Die Tradition kehrt nach Groningen zurück
Von GM Dejan Bojkov
Wer nahm 1946 an der Staunton-Weltmeisterschaft in Groningen teil? Wo fand das
Turnier statt? Welcher Teilnehmer von damals ist noch am Leben und aktiv? Dies
sind Fragen, die einem bei einem Quiz im
Café
Atlantis in Groningen gestellt werden. Sie finden die Antworten weiter unten,
aber ich möchte Sie noch um etwas Geduld bitten. Und zwar wegen des 45. Groningen
Opens. "Wir wollen die 50 erreichen", erklärte Organisator Jan Colly in seiner
Eröffnungsansprache.
"Das Turnier hat schlechte und gute Zeiten gesehen", erzählte mir der starke
holländische Großmeister Ervin L'Ami, den ich bei meiner Reise nach Groningen
im Zug getroffen hatte. L'Ami, Mitglied der holländischen Olympiamannschaft,
war nach einer produktiven Trainingssession mit V. Chuchelov auf dem Weg nach
Hause. "Die letzten paar Jahre waren nicht so erfolgreich wie die Neunziger
Jahre, in denen mehr als 500 Spieler an dem Turnier teilgenommen haben. Aber
die Tradition lebt wieder auf", fährt L'Ami fort. Dieses Jahr gelang es den
Organisatoren, das A-Turnier noch stärker zu machen.
9 GMs nahmen teil, genau wie viele starke, junge und hoffnungsvolle Talente.
Es gibt auch ein B-Turnier, ein Kompakt-Turnier (das erst am 26. Dezember angefangen
hat). Im Zug höre ich, wie ein junges Mädchen erklärt, dass sie am nächsten
Tag Schach spielen wird. Seltsam, wie klein die Welt ist, sage ich mir - ich
sollte dieses Mädchen kennen. Ich schaue mich um, entdecke aber keine bekannten
Gesichter. Am nächsten Tag erkenne ich eins der Gesichter, die ich im Zug gesehen
habe, wieder - es gehört Carla Heredia Serrano und sie kommt aus Ekuador angereist!
Spieler aus 14 Nationen nehmen am A-Turnier teil. Am Bahnhof in Groningen treffe
ich auch noch Yochanan Afek aus Israel. Wir teilen uns ein Taxi und unterhalten
uns über das Schach in Holland. "Ich weiß, dass Du ein Teil des Jahres in Holland
lebst. Warum?" frage ich den IM. "Ich musste irgendeinen Ort finden, an dem
ich alt werden kann. Und ich habe festgestellt, dass Holland dafür das beste
Schachland ist!"
Das Schmuckstück des Schachfestivals ist der Wettkampf zwischen den beiden Jans
- dem amtierenden holländischen Meister Jan Smeets und dem Sieger der kürzlich
ausgetragenen EU-Meisterschaft, Jan Werle.
Jan Werle
Werle studiert an der Universität Groningen. Jan verbringt seine freie Zeit
damit, die Partien zu verfolgen und seine Freundin zu unterstützen. "Ich habe
mich auf den Wettkampf vorbereitet. Das ist nicht nur ein Prestigekampf, sondern
es geht auch um Elo-Punkte, weshalb ich hier vor heimischer Kulisse wirklich
gerne gewinnen möchte." In der ersten Partie kam es zu einem kompromisslosen
Kampf, in dem Werle eine Figur für zwei Bauern opferte, aber Smeets verteidigte
sich gut und die Partie endete schließlich remis. Partien zwei und drei endeten
ebenfalls Remis, aber mit dem Gewinn der vierten Partie sicherte sich Smeets
den Wettkampfsieg.
Gewann den Wettkampf 2,5:1,5: Jan Smeets
Jan Colly erzählt mir, dass in den nächsten fünf Jahren fünf weitere Wettkämpfe
stattfinden werden. Natürlich mit anderen Gegnern, aber die Unterstützung durch
die Universität von Groningen ist bereits gesichert.
Die Organisation ist in allen Bereichen ausgezeichnet. Auf jedes Detail wird
geachtet. Der Raum ist groß, es gibt genug Platz für die Zuschauer und Luft
für die Spieler, einen Analyseraum (eigentlich einen Saal), einen speziellen
Besucherraum, ein tägliches Bulletin, professionelle Fotografen, etc.
Wenn wir über das Turnier in Groningen sprechen, dann können wir das berühmte
Café Atlantis nicht übergehen. Am 21. Dezember feierte es dritten Geburtstag.
