Schachturniere im Schatten des Whitney

von Roger Lorenz
08.07.2025 – Die Gegend um Lone Pine ist vor allem als Kulisse für Westernfilme bekannt, z.B. "Django Unchained". Kennern der Schachgeschichte ist der Platz aber auch als Austragungsort bedeutender Schachturniere in den 1970er Jahren ein Begriff. Roger Lorenz war vor Ort und begab sich auf Spurensuche.

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Schachturniere im Schatten des Whitney

Von dem Yosemite Nationalpark ins Death Valley – und mitten durch die Geschichte des Schachs

Im Juni dieses Jahres habe ich mit meiner Frau einen wunderbaren Urlaub im Südwesten der USA verbracht. Von San Francisco aus haben wir die großen Nationalparks in Kalifornien, Nevada, Utah und Arizona besucht und dabei unvergleichliche Eindrücke gewonnen. So ein Urlaub ist mit langen Autofahrten verbunden, da die einzelnen Parks weit auseinander liegen. Da passiert es leicht, dass man auf dem Weg von einem Park zum nächsten an vielen interessanten Orten einfach vorbeifährt. So wäre es mir auch beinahe passiert, als wir auf dem Highway 395 auf dem Weg vom Yosemite Nationalpark ins Death Valley unterwegs waren, und wir an dem folgenden Ortseingangsschild vorbeikamen.

Ortseingangsschild von Lone Pine

Beim Anblick dieses Schildes hat es bei mir Klick gemacht. Da war doch etwas! Gab es nicht früher Schachturniere, die in einem Ort mit dem Namen Lone Pine durchgeführt wurden? Aber haben die hier stattgefunden oder in einem anderen Ort mit dem gleichen Namen?

Auf den ersten Blick sieht die kleine Stadt (heute ca. 2000 Einwohner) sehr unscheinbar aus. Das Zentrum der Stadt bildet besagter Highway 395, an dem die für amerikanische Kleinstädte üblichen Tankstellen, Fastfood Restaurants und preiswerten Motels liegen. Außerdem liegt die Stadt im Nirgendwo. Die nächsten Großstädte sind Los Angeles oder Las Vegas und liegen jeweils ca. vier Autostunden entfernt. Einen Flughafen oder einen Bahnhof gibt es in der Gegend nicht. Kaum zu glauben, dass hier in den 1970er und 1980er Jahren einige der stärksten Schachturniere der USA stattfanden, zu denen auch Großmeister aus Europa und Südamerika angereist sind.

 Die Hauptstraße von Lone Pine

Aber ein kurzer Blick in die Wikipedia bestätigte, dass ich im richtigen Ort war. Daher habe ich mich auf die Spurensuche gemacht.

Zunächst habe ich festgestellt, dass Lone Pine mehr zu bieten hat, als man auf den ersten Blick vermutet. Die Stadt liegt am Fuße der Sierra Nevada, eines Hochgebirges im Osten von Kalifornien. In diesem Gebirge befindet sich auch der Mount Whitney, mit 4412m der höchste Berg in Nordamerika außerhalb Alaskas. Chess.com-User Badgirl (Winter 2017) hat daher für die Turniere den passenden Zusatz “im Schatten des Whitney” kreiert.

Blick von Lone Pine auf die Sierra Nevada. Der Mount Whitney ist der schneebedeckte Gipfel links von dem Strommast.

Als nächstes habe ich mich auf die Suche nach dem damaligen Spielort gemacht. Dieser war in der kleinen Stadt leicht zu finden. Die Lone Pine Town Hall war ab 1975 der Austragungsort und sie sieht heute noch fast genauso aus wie vor 50 Jahren.

Links: Die Town Hall in den 1970er Jahren (Quelle: (Winter 2017)); rechts: ein aktuelles Foto des Autors

In der Wand rechts vom Eingang findet man die folgende Widmung.

Diese Widmung führt uns direkt zu dem Sponsor des Turniers.

Louis Statham – Erfinder und Schachmäzen

Initiator und Sponsor dieser Turniere war Louis D. Statham, ein wohlhabender Erfinder medizinischer Geräte (u.a. des Statham-Druckwandlers zur Blutdruckmessung). Als er dem hektischen Leben in Los Angeles entfliehen wollte, verkaufte er seine Villa in Los Angeles an Hugh Hefner (der auf dem Grundstück seine Playboy Mansion errichtete) und zog nach Lone Pine.

Louis Statham in den 1970er Jahren, Quelle: (Waterman 2009)

Schon in Los Angeles war er als Schachmäzen aufgetreten und führte dieses in Lone Pine weiter. Sein Anliegen war es, den spielstärksten US-Junioren die Gelegenheit zu geben, sich mit starken Großmeistern zu messen. Dafür organisierte er in den Jahren 1971-1981 insgesamt 11 Turniere, die von Jahr zu Jahr stärker wurden.

Um den Spielern bestmögliche Spielbedingungen zu ermöglichen, baute er im Jahr 1975 die Lone Pine Town Hall. Dieses Gebäude wurde so konzipiert, dass es bis heute auch von der Stadtverwaltung benutzt werden kann. Nach seinem Tod 1983 wurde das Gebäude ihm zu Ehren in Statham Hall umbenannt.

Ein Turnier für die Geschichtsbücher: Lone Pine 1977

Bei elf durchgeführten Turnieren in Lone Pine ist es auf den ersten Blick schwierig, eines herauszupicken. In diesem Fall war es jedoch relativ einfach, da bei dem Turnier Geschichte geschrieben wurde. In dem Turnier von 1977 erzielte die georgische Großmeisterin Nona Gaprindashvili als erste Frau überhaupt eine Männer GM-Norm.

Der Turnierdirektor Isaac Kashdan hat zu diesem Turnier einen ausführlichen Bericht in Chess Life (Kashdan 1977) veröffentlicht, aus der ich die folgende Schlusstabelle übernommen habe.

Abschlusstabelle des Lone Pine Turniers 1977, Quelle: (Kashdan 1977)

Wie man sieht, hat Nona Gaprindashvili einen starken Schlussspurt hingelegt und ihre letzten drei Partien alle gewonnen. Mit 6,5 Punkten aus 9 Partien hat sie nicht nur den geteilten ersten Platz erzielt, sondern gleichzeitig die Männer-GM-Norm erfüllt. Wenn man sich ihre Partien aus dem Turnier anschaut, dann muss man einräumen, dass ihr Caissa in einigen Partien wohl gesonnen war. Aber ihr Finish in der ersten Runde gegen Martinovsky hat mir sehr gut gefallen.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, dass Schwarz gutes Gegenspiel auf dem Damenflügel hat und der weiße König nicht 100% sicher steht. Aber mit ihrem nächsten Zug 26. Sb5 zeigt Nona, dass sie alles unter Kontrolle hat. Die Rechtfertigung für diesen Zug sieht man nach den Zügen 26... Txa2 27. Ld2 und die schwarze Dame hat keine Felder mehr. Schwarz versuchte noch mit 27... c4 im Trüben zu fischen, aber nach 28. Lxb4 cxd3+ 29. Kb1 war die Qualität und etwas später auch die Partie weg.

Ihre Leistung war nicht nur schachlich beeindruckend – sie hatte auch gesellschaftliche Wirkung. Sogar der niederländische Schachpublizist J.H. Donner, bekannt für seine provokant-chauvinistischen Äußerungen über Frauenschach, änderte öffentlich seine Meinung (Donner 2008): „Es gibt keine Zweifel mehr. Sogar im Schach gibt es nun mindestens eine Frau, die zur Weltklasse zählt.“

Die folgende nette Anekdote zu diesem Turnier erzählt Larry Christiansen in seinem Buch (Christansen 2000):

Es gab einige Beschwerden, dass der Preisrichter für die Schönheitspreise, Turnierdirektor Isaac Kashdan, eher Quantität als Qualität bevorzugte. Zum Beispiel wurde ein einfaches Turm- oder Damenspießopfer einem komplexeren Figuren- oder Bauernopfer vorgezogen. Ich hatte einmal eine Partie gegen Eugene Meyer, in der ich die Wahl hatte, entweder einen Turm oder die Dame zu opfern, um Matt zu setzen, und ich entschied mich für die Dame, um Kashdans Aufmerksamkeit zu erregen. Tatsächlich erhielt ich für diese Partie einen Schönheitspreis, obwohl es Konkurrenz durch Partien mit weitaus komplexeren, aber weniger großzügigen Kombinationen gab.

Hier ist die Stellung, in der Larry Christiansen gegen Meyer auf h5 seine Dame opferte.

Die im Artikel referenzierten Partien kann man hier nachspielen.

Sonstiges

Bei der Recherche zu diesem Artikel bin auf eine ganze Reihe von interessanten Informationen gestoßen, die es nicht in den Hauptteil des Artikels geschafft haben, aber dennoch interessant sind.

Wer einen Eindruck von den Lone Pine Turnieren und Louis Statham gewinnen möchte, kann sich auf YouTube den folgenden Film anschauen:

Die Handlung des Films hat sich mir nicht so ganz erschlossen, aber die ersten 5 Minuten zeigen nette Aufnahmen eines Turniers in Lone Pine und ein Interview mit Louis Statham.

Video: The Great Chess Movie by Gilles Carle and Camille Coudari

Die Schachturniere von Lone Pine haben keinen nachhaltigen Eindruck in der Stadt hinterlassen. Die meisten Besucher von Lone Pine sind entweder auf der Durchreise oder planen eine Besteigung des Mount Whitney. Aber es gibt noch eine dritte Gruppe. Seit den 1920er Jahren war die Gegend um Lone Pine immer wieder Drehort bekannter Filme. Die örtliche Chamber of Commerce hat diese Übersichtskarte zu einigen dieser Drehorte veröffentlicht.

Übersichtskarte zu Drehorten in der Nähe von Lone Pine (Quelle: https://lonepinechamber.org/)

Da ist es nur logisch, dass sich auch das Museum für die Geschichte der Western (https://museumofwesternfilmhistory.org/) in der Stadt angesiedelt hat. Der Besuch lohnt sich. Wenn man im Museum den Zahnarztwagen sieht, dann denkt man, dass gleich Christoph Waltz und Jamie Foxx um die Ecken kommen.

Blick in das Western Museum von Lone Pine. Der Wagen des reisenden Zahnarztes stammt aus Django Unchained.

Quellenverzeichnis:

Christiansen, L. (2000). Storming the Barricades: Lessons in Attacking Chess from a Top GM. London: Gambit Publications.
Donner, J. H. (2008). The King. New in Chess.
Kashdan, I. (1977, Juli). Lone Pine 1977. Chess Life, 32(7), 361–364, https://uscf1-nyc1.aodhosting.com/CL-AND-CR-ALL/CL-ALL/1977/1977_07.pdf
Waterman, D., Grefe, J., & Gheorghiu, F. (2009). The Best of Lone Pine: The Louis D. Statham Chess Tournaments 1971–1980. Paperback.
Winter, E. (2017, August 18). In Whitney’s Shadow. Chess.com. Abgerufen am 4. Juli 2025, von https://www.chess.com/article/view/in-whitney-s-shadow


Roger Lorenz studierte Informatik in Bonn in den 1980ern und arbeitete später viele Jahre als Projektmanager und Berater. Im Ruhestand hat er nun mehr Zeit für seine Hobbies wie Schachspielen, Schachgeschichte und Schachengines. Er ist Mitglied des Schachklubs Bonn-Beuel und der Chess History and Literature Society. Kontaktieren kann man ihn über seine Homepage.