Politiker und Schach
Von André Schulz
Die Frage, ob die Strategien in Schach und Politik
vergleichbar sind, wird je nach Standpunkt nachhaltig bejaht oder auch
heftig bestritten. Unstrittig ist aber, dass es unter den Politikern eine
Reihe von zum Teil sehr guten Schachspielern gibt und dass es eine
Verbindung zwischen den beiden Disziplinen gibt.
Schach wird gerne das königlich Spiel genannt, weil es früher vor allem an
den Königshöfen zu Hause war. Der Sage nach ist es als Kriegsersatz im
Auftrag eines indischen Königs entstanden, der der vielen richtigen Kriege
müde wurde. Stattdessen sollten die Streitigkeiten nun in Miniatur
ausgefochten werden. Von Indien gelangte das Spiel nach Persien und über
die Araber nach Europa. Auch hier war es das Spiel der Könige. Da die
Könige nichts anderes als die mächtigsten Politiker ihrer Zeit waren, ist
die Verbindung von Schach und Politik von Anfang an verbürgt, mehr noch:
Schach ist eigentlich nichts anderes als ein Politikspiel und das
Schachvokabular mit seinen Begriffen wie "Bauernopfern", "Zeitnot",
"Patt", usw. hat deshalb auf ganz selbstverständliche Weise Einzug in das
Vokabular der Politik gehalten.
Eine sehr enge Verbindung zwischen Schach und Politik gab es im Vorfeld
der französischen Revolution. In Paris traf
sich die intellektuelle Schickeria, darunter Vordenker wie Voltaire,
Jean-Jaques Rousseau oder Diderot im Café de la Régence:
"Wenn es gar zu kalt oder regnicht ist, flüchte ich mich in den Café de la
Régence und sehe zu meiner Unterhaltung den Schachspielern zu. Paris ist
der Ort in der Welt, und der Café de la Régence der Ort in Paris, wo man
das Spiel am besten spielt. Da, bei Rey, versuchen sich gegeneinander der
profunde Légal, der subtile Philidor, der gründliche Mayot. Da sieht man
die bedeutendsten Züge, da hört man die gemeinsten Reden. Denn, kann man
schon ein geistreicher Mann und großer Schachspieler zugleich sein, wie
Légal, so kann man auch ein großer Schachspieler und albern zugleich sein,
wie Foubert und Mayot." (Diderot, Rameaus Neffe).
Hier waren aber auch Benjamin
Franklin, der spätere amerikanische Präsident und Napoleon zu finden.
Franklin weilte in Paris als
offizieller Gesandter der kürzlich gegründeten USA und war
Mitunterzeichner des Pariser Unabhängigkeitsvertrages, im Übrigen
begeisterter Anhänger des Schachspiels. 1779 hatte er in London sein "The
Morals of Chess" geschrieben. 1791 wurde in St.Petersburg eine aus dem
Französischen ins Russische übersetzte Version gedruckt. Diese war
zugleich das erste Schachbuch in russischer Sprache.
Napoleon trat später, 1809 in Wien, gegen den berühmten Schachtürken an,
den er vielleicht schon von dessen Tournee aus Paris kannte. Einige
Einzelheiten wurden vom Diener Napoleons in seinen Memoiren 1830
überliefert. Danach soll Napoleon den Automaten durch regelwidrige Züge
geprüft haben. Es ist ungesichert, ob danach eine richtige Partie gespielt
wurde, immerhin ist eine Notation vorhanden. Napoleon starb 1821 und mit
ihm der bedeutendste Politiker jener Zeit, wenn auch inzwischen
"abgewählt", wie man heute sagen würde.
Wir müssen einen kleinen
Zeitsprung mache, um zum nächsten bedeutenden Schach spielenden Politiker
zu gelangen. Dieser lebte in der Züricher Spiegelgasse 14, unweit des
Eckhause Spiegelgasse 1, das einen Weltkrieg später das Dada-Theater
Cabaret Voltaire beherbigen wird. Vladímir Iljítsch Uljánov,
später Lenin genannt, gehört zu einer Gruppe von russischen Exilanten, die
die Theorien und Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels sehr
aufmerksam studiert hatten.
1917 fährt Lenin mit Erlaubnis der
Deutschen Reichregierung ins brodelnde Moskau, um bei der Machtübernahme der Bolschewiken zu helfen. Unter den bolschewistischen Aktivisten
befand sich auch Nikolai Krylenko, der zunächst zum Militärkommissar
ernannt wird. Er ist es, der Deutschland das Angebot eines
Waffenstillstandes macht.