Der Besitzer des Cafés ist Bern Van der Marel, ein engagierter Schachfan und
guter Schachkomponist. Zudem ist er Sponsor des Atlantis Rundenturnier im Sommer,
an dem teilzunehmen ich schon zwei Mal das Vergnügen hatte. In dem ausgezeichneten
Café kann man nicht nur Schach, sondern auch andere Spiele wie Darts, Karten
usw. spielen. Man kann Blitz spielen, am Studiensimultan teilnehmen, versuchen,
das Schachquiz zu lösen oder am AfterChess mit IM Hans Böhm teilnehmen. Wenn
ich mir vorstelle, wie das Café de la Regénce früher ausgesehen hat, dann habe
ich das Café Atlantis vor Augen.
Ich werfe einen Blick in das holländische Buch über das erste Turnier in Groningen,
das 1946 stattgefunden hat und das erste Schachturnier nach dem Zweiten Weltkrieg
war. Autor des Buches ist der fünfte Weltmeister Max Euwe.
Max Euwe: Mathematikprofessor, Schachlehrer, Buchautor - und äußerst
populär.
Dann fallen mir Geschichten vom Turnier ein: Wie Alexander Kotov seinen Landsmann
Botvinnik geschlagen hat und Euwe später in der Schlussrunde gestoppt hat und
wie er vom Publikum Robin Hood getauft wurde, weil er die Stärksten schlug und
den Schwächsten Punkte gab (Kotov landete am Ende auf einem bescheidenen zehnten
Platz), und wie Mikhail Botvinnik ein hoffnungslos aussehendes Turmendspiel
gegen Max Euwe retten konnte - eine Partie, die er als entscheidend für den
gesamten Weltmeisterschaftszyklus 1948 angesehen hat - und wie man entschied,
ein Wettkampfturnier um die Weltmeisterschaft zwischen den fünf besten Spielern
auszutragen.
Mikhail Botvinnik: Sieger in Groningen 1946
Im Café höre ich neue Geschichten über das Festival in Groningen. Fünfzig Jahre
später, 1996, treffen sich die sieben noch lebenden Großmeister, die 1946 schon
dabei waren, erneut, um ein Gedenkturnier zu spielen. Bei der Abschlussfeier
dankte Miguel Najdorf den Organisatoren im Namen der Spieler über die Gelegenheit,
seine alten Rivalen wiederzutreffen und fügte hinzu, es wäre nicht schlecht
gewesen, wenn sie das Turnier stattdessen zum 25. Geburtstag gespielt hätten.
Der neun Jahre alte Fritz Rietman hatte damals gerade erst angefangen, die Najdorf-Variante
zu spielen, und als seine Mutter hörte, dass Don Miguel in Groningen war, bat
sie ihn, eine Partie mit ihrem Sohn zu spielen. Najdorf hatte Weiß und nach
1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cd4 4.Sd4 Sf6 5.Sc3 verfiel Fritz in tiefes Nachdenken.
"Ich hatte Angst, die Eröffnung zu spielen, die der alte Großmeister geprägt
hatte. Womöglich würde er zornig werden, wenn ich etwas falsch machte … eigentlich
wollte ich schon abweichen und den Drachen spielen (den ich damals auch gespielt
habe). Aber nach langem Zögern entschied ich mich schließlich zu
5…a6.
Najdorf "stellte" später ein paar Figuren ein und ließ mich gewinnen. "Du hast
eine sehr gute Eröffnung gespielt", lautete sein Kommentar am Ende der Partie."
Wir kommen zu der Antwort auf unsere Frage vom Anfang - der einzige noch lebende
Spieler des Staunton-Turniers von 1946 ist Vassily Smyslov.
Bis ins hohe Alter aktiv: Vassily Smyslov
Das Turnier fand genau im gleichen kleinen Harmoniesaal in der Universität von
Groningen statt. Zwanzig Spieler nahmen an dem Turnier teil, und am Ende gewann
Botvinnik mit 14,5 Punkten, gefolgt von Euwe, der einen halben Punkt weniger
hatte. Dritter wurde Smyslov.
Hier zum Abschluss zwei weitere Fragen aus dem Quiz:
1.) Wie ist die folgende Stellung zu bewerten?
2.) Was ist das indische Motiv?
Antworten: 1) Weiß gewinnt - Autor unbekannt.
1.h4 Kc7 2.h5 Kb6 3.h6 Ka5
4.h7 a6 5.h8S! b6 6.Sg6 fxg6 7.f7 g5 8.f8S! g4 9.Se6 9.Sg6 g3 10.Se5
g2 11.Sc6# 9...g3 10.Sd8 g2 11.Sc6# 11.Sb7# 1-0
2) Das indische Motiv wurde nach einem englischen Komponisten benannt, der 1845
in einer indischen Zeitung ein Schachproblem mit diesem Motiv veröffentlichte.
Die Gewinnidee besteht darin, eine seiner eigenen Figuren Patt zu setzen.
Loveday, H. - Das indische Motiv
Matt in 4, 1845.
1.Kb2 b4 2.Lc1 b5 3.Td2 Kf4 4.Td4# 1-0