Schachwoche Berlin – Tomsk
Von Dagobert Kohlmeyer
Schachfreunde kamen zu Pfingsten in der Hauptstadt durchaus auf ihre Kosten.
Sie mussten nur zum Russischen Haus in der Friedrichstraße pilgern, wo sie im
Rahmen der „Schachwoche Berlin – Tomsk“ zwei hochkarätige Veranstaltungen
erleben bzw. selbst die Figuren setzen konnten.
Den
Auftakt bildete ein Jugendvergleichskampf an zehn Brettern zwischen beiden
Städten. Die jungen Sibirier waren mit einem starken Kontingent angereist, am
Spritzenbrett saß mit Ilja Schkurikin ein FIDE-Meister. Die Berliner
Jugendlichen waren in ihrer Aufstellung etwas gehandicapt, weil ihre besten
Leute um Attila Figura gerade zu den deutschen Meisterschaften unterwegs sind.
Dennoch gab es am ersten Spieltag ein aus Berliner Sicht nicht erwartetes
5:5-Unentschieden. Das lag sicher auch daran, dass den Tomskern die lange
Reise von Sibirien über Moskau noch in den Knochen steckte.
Während
sich nebenan am Potsdamer Platz unzählige Fußballfans aus Stuttgart und
Nürnberg im Sony Center friedlich auf das Pokalfinale einstimmten und schon
vor dem Anstoß die erste Party feierten (siehe Fotos),

Nürnberger Fans

Stuttgarter Fans
...
herrschte im Russischen Haus tiefe Stille bei den Zügen.

Zuschauer
verirrten sich leider nicht sehr viele dorthin, auch Vertreter des Berliner
Schachverbandes ließen sich kaum blicken, wie die Veranstalter mit Verdruss
konstatierten. Am zweiten Tag gewannen die favorisierten Gäste locker 8:2 und
siegten damit im Endergebnis standesgemäß mit 13:7 Punkten.

Laßan-Schkurikin

Nikolajewa-Koch

Schirrmacher-Zdojna
Schach
wird in der Region Tomsk großgeschrieben. Das riesige Gebiet gehört zur
Russischen Föderation und liegt im Süden von Westsibirien. Es erstreckt sich
vom Altai-Gebirge bis zur nördlichen Taiga. Damit nimmt es eine Fläche ein,
die etwa so groß wie Polen ist. Der Region geht es wirtschaftlich gut, wofür
riesige Vorkommen an Eröl und Gas sorgen. Tomsk hat etwa eine halbe Million
Einwohner und sechs Universitäten.
Der
Gouverneur Viktor Kress, ein Mann mit deutschen Vorfahren, hat sehr viel für
Schach übrig. Er sorgte nicht nur für die finanzielle Grundlage der
Reisekosten seiner jungen Landsleute, sondern stiftete auch den Preisfonds für
das Jugendturnier in Höhe von 600 Euro.
Für das
internationale Open am Pfingstmontag im Russischen Haus schüttete Kress gar 2
130 Euro aus. 500 Euro gab es für den Sieger, 350 für den Zweiten, dann 250,
200, 150, 100 usw. Das lockte fast 100 Spieler nicht nur aus Berlin an, auch
bekannte Großmeister wie Igor Glek kamen an die Spree.
Der
Tomsker Schachklub macht seit Jahren auch international von sich reden. Gerade
hat das Team mit den Großmeistern Alexander Morosewitsch, Dmitri Jakowenko,
Vladislav Tkatchiev, Sergej Karjakin und Viorel Bologan zum dritten Mal die
russische Team-Meisterschaft gewonnen.
Klubdirektor Boris Schaidullin berichtete uns, dass es in seinem Verein 150
Mitglieder gibt.

Der
60-Jährige nutzte am Rande der Schachwoche jede freie Minute zu Blitzpartien
mit den Berliner Gastgebern.
Organisiert wurde die ganze Veranstaltung von Juri Zarubin, dem Vorsitzenden
des SC Präsident in Berlin.

Dieser
Verein ist im Russischen Haus beheimatet und hat vor allem im Betriebsschach
stolze Erfolge aufzuweisen. Man wurde 2006 schon deutscher Meister und in
diesem Jahr Dritter der Berliner Meisterschaft. Professor Wilmar Lukas bildete
mit Juri Zarubin eine gute Doppelspitze, die für einen reibungslosen Ablauf
der Veranstaltung sorgte. Wenn es nach den beiden Schachenthusiasten geht,
könnten solche deutsch-russische Schachwochen zur Tradition werden.

Igor
Glek gewinnt das Open

Igor Glek
Im
internationalen Schnellschach Open am Pfingstmontag waren Igor Glek (SF
Katernberg) und Robert Rabiega (SK König Tegel) die beiden ELO-Favoriten.

Robert Rabiega
Sie
machten dann den Turniersieg wie erwartet unter sich aus, und auch Rabiegas
Klubkameraden, die Brüder Mladen und Drazen Muse, wussten sich erfolgreich in
Szene zu setzen.

Reichenbach-Meister

Schkunikin-D.Muse
Gespielt
wurden 15-Minuten-Partien bis zum Blättchenfall. Nach fünf Runden führten
Robert Rabiega und Wladimir Schilow (SK Präsident) mit je 5 Punkten die
Tabelle an. In Runde 7 trafen Rabiega und Glek aufeinander. Mit den weißen
Steinen drückte der Berliner Großmeister auf die Stellung seines Gegners, der
Springer schien übermächtig, Robert hatte auch mehr Zeit auf der Uhr. Aber
Igor Glek verteidigte sich geschickt mit Läufer und Turm, und er klopfte im
Eifer des Gefechts so kräftig auf die kleine Schachuhr, bis deren Glas auf
Roberts Seite heraussprang. Beim nächsten „Schlag“ folgte auch Rabiegas
Blättchen, obwohl die Zeit des Berliners noch gar nicht abgelaufen war. Nach
diesem ungewollten „Unfall“ gab der herbeigeeilte Schiedsrichter Bernhard
Riess, der ausgezeichnet amtierte (in Minutenschnelle waren die Paarungen
fertig und per Beamer an die Wand geworfen), das Spiel remis.

Rabiega-Glek
Glück für
Glek! Der Tegeler haderte etwas mit seinem Schicksal. In der achten Runde kam
es noch schlimmer für Robert Rabiega. Er unterlag Schach-Redakteur Dirk
Poldauf und büßte damit seine Chancen auf den Gesamtsieg ein.

Poldauf-Rabiega
Der Zieleinlauf bildete indes keine Überraschung. Igor Glek blieb als einziger
Teilnehmer ungeschlagen und gewann mit 7,5 Punkten aus neun Partien vor Robert
Rabiega, den Muse-Brüdern, Jakow Meister und Ilja Schkurikin aus Tomsk (alle
7,0).

Ilya Schkurikin
Der
20-jährige Student und FIDE-Meister aus Sibirien hatte beim Jugendvergleich
seine beiden Partien gewonnen. Im Open platzierte Ilja sich vor vielen
nominell stärkeren Spielern. Er könnte sich vorstellen, auch einige Zeit in
Deutschland zu leben, hier seine Ausbildung fortzusetzen und natürlich Schach
zu spielen. Auch andere Teilnehmer des Jugend-Wettkampfes wie die Studentinnen
Alexandra Nikolajewa und Anna Korotkaja spielten im Open mit.

Alexandra Nikolajewa

Anna Korotkaja

Casny - Korotkaya
Die
17-jährige Alexandra wurde mit 4,0 Punkten Zweite in der Frauenwertung hinter
Ljubow Kopylowa (5,0).

Bester
Senior wurde erwartungsgemäß Werner Reichenbach (SK Zehlendorf) mit 6,0
Punkten. Der Jugendpreis ging an Carsten Schirrmacher (Zitadelle Spandau), der
5,5 Punkte erzielte. Mitorganisator Wilmar Lukas (72) gewann mit 5,0 Punkten
den Ratingpreis bis 2000 vor dem erst 11-jährigen Vitali Kowaljow aus Tomsk
(4,5).

Vitali Kowalow
Der Kleine
hatte beim Jugend-Vergleichskampf gegen den Berliner André Kunz zweimal remis
gespielt. Sibiriens Schachnachwuchs klopft kräftig an die Tür.
Die
Turnierleitung lag wie bereits lobend erwähnt, in den bewährten Händen von
Bernhard Riess. Er ist in der Berliner Szene vor allem als Spielleiter und
Webmaster im Betriebsschach bekannt. Wir schließen uns der Meinung von Juri
Zarubin und seinem Team an, dass solche Schach-Events im Russischen Haus in
der Berliner Friedrichsstraße keine Eintagsfliegen bleiben sollten, sondern
Tradition werden.

Juri Zarubin mit dem Pokal des Deutschen Meisters
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