Schnell noch ein paar Elo

von André Schulz
18.12.2023 – In Chennai wurde kurzfristig ein Turnier organisiert, um den jungen indischen Spielern Erigaisi und Gukesh, im Vergleich mit starker Konkurrenz, eine Chance zu geben, sich noch für das Kandidatenturnier zu qualifizieren. Leinier Dominguez versuchte sein Glück beim Sunway Sitges und für Firouzja wurde in Chartres schnell noch etwas organisiert.

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Ein paar Ältere erinnern sich noch. Als die FIDE nach dem Krieg die Organisation der Weltmeisterschaften übernahm, etablierte sie ein ziemlich gutes System, das auf einen Weltmeisterschaftszyklus von drei Jahren angelegt war. Im ersten Jahr wurden Zonenturniere und Interzonenturniere gespielt. Dann folgte ein Kandidatenturnier, später als Kandidatenkämpfe ausgespielt, und schließlich gab es den Wettkampf um die Weltmeisterschaft. Die Umstellung von Kandidatenturnier auf Kandidatenkämpfe war notwendig geworden, nachdem Bobby Fischer gegen die Remisabsprachen der Sowjetspieler Efim Geller, Paul Keres und Tigran Petrosjan beim Kandidatenturnier Curacao 1962 protestiert hatte. Am damaligen FIDE-WM-Zyklus war nicht alles gut, aber doch einiges. Zum Beispiel macht ein Zyklus von drei Jahren mehr Sinn als ein Zyklus von nur zwei Jahren. Im letzteren Fall muss der Weltmeister alle zwei Jahre seinen Titel verteidigen und ermüdet schneller, wie man am Beispiel von Carlsen sieht. 

Mit der Regentschaft von Kirsan Iljumzhinov wurde das bewährte System ohne Not über Bord geworfen und durch ein K.o.-Turnier ersetzt. Dort spielte der Zufall, Tagesform, Schnellschach-und Blitz-Können und Glück eine viel zu große Rolle und nach 2004 verschwand dieser Modus in der Versenkung. Nach Kasparovs und Shorts Streit mit dem vormaligen FIDE-Präsidenten Florencio Campimanes war das System der Weltmeisterschaften aber auch noch zweigeteilt, mit einem "klassischen Weltmeister", der seinen Titel in Matches, allerdings nicht regelmäßig, verteidigte. Es dauerte bis 2006, bevor das WM-System wieder vereinigt werden konnte. Aber auch danach ist die FIDE immer noch auf der Suche nach einem zuverlässigen Qualifikationsschema.

Das 2018 in London gewählte Präsidium ging das Thema neu an. Die ersten Plätze im World Cup berechtigen zur Teilnahme am Kandidatenturnier, inzwischen sind es die drei ersten Plätze. Der World Cup wird übrigens genau in dem Format gespielt, das als K.o.-Weltmeisterschaft wegen des großen Einflusses von Glück und Zufall seinerzeit als Weltmeisterschaft abgelehnt wurde. Zwei Plätze werden über das Grand Swiss Turnier vergeben, das im Schweizer System gespielt wird. Mit diesem Forma sind auch nicht alle zufrieden, da bei vielen Teilnehmern und wenigen Runden viele zusätzliche Faktoren eine Rolle spielen, vor allem im Hinblick auf die Zweitwertung.

Zu diesen fünf Spielern gesellt sich der Verlierer des letzten WM-Kampfes, das macht Sinn. Die letzten zwei Plätze werden an den Sieger des FIDE-Circuits und an den Elobesten der Weltrangliste zum 1. Januar 2024 vergeben.

Der von der FIDE neu eingeführte FIDE-Circuit ist unter gewissen Aspekten eine Serie von Zonenturnieren. Einige starke Landesmeisterschaften sind enthalten, so wie einst auch die UdSSR-Meisterschaft als Zonenturnier ein direkter Weg ins Interzonenturnier war. Das Schöne am FIDE-Circuit ist für die FIDE, dass sie die Turniere nicht selber organisieren muss.

Bei den Qualifikationen über Elo hat man früher Mittelwerte aus bestimmten Zeiträumen verwendet. Wie sinnvoll das war, im Vergleich zu einer Zahl zu einem bestimmten Zeitpunkt, sieht man jetzt.

Schon beim Sinquefield-Cup hatten einige Top-Spieler, die sich noch über Elo qualifizieren konnten, den Rechenschieber in der Tasche, um für ihre mögliche Qualifikation das notwendige Ergebnis zu berechnen.

Gute Chancen hatte dabei auch Leinier Dominguez. Die FIDE schob während des laufenden Turniers und der laufenden Spekulationen einen Hinweis ein, dass man im Turnierjahr mindestens vier Turniere, aber in verschiedenen Ländern gespielt haben sollte. Daraufhin erhob sich großes Geschrei und die Behauptung wurde aufgestellt, die FIDE hätte kurzfristig die Regeln geändert. Hatte sie aber nicht. Nachdem Ding Liren für seine Teilnahme am letzten Kandidatenturnier, als Elobester, noch schnell vier Turniere, aber nur in China, gespielt hatte, um auf die erforderliche Turnieranzahl zu kommen, hatten führende Großmeister darauf verwiesen, dass bei Turnieren im eigenen Land Manipulation im Spiel sein könnte und verlangten in einem Brief an die FIDE eine Regelverschärfung. Unter den Protestlern war auch Leinier Dominguez. 

Der US-Großmeister meldete sich nun kurzfristig beim Sitges Open an, um hier seine Elozahl zu verbessern und ein Turniere in einem weiteren Land zu spielen. Nach eher schwachem Beginn zog er sich aber jetzt wieder aus dem Turnier zurück.

Hoffentlich zieht der Rückzug keine Geldstrafe der FIDE nach sich.

Auch das kurzfristig ins Programm genommene GM-Turnier in Chennai ist als Elozugewinn-Turnier gedacht, besonders für Erigaisi und Gukesh. Fairerweise wurde aber auch Parham Maghsoodloo eingeladen, der auch noch theoretische Chancen hat, sich für das Kandidatenturnier zu qualifizieren, und einige weitere starke Spieler.

Solche Umstände macht man sich in Chartres nicht, wo jetzt sehr kurzfristig ein Elo-Zugewinnturnier für Alireza Forouzja organsiert wurde.

Firouzjas Verein C'Chartres Echecs organisiert von Montag, dem 18. bis Freitag, dem 22. Dezember 2023 eine Wettkampfserie mit insgesamt sechs Partien. Alireza Firouzja (2750) spielt gegen Sergey Fedorchuk (2546), Andrei Shchekachev (2506) und Alexandre Dgebuadze (2439) je zwei Partien. Zum Elobesten seiner Gegner ist eine Lücke von 200 Elopunkten. 

Ivan Cheparino kommentierte auf Facebook:

Ich hoffe wirklich, dass Fide und Emil Sutovsky meinen Beitrag lesen werden. Ich verstehe nicht, warum sie das System für den Turnierkandidatenplatz geändert haben. Die jüngste Änderung, nur noch die letzte Ratingliste zugrunde zu legen, ist meiner Meinung nach sehr unfair. Ich sehe, dass alle Leute, die an diesem Rennen beteiligt sind, verrückte Züge machen, um sich für die Kandidaten zu qualifizieren. Im letzten Moment spielen alle Partien, Turniere und einige Top-GMs fahren sogar nach Sitges, um dann nach zwei Unentschieden das Turnier abzubrechen. Das ist so bizarr. Ganz zu schweigen davon, dass es auch Manipulationen beinhalten kann. Ich habe gehört, dass Firouzja einige Partien in Chartes spielen wird. FIDE, Emil, bitte stoppt diesen Wahnsinn für den nächsten Zyklus. Viel fairer wäre es, die letzten 6 oder sogar die letzten 3 Listen zu nehmen. Dann wäre wenigstens alles fairer. Es ist nicht normal, dass in den letzten Tagen des Dezembers alle beteiligten Spieler ein paar private Matches oder Partien spielen, nur um 5 Raiting Points zu bekommen.

Der angesprochene Emil Sutovsky antwortete für die FIDE:

Sehen Sie, Ivan, wir bemühen uns um ein möglichst objektives System. Um mehr Chancen und Möglichkeiten zu bieten. Um die Schachaktivität zu stimulieren.
Aber ich stimme zu - wenn es missbraucht wird, müssen Maßnahmen ergriffen werden. Ich verspreche, dass wir uns das sehr genau ansehen werden. Vielen Dank!

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.