Wilhelm Steinitz auf ewig ältester Schach-Weltmeister?
Die Weltmeister werden immer jünger und verlieren Titel meist vor dem 40. Lebensjahr
Domaraju Gukesh ist Ende 2024 mit 18 Jahren jüngster Weltmeister der Schach-Geschichte geworden. Dieser Rekord könnte nicht ewig überdauern, werden doch die Topspieler immer jünger. Interessanter ist daher die Frage, wie lange kann ein Weltmeister seinen Titel halten? Der aktuelle Rekord von Wilhelm Steinitz scheint derzeit eher für die Ewigkeit in Stein gemeißelt. Wie die Schach-Historie der bisher 18 Titelträger zeigt, verlieren die Weltmeister ihre Krone freiwillig oder unfreiwillig zunehmend früher. Das königliche Denkspiel wird durch die Computer und die Engines wohl immer anstrengender, sodass die Großmeister Mühe haben ihre volle Leistungskraft auch im fünften Lebensjahrzehnt oder gar im sechsten zu bewahren.
Steinitz noch mit 58 Jahren auf dem Thron
Untersucht man das Lebensalter der Weltmeister, wann sie zum letzten Mal auf dem Thron saßen, zeigt sich, dass der erste Weltmeister Wilhelm Steinitz mit 58 Jahren und 9 Tagen die mit Abstand älteste Regentschaft erreichte. Rund fünf Jahre jünger war Alexander Aljechin, der noch 53 Jahre und 144 Tage alt war, bevor er den WM-Titel verlor. Allerdings hätte er näher an Steinitz herankommen können, wäre er nicht am 24 März 1946 überraschend mit 53 Jahren in Estoril gestorben. Zwischendurch hatte der gebürtige Moskauer aber auch die Krone an Max Euwe (1935-1937) verloren, der mit 35 Jahren somit aus dem Rennen dieser Bestenliste ausschied. Jedoch mag es auch von Vorteil für die Länge der Regentschaft Aljechins gewesen sein, dass der Zweite Weltkrieg einen Zweikampf in dieser Zeit samt Verlustgefahr torpedierte. Auf Platz drei dieser Rekordliste liegt ein weiterer Rekordhalter: Emanuel Lasker. Der Deutsche hatte 1894 Steinitz abgelöst und blieb stolze 27 Jahre Weltmeister, bevor ihn José Raul Capablanca 1921 bezwang. Lasker zählte damals 52 Lenze und 124 Tage.
Russischer Übervater profitiert von Revanche-Recht
Der Vierte im Bunde als Weltmeister über 50 Jahren ist Michail Botwinnik. Der russische Übervater im Schach kam 1948 als Sieger des Weltmeisterschaftsturniers derFIDE in Den Haag und Moskau als Aljechin-Nachfolger zum Titel. Diesen verlor er 1957 an Wassili Smyslow. Doch dank des Revanche-Rechts des unterlegenen Weltmeisters konnte Botwinnik dem zehn Jahre jüngeren Smyslow, der da erst 37 Jahre alt war, den Titel umgehend wieder entreißen. Dasselbe Schicksal ereilte Michail Tal. Endgültig verlor Botwinnik die Krone 1963 an Tigran Petrosjan. Weil das zuvor oft kritisierte Revanche-Recht mittlerweile abgeschafft worden war, steht Botwinnik mit 51 Jahren und 276 Tagen zu Buche.
Trauriger Geburtstag: Petrosjan verliert seinen Titel mit 40
Kurioserweise büßte Petrosjan den Titel just an seinem 40 Geburtstag, am 17. Juni 1969, gegen Boris Spasski ein. Heutzutage gehen Gehirnforscher davon aus, dass die Denkschnelligkeit ab 40 nachlässt. Das bestätigen indirekt fast alle seine Nachfolger als Weltmeister. Einzige rühmliche Ausnahme der Neuzeit ist Viswanathan Anand. Der „Tiger von Madras“ behielt die WM-Krone fast bis zum 44. Geburtstag auf. Anand musste im Alter von exakt 43 Jahren und 346 Tagen Magnus Carlsen zu seiner Nachfolge gratulieren. Selbst die großen K&K, Garri Kasparow und Anatoli Karpow, büßten in den 30er Lebensjahren die höchste Ehre im Schach ein. Karpow wurde 1985 mit 34 Jahren von Kasparow abgelöst. Und selbst für das „Ungeheuer von Baku“ war mit 37 Jahren und 203 Tagen Schluss als Weltmeister. Auch ein weiteres Genie mit José Raul Capablanca war nur einige Monate länger in Amt und Würden. Mit 35 Jahren und 215 Tagen war Schluss für Boris Spasski, der am 1. September 1972 seine Niederlage in Reykjavik quittierte.
