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Semjon Abramovich Furman wurde am 1. Dezember 1920 in Pinsk geboren, einer Stadt im Südwesten Weißrusslands, inmitten der Prypjatsümpfe gelegen, unweit der heutigen Grenze zur Ukraine. Da die Geschichte der Stadt und ihrer Einwohner hierzulande eher wenig bekannt sein dürfte, sei ein kurzer Ausflug gestattet:
Pinsk ist eine sehr alte Stadt, erstmals im 11. Jahrhundert urkundlich erwähnt, und hat eine größtenteils polnisch, aber auch jüdisch geprägte Geschichte. Erst 1793 kam Pinsk nach der ponischen Teilung zu Russland. Zwischen den Weltkriegen war die Stadt für eine allerdings nur kurze Zeit wieder in polnischer Hand.
Bei Pinsk befindet sich der Zufluss des Dnepr-Bug-Kanals ("Königskanal"), 1775 vom polnischen Königs Stanislaus II. angelegt. Er schloss die Lücke des Dnepr-Weichsel-Wasserweg von der Ostsee zum Schwarzen Meer (via Danzig – Warschau – Brest – Pinsk – Kiew – Cherson). Dieser Weg wurde schon von den schwedischen Wikingern (Waräger) genutzt, um mit ihren Schiffen überraschend vor Konstantinopel aufzutauchen. Unterwegs gründten sie das Reich der Rus (Rotbärte) mit der Hauptstadt Kiew. Heute ist der Kanal mit seinen zehn Staustufen allerdings zum Teil versandet und für die Binnenschifffahrt größtenteils nicht mehr nutzbar. Er soll aber renoviert und wieder schiffbar gemacht werden.
Zum Zeitpunkt von Furmans Geburt 1920 gehörte Pinsk gerade wieder zu Polen. Von 1939 bis 1941 war die Stadt dann zum ersten Mal sowjetisch besetzt. Der große polnische Reiseschriftsteller Ryszard Kapuscinski ist ebenfalls in Pinsk geboren (*1932) und aufgewachsen und hat den Einmarsch der Roten Armee 1939 in seinem Buch "Imperium" eindringlich beschrieben. Doch im Laufe der nächsten Jahre schlug der Lauf der Geschichte für die Einwohner der Stadt noch viel grausamer zu. Schon zu Zarenzeiten war Pinsk ein großes jüdisches Zentrum. 1939 waren von den 30.000 Einwohnern der Stadt 27.000 jüdisch. Nachdem die Stadt 1941 im Zuge des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion von der Deutsche Wehrmacht besetzt wurde, richtete das nachfolgende 2. SS-Kavallerieregiment unter der Bevölkerung schon bald ein erstes Massaker an und ermordete außerhalb der Stadt 9000 Männer. Die übrige Bevölkerung wurde in ein Ghetto eingepfercht und in den folgenden Monaten ebenfalls sukzessive umgebracht. So wurde zwischen 1941-42 wurde die jüdische Bevölkerkung der Stadt Pinsk von den deutschen Besatzern zur Gänze ausgelöscht.
Furmans Familie hatte Pinsk schon 1931 verlassen und war nach Leningrad gezogen. Zu Schulzeiten wurde dort Furmans Talent für das Schach entdeckt. Sein Lehrer war Ilya Rabinovich (*1891). Als Schüler erlebte Furman die Belagerung Leningrads durch die Deutsche Wehrmacht mit, die vom September 1941 bis zum Januar 1944 dauerte. Man schätzt, dass eine Million Menschen während dieser Zeit in Leningrad ihr Leben verloren, darunter auch Furmans Lehrer Rabinovich. Er wurde 1942 noch aus der Stadt evakuiert, starb aber bald danach an den Folgen der Unterernährung. Das Schachleben in der Sowjetunion lag während der Kriegszeit brach und auch Furman hatte wichtigere Dinge zu tun. Nach der Schule arbeitete er zunächst als Schlosser in einer Fabrik, nahm dann aber seine Schachstudien wieder auf. Neben einer Trainingspartie gegen seinen Schachlehrer Rabinovich aus dem Jahr 1940, stammen die ersten in der Mega Database überlieferten Partien aus einem Wettkampf Leningrad-Prag im Jahr 1946. Im gleichen Jahr nimmt er auch schon am Halbfinale der Sowjetischen Meisterschaften in Leningrad teil, kann sich aber noch nicht entscheidend in Szene setzen. Zwei Jahre später, 1948, gehört er aber schon zum Feld des Finalturniers der Sowjetischen Meisterschaft und wird hinter Bronstein und Kotov sensationell Dritter. Drei Runden vor Schluss lag Furman sogar mit Kotov zusammen in Führung, dann warf ihn eine Niederlage gegen Bronstein zurück. Auch in den folgenden Jahren war Furman regelmäßiger Teilnehmer der UdSSR-Meisterschaften mit einem geteilten fünften Platz 1949 und einem geteilten vierten Platz 1965 als beste Platzierungen. 1953, 1954 und 1957 jeweils als geteilter Sieger, gewann Furman die Meisterschaften von Leningrad. Furman pflegte einen eleganten positionellen Stil nach klassischer Schule, durchaus aber mit dynamischer Ausrichtung.
