Schachweltmeisterschaft: Nach der Partie ist vor der Partie

von Thorsten Cmiel
12.11.2018 – Nach einem Ruhetag geht es heute bei der Schachweltmeisterschaft weiter. Beide Spieler konnten einen psychologischen Punch landen. In der ersten Partie überraschte der Weltmeister den Herausforderer, in der zweiten Partie war es umgekehrt. In der Pressekonferenz gaben die Spieler Auskunft. Thorsten Cmiel sprach außerdem mit Rex Sinquefield. | Fotos: Thorsten Cmiel

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Caruana mit komfortablem Remis in Runde 2

Die zweite Partie um die Schachkrone verläuft im Vergleich zur ersten Begegnung unter umgekehrten Vorzeichen. Fabiano blitzt die Eröffnung herunter und bringt den Weltmeister dadurch erstmals in Bedrängnis. Die anschließende Pressekonferenz deckt dann die vermeintlich größte Sorge des Weltmeisters schonungslos auf: die gute Eröffnungsvorbereitung seines Gegners.

"Um ehrlich zu sein. Ich dachte Scheiße."

Magnus Carlsen

Magnus Carlsen gab nach der Partie offen zu, dass er in der zweiten Partie von seinem Gegner in der Eröffnung unangenehm überrascht wurde. In einer Modevariante, die bislang dem Weißen gute Ergebnisse brachte, packte Fabiano Caruana bereits im zehnten Zug einen alten, vor allem taktisch begründeten Turmschwenk nach d8 aus, der zuletzt nur dritte Wahl war und zuletzt 2011 in einer Partie eines usbekischen Großmeisters gespielt. Während der Herausforderer, dessen Sekundant Rustam Kasimdzhanov ebenfalls Usbeke ist, die Eröffnung weiter im Blitztempo absolvierte, kam diesmal der Weltmeister bei der Suche nach Vorteil zumindest zeitlich in die Bredouille und suchte letztlich nach einem möglichst klaren Weg zum Ausgleich, der ihm dann auch gelang.

Carlsen weicht der kritischen Zugfolge aus

Magnus Carlsen reagierte auf den überraschenden Zug seines Gegners indem er auf die kritische Fortsetzung verzichtete: Mit einem Turm auf e8 statt d8 hatte Magnus die Stellung sogar schon gegen Hikaro Nakamura 2017 auf dem Brett gehabt und als Antwort seinen Springer nach d2 gestellt. Den Unterschied zwischen der unterschiedlichen Turmpostierung am Brett herauszuarbeiten gelang dem Weltmeister jedoch nicht. Magnus selbst zog eine Parallele zu einer Partie im WM-Kampf zwischen Viktor Kortschnoi und Anatoly Karpow im Jahr 1978. Damals sei es Kortschnoi am Brett gelungen die Variante zu widerlegen. In modernen Zeiten mit Computervorbereitung sind solche Versuche aber ungleich gefährlicher. Magnus Carlsen zeigte durch sein umsichtiges Vorgehen, dass sein Instinkt bei drohender Gefahr gut funktionieren.

Der FIDE-Pressesprecher Daniel King fragte selbst beim Herausforderer Fabiano Caruana nach, ob dieser verraten könne, wie die kritische Fortsetzung lautet. Fabiano antwortete unerwartet offen indem er den Zug Springer d2 angab und er nutzte dabei die Gelegenheit, dem Weltmeister eine starke Botschaft zu senden: Schau her ich bin bestens vorbereitet. Pure Psychologie also. Dabei hatte der Weltmeister in der Eröffnungspressekonferenz einer Journalistin vom ZDF noch erläutert, dass Psychologie im Schach kaum eine Rolle spiele.

Fazit

Magnus Carlsen kassierte in der zweiten Partie einen ersten Wirkungstreffer und zeigte, dass er die Eröffnungsvorbereitung seines Gegners respektiert, ja vermutlich sogar fürchtet. Diese neue Offenheit beider Spieler kommt beim Publikum sicher gut an und wird helfen das Etablieren des Schachspiels als „cooles Spiel“ weiter zu fördern.

 

 

In London vor Ort: Rex Sinquefield

Der bekannte amerikanische Sponsor, Philanthrop und Namensgeber eines der Turniere der Grand Chess Tour ist für drei Tage von St. Louis nach London gekommen, um sich die ersten beiden Partien live anzuschauen. Zusammen mit seiner Frau Jeanne gehörte er zu den Zuschauern, die Judit Polgars Live-Kommentare in einem Zuschauerraum lauschten. Das gab mir die Möglichkeit ihn während der zweiten Partie kurz nach seinen Eindrücken zu befragen.

Auf meine Einstandsfrage, ob er das Geschehen in London genieße antwortete Rex nicht unerwartet mit der Aussage, dass es ihm sehr gefalle, was er sehe. Besonders dürfte ihm der Andrang der zahlreichen Zuschauer gefallen haben. Nach der Performance seines Landsmanns in der ersten Runde befragt meinte Rex, Fabiano habe in der ersten Partie nach seiner Lesart eine hervorragende Rettung hingelegt in einer sehr schwierigen Situation. Magnus habe dabei freilich mitgeholfen, da er nicht die besten Züge ausgeführt hat.

ympathisch, aber auch diplomatisch war seine Antwort auf die Frage warum er sich unter die Leute mische, statt im VIP-Raum zu sein: Er benötige keine spezielle Behandlung meinte der Multi-Millionär. Am wichtigsten: Auch in Zukunft kann sich die Schachwelt weiter auf die bekannten Turniere mit Unterstützung von Rex Sinquefield verlassen, zudem sei er für neue Ideen immer aufgeschlossen. Die Vergabe einer Schachweltmeisterschaft nach St. Louis sei aus seiner Sicht in der Diskussion und er erwarte ein solches Event in den nächsten sechs Jahren.

 

 


Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.

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