500 Seelen Ort Neu-Listernohl promovierte er 21 Jahre später an der renommierten Harvard University in Cambridge, Massachusetts (USA) im Fach Mathematik. Von 1987 bis 1991 lehrte er als Assistenzprofessor an der University of California in Berkeley. Im Jahr 1991 berief der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel den damals 30-Jährigen als jüngsten Professor der Bundesrepublik nach Baden-Württemberg, wo er eine Professur für Mathematik an der Universität Stuttgart antrat. Er beriet das Bundesverfassungsgericht 2012 bei dessen Wahlrechtsurteil, sowie im vergangene Jahr den Präsidenten des Deutschen Bundestages bei dessen Bemühungen um eine Reform des Bundestagswahlrechts.