Der von vielen gefürchtete Taktiker Nezshmetdinov erhielt von Furman mehr als einmal eine Lektion, zum besipiel hier:
Der Statistiker Jeff Sonas sieht Furman in seinen nachträglichen Berechnungen der Spielstärke historischer Spieler Ende der 1940er Jahre auf Rang elf der Liste der weltbesten Spieler. 1954 erhielt Furman den Titel eines Internationalen Meister, und erst 1966 wurde er zum Internationalen Großmeister ernannt, im Alter von 45 Jahren. Die Spielstärke eines Großmeisters hatte er längst. Da Furman sich aber hartnäckig weigerte, in die Kommunistische Partei einzutreten, wurde ihm die Teilnahmen an Auslandsturnieren zumeist verwehrt. Die Berufung in die sowjetische Nationalmannschaft für die Mannschaftseuropameisterschaft 1961 in Oberhausen ist eine der wenigen Ausnahmen.
Als Spieler gehörte Semjohn Furman trotz widriger Umstände für einige Zeit wohl zu den Besten des Landes, doch seine Erfolge als Trainer überragen seine Spielerkarriere um einiges. Furman genoss in der UdSSR in den 1950er und 1960er Jahren den Ruf eines ausgezeichneten Eröffnungstheoretikers und trug in vielen Varianten mit seinen Ideen zur Entwicklung der Eröffnungstheorie bei. Er arbeitete dabei mit Spielern wie Tajmanov, Botvinnik, Petrosian und Kortschnoj zusammen. Furman schrieb jedoch keine Bücher, sondern notierte sein Wissen in Notizbüchern, die er an seine Schüler weitergab.
Ende der 1960er Jahre galt Furman als einer der besten Schachtrainer der Sowjetunion und so wurde ihm 1968 eines der größten Talente des Landes zur Weiterentwicklung übergeben, der 17-jährige Anatoly Karpov. Karpov zog aus diesem Grund von Moskau nach Leningrad, wo Furman lebte.
Karpov und Furman (unbekannter Fotograf)
Für Semjon Furman wurde Karpov zum zweiten Sohn. In Trainingsstunden, Partievorbereitungen und mit Turnieren verbrachte Furman mit Karpov im Verlauf der zehnjährigen Zusammenarbeit mehr Zeit als mit seiner eigenen Familie.
Dank seiner Trainingserfolge wurde Furman 1973 zum "verdienten Trainer der Sowjetunion" ernannt.
Furman und Karpov (Foto: Novosti)
1974 qualifizierte sich sein Schüler Karpov als Herausforderer von Robert Fischer. Fischer trat bekanntermaßen zum WM-Kampf 1975 nicht an und so erhielt Karpov den Titel kampflos. 1974 war Furman auch der Trainer der Sowjetischen Nationalmannschaft bei der Schacholympiade in Nizza, ebenso 1977 bei der Europamannschaftsmeisterschaft.
Karpov und Furman (Foto: "64")
Neben dem Schach, das ein Großteil seiner Zeit in Anspruch nahm, galt Furmans Leidenschaft dem Kartenspiel und hier besonders dem Bridge. Beim Kartenspiel konnte er ganze Nächte verbringen und vernachlässigte bisweilen dabei auch seine Aufgaben als Sekundant. Sein letztes Schach-Turnier spielte Furman 1977, als er seinen Schüler Anatoly Karpov zur Internationalen Deutschen Meisterschaft nach Bad Lauterberg begleiten durfte. Hinter Karpov und Timman wurde Furman Dritter.
Schon 1966 war Furman an Magenkebs erkrankt. Innerhalb eines Monats verlor er dabei 20 Kilo an Gewicht. Auf Initiative des Russischen Schachverbandes wurde ihm eine sehr gute medizinische Behandlung zuteil und mit einer Operation konnte sein Leben verlängert werden. Nach elf Jahren kam der Krebs jedoch zurück. Semjon Furman starb am 16. März 1978 an den Folgen der Krankheit. Er wurde nur 57 Jahre alt. Kurz nach Furmans Tod musste Karpov zum ersten Mal seinen Titel verteidigen. Im schwierigen Wettkampf gegen Viktor Kortschnoj konnte ihm sein langjähriger Trainer und Ersatzvater nicht mehr zur Seite stehen. Die Titelverteidigung ohne Furmans Unterstützung gelang Karpov nur ganz knapp.
Master Class Band 6: Anatoly Karpov
Auf dieser DVD geht ein Expertenteam Karpovs Spiel auf den Grund. In über 7 Stunden Videospielzeit (jeweils komplett deutsch und englisch) beleuchten die Autoren vier wesentliche Aspekte von Karpovs Spielkunst.
In ihrer berühmten "Meister"- Lehrbuchreihe haben Max Euwe und Walter Meiden auch eine lehrreiche Partie von Semjon Furman aufgenommen. Es ist die letzte Partie des Bandes "Meister gegen Meister", mit sehr lehrreichen Kommentaren versehen, ein Leckerbissen für alle Freunde der analogen Informationsübermittlung.
Meister gegen Meister, erschienen 1981
Ein Auszug aus dem Kommentar, der sich über zehn Seiten erstreckt:
Die unkommentierte Partie zum Nachspielen: