Schachweltmeisterschaft: Magnus Carlsen gewinnt WM-Kampf vorzeitig

von André Schulz
10.12.2021 – In der elften Partie des Wettkampfes um die Weltmeisterschaft kam erstmals die Italienische Partie aufs Brett. Im 23. Zug unterlief Ian Nepomniachtchi mit Weiß erneut ein grober Fehler, der Magnus Carlsen einen entscheidenden Königsgangriff nach einem Qualitätsopfer erlaubte. Endstand 7,5:3,5. Magnus Carlsen bleibt Weltmeister. | Fotos: Eric Rosen und Niki Riga (FIDE)

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Nach alten Regeln wäre bei der Weltmeisterschaft in Dubai heute gar keine Partie mehr gespielt werden. Bis 2018 wurden die Weltmeisterschaftskämpfe noch auf 12 Partien ausgetragen. Bei einem 3:0-Vorsprung nach der 10. Partie wären die beiden restlichen Partien hinfällig gewesen, da der zurückliegende Spieler den Rückstand rechnerisch nicht mehr hätte aufholen können. Nach den zwölf Remispartien zwischen Magnus Carlsen und Fabiano Caruana, 2008 in London, hat das neue FIDE-Präsidium die Anzahl der Wettkampfpartien auf 14 erhöht. Das wohl zutreffende Argument unter dem Eindruck von 12 Remispartien war, dass die Distanz zu kurz war, um bei zwei nahezu gleichstarken Spielern noch einen Rückstand aufholen zu können, dass die Spieler Angst vor einem Verlust hatten und deshalb keine allzu große Risikobereitschaft zeigten. 

Nach noch früheren Zeiten wurden die Wettkämpfe über 24 Partien gespielt. Ein Wettkampf, der einen Monat oder länger dauert, wird heute aber als nicht mehr zeitgemäß angesehen. Außerhalb der Schachwelt, bei den Journalisten der Nicht-Fachpresse, kann man das Interesse an einem Weltmeisterschaftskampf nicht über eine solch lange Zeit aufrecht erhalten, glaubt man bei der FIDE und das stimmt wahrscheinlich.

Nun wird der Wettkampf aber über 14 Partien gespielt und Nepomniachtchi schien vor der 11. Partie abgeschlagen zurückzuliegen. Nach der epischen 6. Partie, die Nepomniachtchi erst nach 136 Zügen verlor, dabei zwischenzeitlich sehr gut stand, gab er die 8. und die 9. Partie nach relativen groben Fehlern ab. Es wurde darüber spekuliert, ob der Herausforderer vielleicht mental kollabiert war, ob ihm die Fitness fehle, ob er generell zu impulsiv spiele oder ob er ohnehin keine ausreichende Ausdauer besitze.
 

Das sind natürlich alles recht unfaire Beurteilungen, denn immerhin hat sich Nepomniachtchi durch einen Sieg im Kandidatenturnier qualifiziert, das mit Pause über ein Jahr dauerte, und dort starke Spieler hinter sich gelassen, nicht zuletzt Fabiano Caruana und Ding Liren. Vielleicht spielt ein ganz anderer Faktor die größte Rolle: Magnus Carlsen hat die Erfahrung von vier WM-Kämpfen im Rücken. Für Nepomniachtchi ist es der ersten WM-Kampf. Und Magnus Carlsen ist der schwierigste Gegner, den man im Schach haben kann.

Zum bisherigen Verlauf des Wettkampfes gab es von einigen Schachfreunden eindeutige Urteile. Manche zeigte sich zu Anfang enttäuscht, dass es "so viele" Remispartien gab, mit anderen Worten, dass der Herausforderer auf Augenhöhe mitspielte. Dann zeigten sich manche Schachfreunde enttäuscht, dass es so viele Entscheidungen gab, der Herausforderer nun nicht mehr auf Augenhöhe mitspielte. Und manche Schachfreunde zeigte sich schließlich vom Spielniveau enttäuscht, das sie als gering erachteten. Oh ja, wenn die mal mit ihren Computerschachengines bei einer Weltmeisterschaft mitspielen könnten, dann würden sie den Großmeisterpatzern aber mal zeigen, wie richtiges Schach geht"

Theoretisch konnte der Herausforderer bei den vier noch ausstehenden Partien den Wettkampf noch ausgleichen, sogar noch gewinnen. Aber war es auch praktisch möglich, einen solchen Rückstand aufzuholen? Einige Schachfreunde bemühten Vergleiche aus dem Fußball. Da gab es doch einmal das 4:4 gegen Schweden, nach 4:0-Führung der deutschen Nationalmannschaft. Und die älteren Schalker Anhänger erinnern sich. Als Schalke noch in der 1. Bundesliga spielte, holte die Mannschaft einmal einen 0:4-Rückstand gegen Dortmund auf!
 