Gorki, Bogdanow, Lenin (Capri 1908)
Der
Schachboom, der in den nächsten Jahren in der UdSSR ausgelöst wird, geht
auf Krylenko zurück: Dieser ist inzwischen Justizkommissar. Von ihm stammt
der Ausspruch: "Es reicht nicht, wenn man die Schuldigen erschießt. Erst
wenn man einige Unschuldige hinrichtet, sind die Leute beeindruckt."
Krylenko machte Schach nicht nur in der Sowjetunion zum Arbeitersport.
Auch in anderen Ländern, zum Beispiel Deutschland, werden in den Zwanziger
Jahren unter dem Einfluss der sowjetischen Arbeiterbewegung viele
Arbeiterschachvereine gegründet. 1938 ließ Stalin, der wahrscheinlich die
feinsinnigen Unterschiede Krylenkos zwischen schuldig und unschuldig schon
gar nicht mehr kannte, diesen von der politischen Bühne entfernen, sprich:
hinrichten.
Stalin, obwohl aus dem Schach begeisterten Georgien stammend, hat sich als
Schachspieler nicht hervor getan. Ebenso wenig wie Hitler oder Mao. Diese
waren vermutlich zu sehr mit den anderen Dingen beschäftigt, die sie in
der Geschichte bekannt gemacht haben. Lenin hinzugezählt, könnten
Statistiker anhand dieser Stichprobe dennoch erschließen, dass jeder
vierte Massenmörder Schachspieler war. Wahrscheinlich muss man sogar noch
Napoleon hinzu zählen.
Otto Schily erschrak jedenfalls
furchtbar, als er einmal in einem Interview als Schach spielender
Politiker in eine Reihe mit Weizsäcker, Schmidt (was ihm gefiel) und dann
Lenin gewürdigt wurde.
Doch
zurück zu den harmloseren Schachspielern unter den politisch aktiven
Zeitgenossen. Zu den bekannten kommunistischen Politikern mit
Schachambitionen gehören Tito und Che Guevara. Besonders Che Guevara hat
das Schach in Kuba gefördert und holte als Industrieminister 1966 die
Schacholympiade nach Havanna.
Als Kortschnoj in Havanna gegen
Prominente simultan spielte, saß auch Che Guevara am Tisch. Man riet
Kortschnoj, aus diplomatischen Gründen remis zu spielen, aber Viktor
machte auch mit dem Industrieminister kurzen Prozess: "Er hat keine Ahnung
von Katalanisch", lautete die sicher für jeden leicht nachvollziehbare
Begründung des späteren Vizeweltmeisters. Ob er mit Krylenko genauso
verfahren wäre?
Nach dem Zusammenfall der UdSSR im
ausgehenden 20 Jh. sind viele russische Juden nach Israel emigriert. Einer
der führenden Vertreter dieser Gruppe ist Nathan Scharansky. Scharansky
hatte als "Refusnik" in der Sowjetunion am eigenen Leib das erlebt, was in
Zweigs "Schachnovelle" beschrieben wurde: In Einzelhaft spielte er
Tausende Partien gegen sich selber. Geboren wurde er 1948 als Anatolij
Scharansky und war u.a. als Übersetzer für Andrej Sacharow aktiv. 1978
schickte man ihn als angeblichen US-Spion für acht Jahre in einen Gulag,
bis er 1986 frei kam und nach Israel auswanderte. Er ging in die Politik
und wurde in der Partei für russische Einwanderer aktiv. Unter Nethanjahu
war er Industrieminister.
Scharansky (li.) und Nethanjahu
Im Wahlkampf von 1999 warben die
israelischen Politiker um die Stimmen der russischen Einwanderer, die dem
Schach zumeist sehr zugetan sind. So geriet Schach plötzlich mitten in den
Wahlkampf. Scharansky und Nethanjahu zeigten sich beim Schachturnier.
Ein starker Schachspieler ist auch
der litauische Politiker, ehemalige Parlamentspräsident und jetzige
EVP-Abgeordnete im Europaparlament Vytautas Landsbergis. Als 1999 die
Hauptstadt Litauens Wilna sich in Berlin vorstellte, kam es zum Wettkampf
über zwei Blitzpartien zwischen Landsbergis und dem deutschen
Innenminister Otto Schily im Schlosspark von Schloss Charlottenburg, den
der Litauer mit 2:0 für sich entschied.
Unter den deutschen Politikern
gibt es eine ganze Reihe, die sich im Schachspiel geübt haben. An erster
Stelle ist der frühere Kanzler Helmut Schmidt zu nennen, der meistens
gegen seine Frau Loki spielt. Wer den Aber auch Peter Struck und viele
andere wurden von Schmidt in der Vergangenheit im Schach geprüft. Heute
ist Helmut Schmidt fast Neunzig Jahre alt und geistig immer noch topfit.
