Schachweltmeister werden immer jünger

von Hartmut Metz
27.02.2025 – Die Zeiten, wo man als Weltmeister lange auf dem Thron sitzen konnte, sind lange vorbei. Dier Weltmeister werden immer jünger, treten aber auch in immer jüngeren Jahren wieder ab. Eine Untersuchung von Hartmut Metz.

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Wilhelm Steinitz auf ewig ältester Schach-Weltmeister?

Die Weltmeister werden immer jünger und verlieren Titel meist vor dem 40. Lebensjahr

Domaraju Gukesh ist Ende 2024 mit 18 Jahren jüngster Weltmeister der Schach-Geschichte geworden. Dieser Rekord könnte nicht ewig überdauern, werden doch die Topspieler immer jünger. Interessanter ist daher die Frage, wie lange kann ein Weltmeister seinen Titel halten? Der aktuelle Rekord von Wilhelm Steinitz scheint derzeit eher für die Ewigkeit in Stein gemeißelt. Wie die Schach-Historie der bisher 18 Titelträger zeigt, verlieren die Weltmeister ihre Krone freiwillig oder unfreiwillig zunehmend früher. Das königliche Denkspiel wird durch die Computer und die Engines wohl immer anstrengender, sodass die Großmeister Mühe haben ihre volle Leistungskraft auch im fünften Lebensjahrzehnt oder gar im sechsten zu bewahren.

Steinitz noch mit 58 Jahren auf dem Thron

Untersucht man das Lebensalter der Weltmeister, wann sie zum letzten Mal auf dem Thron saßen, zeigt sich, dass der erste Weltmeister Wilhelm Steinitz mit 58 Jahren und 9 Tagen die mit Abstand älteste Regentschaft erreichte. Rund fünf Jahre jünger war Alexander Aljechin, der noch 53 Jahre und 144 Tage alt war, bevor er den WM-Titel verlor. Allerdings hätte er näher an Steinitz herankommen können, wäre er nicht am 24 März 1946 überraschend mit 53 Jahren in Estoril gestorben. Zwischendurch hatte der gebürtige Moskauer aber auch die Krone an Max Euwe (1935-1937) verloren, der mit 35 Jahren somit aus dem Rennen dieser Bestenliste ausschied. Jedoch mag es auch von Vorteil für die Länge der Regentschaft Aljechins gewesen sein, dass der Zweite Weltkrieg einen Zweikampf in dieser Zeit samt Verlustgefahr torpedierte. Auf Platz drei dieser Rekordliste liegt ein weiterer Rekordhalter: Emanuel Lasker. Der Deutsche hatte 1894 Steinitz abgelöst und blieb stolze 27 Jahre Weltmeister, bevor ihn José Raul Capablanca 1921 bezwang. Lasker zählte damals 52 Lenze und 124 Tage.

Russischer Übervater profitiert von Revanche-Recht

Der Vierte im Bunde als Weltmeister über 50 Jahren ist Michail Botwinnik. Der russische Übervater im Schach kam 1948 als Sieger des Weltmeisterschaftsturniers derFIDE in Den Haag und Moskau als Aljechin-Nachfolger zum Titel. Diesen verlor er 1957 an Wassili Smyslow. Doch dank des Revanche-Rechts des unterlegenen Weltmeisters konnte Botwinnik dem zehn Jahre jüngeren Smyslow, der da erst 37 Jahre alt war, den Titel umgehend wieder entreißen. Dasselbe Schicksal ereilte Michail Tal. Endgültig verlor Botwinnik die Krone 1963 an Tigran Petrosjan. Weil das zuvor oft kritisierte Revanche-Recht mittlerweile abgeschafft worden war, steht Botwinnik mit 51 Jahren und 276 Tagen zu Buche.

Trauriger Geburtstag: Petrosjan verliert seinen Titel mit 40

Kurioserweise büßte Petrosjan den Titel just an seinem 40 Geburtstag, am 17. Juni 1969, gegen Boris Spasski ein. Heutzutage gehen Gehirnforscher davon aus, dass die Denkschnelligkeit ab 40 nachlässt. Das bestätigen indirekt fast alle seine Nachfolger als Weltmeister. Einzige rühmliche Ausnahme der Neuzeit ist Viswanathan Anand. Der „Tiger von Madras“ behielt die WM-Krone fast bis zum 44. Geburtstag auf. Anand musste im Alter von exakt 43 Jahren und 346 Tagen Magnus Carlsen zu seiner Nachfolge gratulieren. Selbst die großen K&K, Garri Kasparow und Anatoli Karpow, büßten in den 30er Lebensjahren die höchste Ehre im Schach ein. Karpow wurde 1985 mit 34 Jahren von Kasparow abgelöst. Und selbst für das „Ungeheuer von Baku“ war mit 37 Jahren und 203 Tagen Schluss als Weltmeister. Auch ein weiteres Genie mit José Raul Capablanca war nur einige Monate länger in Amt und Würden. Mit 35 Jahren und 215 Tagen war Schluss für Boris Spasski, der am 1. September 1972 seine Niederlage in Reykjavik quittierte.