Ian Nepomniachtchi führte in der 11. Partie die weißen Steine und eröffnete wie in fast allen Partien zuvor mit 1.e4. Nach 1...e5 2.Sf3 Sc6 ließ er jedoch diesmal 3.Lc4 folgen und nach 3...Sf6 4.d3 stand die derzeit populärste Eröffnung nach 1.e4 e5 auf dem Brett, die berühmte "Ruhige Variante" der Italienischen Partie, das "Giuoco Piano". So spielten auch schon die großen alten Schachtheoretiker in der Frühgeschichte des Turnierschachs, Damiano im 16. Jahrhundert oder Greco im 17. Jahrhundert. Diese Eröffnung erlaubt viele Zugumstellungen und niemand, nicht einmal die besten Großmeister, versteht wirklich alle Feinheiten in Gänze, auch weil in den vielen aktuelle gespielten Partien reichlich neue Ideen hinzugefügt wurden. Es gibt reichlich Anleitungen, um sich einzuarbeiten.

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Italienisch gilt als gediegener Partieanfang, bei dem wenig Figuren getauscht werden und gehaltvolle Stellungen entstehen, in denen es mehr auf Pläne ankommt als auf forcierte Varianten. So zeigt hier die Pläne aus schwarzer Sicht.

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Die gewählte Eröffnung erlaubt es beiden Seiten, ihr Spiel ruhig und langsam zu entwickeln. In ihrem Kommentar mit Anish Giri erwartete Judit Polgar deshalb eine sehr lange Partie.

Die Partie zwischen Ian Nepomniachtchi und Magnus Carlsen verließ in ihrem Verlauf bald die bekannten Vorbilder und nahm ihren eigenen Weg. Nach dem Tausch der schwarzfeldrigen Läufer blockierte Carlsen mit 14....b6 den Damenflügel schwarzfeldrig. Vishy Anand und Anna Muzychuk erinnerten sich an eine Partie zwischen Ding Liren und Wesley So beim World Cup 2017 in Tiflis, wo Wesley So mit Schwarz einen ähnlichen Aufbau wählte, aber Ding eine überzeugende Gegenstrategie fand. Wesley So konnte die Partie aber nach langem Kampf remis halten.

Hier nahm die Partie einen ganz anderen Verlauf. Carlsen öffnete nach der Blockade des Damenflügels mit 19....d5 die Stellung im Zentrum. Nepomniachtchi hielt mit 20. d4 dagegen, aber wenige Züge später, als die Kommentatoren schon an ein Remis glaubten, unterlief ihm mit 23. g3 in ausgeglichener Stellung erneut ein grober Fehler. Der Zug erlaubte Carlsen eine Qualität zu opfern und mit der Dame entscheidend vor dem weißen König zu erscheinen. Danach war die weiße Stellung verloren. 

Carlsen fand in der Folge zwar nicht die besten Angriffszüge, konnte aber in ein Turmendspiel mit Mehrbauern abwickeln, das gewonnen war. Nepomniachtchi kämpfte aber noch lange ums Remis.

"Anstatt mit 23. cxd4 einfach remis zu machen, spielt Nepomniachtchi den Verlustzug 23. g3, verteidigt sich danach brillant und kämpft im Endspiel mit Turm gegen Dame immer noch ums Remis. Ich weiß nicht, was hier passiert", kommentierte Anand das Geschehen.

Magnus Carlsen gewinnt den WM-Kampf 2021 gegen Ian Nepomniachtchi vorzeitig mit 7,5:3,5 und hat damit seinen Titel erfolgreich verteidigt.

Nach der Partie gab es lang anhaltenden Applaus aus dem Zuschauerraum, während die beiden Spieler noch kurz eine kritische Position diskutierten.

Karsten Müllers Analyse

 

Georgios Souleidis Videoanalyse

Video-Analyse von Harald Schneider-Zinner

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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