Vielleicht hat ihm dabei auch das Schach geholfen.
Schach spielte auch beim früheren
Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, nur zwei Jahre jünger als
Schmidt, eine große Rolle. Als Berliner Regierender Bürgermeister regte er
seinerzeit das Politikerschachturnier an, dass heute noch alljährlich
ausgespielt wird. Sein Sohn Robert brachte es sogar zum Bundesligaspieler
und vor Kurzem zum Großmeister im Fernschach.
"Schach fördert die Fähigkeiten
wie Konzentration, eine gute Beobachtungs- und Auffassungsgabe,
Kombinationsvermögen und Ausdauer. Fähigkeiten, die im Leben von Nutzen
sind," so Richard von Weizsäcker.
Ganz besondere Verdienste um das Schach hat sich Otto Schily als
Innenminister erworben. In seiner Amtszeit hat unermüdlich für das Schach
in Deutschland stark gemacht. 1998 nutzte er die Gelegenheit und spielte
auf der CeBit in Hannover gegen Garry Kasparov und sah dabei nicht
schlecht aus.
Er war häufiger Ehrengast Gast bei
großen offiziellen Schachveranstaltungen und nahm regelmäßig beim
Politikerschachturnier in Berlin teil. Auf seiner Ansprache bei der
175-Jahr-Feier des Deutschen Schachbundes betonte er den positiven
Einfluss des Schachs auf die Entwicklung Heranwachsender. Schach wirke
hier ähnlich wie eine musische Ausbildung.
Als sich Dresden für die
Schacholympiade 2008 bewarb, unterstützte Otto Schily diese Bewerbung.
Aber auch im Kleinen war Schily aktiv. Nicht zuletzt mit Hilfe seiner
Unterstützung konnte die in Hamburg bestehende älteste Schulschachgruppe
Deutschlands vor der Auflösung bewahrt werden.
Zu den Schachliebhabern gehört auch der nun abgelöste Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse.
Wie Schily war regelmäßiger Gast
beim Politikerschachturnier. Nicht unerwähnt bleiben darf Hans-Jürgen
Beerfeltz, Bundesgeschäftsführer der FDP, der den Berliner Schachfreunden
und Vereinen ebenfalls schon häufiger hilfreich zur Seite stand.
Amtsnachfolger von Otto Schily als
Innenminister ist Wolfgang Schäuble. Auch er ist ein guter Schachspieler
und hat beim Politikerturnier seine Fähigkeiten als gefährlicher
Angriffsspieler unter Beweis gestellt. Von ihm erhoffen sich die
Schachspieler eine Weiterführung der Politik seines Vorgängers.
Ein großer Förderer des Schachs ist Jens Beutel. Wahrscheinlich ist er der
spielstärkste Oberbürgermeister Deutschlands.
Die Chess Classic, eines das
bedeutendsten Schnellschachturnier der Welt hat er von Frankfurt nach
Mainz geholt und unterstützt diese Veranstaltung nun nach Kräften. Früher
hat Jens Beutel mit beachtlicher Spielstärke auf dem Niveau eines starken
Klubspielers an Turnieren und Mannschaftskämpfen teilgenommen. Heute
reicht die Zeit immerhin noch zur Teilnahme am Open der Chess Classic.
Zur Riege der Schach spielenden
Ministerpräsidenten gehörten der Saarländer Peter Müller und der ehemalige
NRW-Landesvater Peer Steinbrück, ebenso dessen früherer Vize Michael
Vesper.
Fußballtrainer Rapolder gegen Michael Vesper
Peer Steinbrück ist inzwischen zum
Bundesfinanzminister aufgestiegen. Im letzten Jahr war er Ehrengast der
WDR-Schachsendung, im vergangenen Sommer zog er sich in der
Bundeskunsthalle gegen Vladimir Kramnik beachtlich aus der Affäre.
Noch vor Amtsantritt dachte er vor einigen Tagen schon laut darüber nach,
ob man zur Rettung des Staatshaushalts nicht das deutsche Autobahnnetz
verkaufen könne. Für Schachspieler klingt das allerdings wie die
verzweifelten Suche nach einem studienartigen Remis durch Damenopfer in
einem völlig verlorenen Endspiel. Steinbrück hat hier eine Partie
übernommen, die seine Vorgänger schon vor langer Zeit in den Sand gesetzt
haben. Findet ein Schachspieler nun den richtigen Ausweg?