Fischer und Carlsen treten mit 32 Jahren als Weltmeister ab
Bei gleich vier Assen endete die Ära mit 32 Jahren Bei Wladimir Kramnik, der Kasparow anno 2000 ausbremste, und dem Chinesen Ding Liren ergab sich der Titelverlust am Brett. Bei den zwei womöglich größten Schach-Genies neben Kasparow und Capablanca sah das anders aus: Bobby Fischer wurde am 3. April 1975 der Titel aberkannt weil der US-Amerikaner nicht mehr antreten wollte. Karpow kam an dem Tag kampflos zu Ruhm und Ehre. Magnus Carlsen verkündete seinen Abschied aus dem Zweikämpfen zwar früher, aber die Regentschaft des Norwegers endete offiziell am 30.April 2023. An dem Tag ermittelten Ding Liren und Jan Nepomnjaschtschi im Tiebreak den Nachfolger von Carlsen. Der aktuelle Weltranglistenerste führt somit das Quartett der 32-Jährigen mit knapp zwei Monaten Vorsprung auf das genannte Trio an.
Michail Tal ist mit Abstand der jüngste entthronte Weltmeister
Weit abgeschlagen in dieser Rangliste der ältesten Schachweltmeister liegt Michail Tal. Der „Hexer von Riga“ wurde 1960 bereits mit 23 Jahren Weltmeister, unterlag aber schon 13 Monate später im Rückkampf gegen Botwinnik. Tal verlor auch den ihm zustehenden Revanchekampf 1962 und hatte so seinen Höhepunkt mit 24 Jahren und 122 Tagen überschritten. Gut denkbar, dass hierbei Gukesh einen weiteren Rekord, in dem Fall aber einen negativen, aufstellt - und mit 24 Jahren auch schon nicht mehr Weltmeister ist ...
Nachstehend die Rangliste der Schachweltmeister geordnet nach Alter beim Titelverlust.
Rangliste der Schach-Weltmeister nach Alter beim Titelverlust (absteigend)
Rang |
Weltmeister |
Titelverlust / Abgabe |
Geburtsdatum |
Alter (Jahre, Tage) |
1 |
Wilhelm Steinitz |
26. Mai 1894 |
17. Mai 1836 |
58 Jahre, 9 Tage |
2 |
Alexander Aljechin |
† 24. März 1946 |
31. Oktober 1892 |
53 Jahre, 144 Tage |
3 |
Emanuel Lasker |
27. April 1921 |
24. Dezember 1868 |
52 Jahre, 124 Tage |
4 |
Michail Botwinnik |
20. Mai 1963 |
17. August 1911 |
51 Jahre, 276 Tage |
5 |
Viswanathan Anand |
22. November 2013 |
11. Dezember 1969 |
43 Jahre, 346 Tage |
6 |
Tigran Petrosjan |
17. Juni 1969 |
17. Juni 1929 |
40 Jahre, 0 Tage |
7 |
José R. Capablanca |
24. März 1927 |
19. November 1888 |
38 Jahre, 125 Tage |
8 |
Wassili Smyslow |
12. Mai 1958 |
24. März 1921 |
37 Jahre, 49 Tage |
9 |
Garri Kasparow |
2. November 2000 |
13. April 1963 |
37 Jahre, 203 Tage |
10 |
Max Euwe |
15. März 1937 |
20. Mai 1901 |
35 Jahre, 300 Tage |
11 |
Boris Spasski |
1. September 1972 |
30. Januar 1937 |
35 Jahre, 215 Tage |
12 |
Anatoli Karpow |
9. November 1985 |
23. Mai 1951 |
34 Jahre, 139 Tage |
13 |
Magnus Carlsen |
30. April 2023 |
30. November 1990 |
32 Jahre, 151 Tage |
14 |
Wladimir Kramnik |
29. September 2007 |
25. Juni 1975 |
32 Jahre, 96 Tage |
15 |
Ding Liren |
12. Dezember 2024 |
24. Oktober 1992 |
32 Jahre, 49 Tage |
16 |
Bobby Fischer |
3. April 1975 |
9. März 1943 |
32 Jahre, 25 Tage |
17 |
Michail Tal |
19. April 1961 |
9. November 1936 |
24 Jahre, 162 Tage |