Fischer und Carlsen treten mit 32 Jahren als Weltmeister ab

Bei gleich vier Assen endete die Ära mit 32 Jahren Bei Wladimir Kramnik, der Kasparow anno 2000 ausbremste, und dem Chinesen Ding Liren ergab sich der Titelverlust am Brett. Bei den zwei womöglich größten Schach-Genies neben Kasparow und Capablanca sah das anders aus: Bobby Fischer wurde am 3. April 1975 der Titel aberkannt weil der US-Amerikaner nicht mehr antreten wollte. Karpow kam an dem Tag kampflos zu Ruhm und Ehre. Magnus Carlsen verkündete seinen Abschied aus dem Zweikämpfen zwar früher, aber die Regentschaft des Norwegers endete offiziell am 30.April 2023. An dem Tag ermittelten Ding Liren und Jan Nepomnjaschtschi im Tiebreak den Nachfolger von Carlsen. Der aktuelle Weltranglistenerste führt somit das Quartett der 32-Jährigen mit knapp zwei Monaten Vorsprung auf das genannte Trio an.

Michail Tal ist mit Abstand der jüngste entthronte Weltmeister

Weit abgeschlagen in dieser Rangliste der ältesten Schachweltmeister liegt Michail Tal. Der „Hexer von Riga“ wurde 1960 bereits mit 23 Jahren Weltmeister, unterlag aber schon 13 Monate später im Rückkampf gegen Botwinnik. Tal verlor auch den ihm zustehenden Revanchekampf 1962 und hatte so seinen Höhepunkt mit 24 Jahren und 122 Tagen überschritten. Gut denkbar, dass hierbei Gukesh einen weiteren Rekord, in dem Fall aber einen negativen, aufstellt - und mit 24 Jahren auch schon nicht mehr Weltmeister ist ...

Nachstehend die Rangliste der Schachweltmeister geordnet nach Alter beim Titelverlust.

Rangliste der Schach-Weltmeister nach Alter beim Titelverlust (absteigend)

Rang

Weltmeister

Titelverlust / Abgabe

Geburtsdatum

Alter (Jahre, Tage)

1

Wilhelm Steinitz

26. Mai 1894

17. Mai 1836

58 Jahre, 9 Tage

2

Alexander Aljechin

† 24. März 1946

31. Oktober 1892

53 Jahre, 144 Tage

3

Emanuel Lasker

27. April 1921

24. Dezember 1868

52 Jahre, 124 Tage

4

Michail Botwinnik

20. Mai 1963

17. August 1911

51 Jahre, 276 Tage

5

Viswanathan Anand

22. November 2013

11. Dezember 1969

43 Jahre, 346 Tage

6

Tigran Petrosjan

17. Juni 1969

17. Juni 1929

40 Jahre, 0 Tage

7

José R. Capablanca

24. März 1927

19. November 1888

38 Jahre, 125 Tage

8

Wassili Smyslow

12. Mai 1958

24. März 1921

37 Jahre, 49 Tage

9

Garri Kasparow

2. November 2000

13. April 1963

37 Jahre, 203 Tage

10

Max Euwe

15. März 1937

20. Mai 1901

35 Jahre, 300 Tage

11

Boris Spasski

1. September 1972

30. Januar 1937

35 Jahre, 215 Tage

12

Anatoli Karpow

9. November 1985

23. Mai 1951

34 Jahre, 139 Tage

13

Magnus Carlsen

30. April 2023

30. November 1990

32 Jahre, 151 Tage

14

Wladimir Kramnik

29. September 2007

25. Juni 1975

32 Jahre, 96 Tage

15

Ding Liren

12. Dezember 2024

24. Oktober 1992

32 Jahre, 49 Tage

16

Bobby Fischer

3. April 1975

9. März 1943

32 Jahre, 25 Tage

17

Michail Tal

19. April 1961

9. November 1936

24 Jahre, 162 Tage

 


Hartmut Metz ist Redakteur bei den Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) mit Hauptsitz in Karlsruhe. Er schreibt außerdem unter anderem für die taz, die Frankfurter Rundschau und den Münchner Merkur über Schach und Tischtennis. Zudem verfasst der FM und Deutsche Ü50-Seniorenmeister 2023 von der Rochade Kuppenheim regelmäßig Beiträge für das Schach-Magazin 64, Schach-Aktiv (Österreich) und Chessbase.de.
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